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ZWEITES KAPITEL

Zusammenfassung des Inhalts der Gītā

Text

sañjaya uvāca
taṁ tathā kṛpayāviṣṭam
aśru-pūrṇākulekṣaṇam
viṣīdantam idaṁ vākyam
uvāca madhusūdanaḥ

Synonyms

sañjayaḥ uvāca — Sañjaya sagte; tam — zu Arjuna; tathā — auf diese Weise; kṛpayā — von Mitleid; āviṣṭam — überwältigt; aśru-pūrṇa-ākula — voller Tränen; īkṣaṇam — Augen; viṣīdantam — klagend; idam — diese; vākyam — Worte; uvāca — sagte; madhu-sūdanaḥ — der Töter Madhus.

Translation

Sañjaya sagte: Als Madhusūdana, Kṛṣṇa, Arjuna voller Mitleid und sehr betrübt sah, mit Tränen in den Augen, sprach Er die folgenden Worte.

Purport

ERLÄUTERUNG: Materielles Mitleid, Klagen und Tränen sind Zeichen dafür, daß man das wirkliche Selbst nicht kennt. Mitleid mit der ewigen Seele bedeutet Selbstverwirklichung. Das Wort „Madhusūdana“ ist in diesem Vers von Bedeutung. Śrī Kṛṣṇa tötete den Dämon Madhu, und jetzt wollte Arjuna, daß Kṛṣṇa den Dämon des Mißverständnisses, der ihn während der Erfüllung seiner Pflicht überwältigt hatte, vernichtete. Niemand weiß, worauf Mitleid gerichtet werden soll. Welchen Sinn hat es, die Kleider eines Ertrinkenden zu bemitleiden? Ein Mensch, der in das Meer der Unwissenheit gefallen ist, kann nicht dadurch gerettet werden, daß man nur sein äußeres Gewand rettet – den grobstofflichen materiellen Körper. Wer dies nicht weiß und um das äußere Gewand klagt, wird als śūdra bezeichnet, als jemand, der unnötig klagt. Von Arjuna, der ein kṣatriya war, wurde ein solches Verhalten nicht erwartet. Śrī Kṛṣṇa jedoch kann das Klagen des unwissenden Menschen vertreiben, und zu diesem Zweck sang Er die Bhagavad-gītā. In diesem Kapitel erklärt uns die höchste Autorität, Śrī Kṛṣṇa, durch ein analytisches Studium des materiellen Körpers und der spirituellen Seele, was Selbstverwirklichung ist. Diese Verwirklichung wird möglich, wenn man tätig ist, ohne an die fruchttragenden Ergebnisse angehaftet zu sein, und wenn man sich in einem gefestigten Verständnis vom wahren Selbst befindet.

Text

śrī-bhagavān uvāca
kutas tvā kaśmalam idaṁ
viṣame samupasthitam
anārya-juṣṭam asvargyam
akīrti-karam arjuna

Synonyms

śrī-bhagavān uvāca — die Höchste Persönlichkeit Gottes sagte; kutaḥ — woher; tvā — zu dir; kaśmalam — Unreinheit; idam — dieses Klagen; viṣame — in dieser schwierigen Stunde; samupasthitam — gekommen; anārya — Menschen, die die Werte des Lebens nicht kennen; juṣṭam — ausgeübt von; asvargyam — was nicht zu höheren Planeten führt; akīrti — Schande; karam — Ursache von; arjuna — o Arjuna.

Translation

Die Höchste Persönlichkeit Gottes sagte: Mein lieber Arjuna, wie konnten diese Unreinheiten über dich kommen? Sie ziemen sich in keiner Weise für einen Menschen, der die höheren Werte des Lebens kennt. Sie führen nicht zu höheren Planeten, sondern zu Schande.

Purport

ERLÄUTERUNG: Kṛṣṇa und die Höchste Persönlichkeit Gottes sind identisch. Deshalb wird Śrī Kṛṣṇa die ganze Gītā hindurch als Bhagavān bezeichnet. Bhagavān ist der höchste Aspekt der Absoluten Wahrheit. Die Erkenntnis der Absoluten Wahrheit wird in drei Stufen unterteilt, nämlich in die Erkenntnis der Absoluten Wahrheit als Brahman oder die unpersönliche, alldurchdringende spirituelle Energie, als Paramātmā, der lokalisierte Aspekt des Höchsten im Herzen aller Lebewesen, und als Bhagavān oder die Höchste Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa. Im Śrīmad-Bhāgavatam (1.2.11) wird dieses Verständnis von der Absoluten Wahrheit wie folgt erklärt:

vadanti tat tattva-vidas
tattvaṁ yaj jñānam advayam
brahmeti paramātmeti
bhagavān iti śabdyate

„Die Absolute Wahrheit wird von demjenigen, der sie kennt, in drei Aspekten wahrgenommen, die alle miteinander identisch sind. Diese Aspekte der Absoluten Wahrheit werden als Brahman, Paramātmā und Bhagavān bezeichnet.“

Diese drei göttlichen Aspekte können am Beispiel der Sonne näher erklärt werden, die ebenfalls drei verschiedene Aspekte hat, nämlich den Sonnenschein, die Sonnenoberfläche und den Sonnenplaneten. Wer nur den Sonnenschein studiert, ist ein Schüler auf der untersten Stufe; wer die Oberfläche der Sonne versteht, ist weiter fortgeschritten, und wer in den Sonnenplaneten einzugehen vermag, befindet sich auf der höchsten Stufe. Gewöhnliche Schüler, die sich einfach damit zufriedengeben, den Sonnenschein zu verstehen, das heißt seine universale Ausbreitung und die gleißende Ausstrahlung seines unpersönlichen Wesens, können mit denen verglichen werden, die nur den Brahman-Aspekt der Absoluten Wahrheit zu erkennen vermögen. Der Schüler, der weiter fortgeschritten ist, kann darüber hinaus die Sonnenscheibe erkennen, was mit dem Wissen über den Paramātmā-Aspekt der Absoluten Wahrheit verglichen wird. Und der Schüler, der in das Herz des Sonnenplaneten eindringen kann, wird mit demjenigen verglichen, der die persönlichen Aspekte der Höchsten Absoluten Wahrheit erkennt. Daher sind die bhaktas, das heißt die Transzendentalisten, die den Bhagavān-Aspekt der Absoluten Wahrheit erkannt haben, die höchsten Transzendentalisten, wenngleich alle, die sich dem Studium der Absoluten Wahrheit widmen, sich mit dem gleichen Thema befassen. Der Sonnenschein, die Sonnenscheibe und die Geschehnisse auf dem Sonnenplaneten können nicht voneinander getrennt werden, und dennoch gehören die Schüler, die diese drei verschiedenen Aspekte studieren, nicht zur gleichen Kategorie.

Das Sanskritwort bhagavān wird von der großen Autorität Parāśara Muni, dem Vater Vyāsadevas, wie folgt erklärt: Die Höchste Persönlichkeit, die allen Reichtum, alle Stärke, allen Ruhm, alle Schönheit, alles Wissen und alle Entsagung in Sich birgt, wird Bhagavān genannt. Es gibt viele Menschen, die sehr reich, sehr mächtig, sehr schön, sehr berühmt, sehr gelehrt und sehr entsagungsvoll sind, aber niemand kann behaupten, er besitze allen Reichtum, alle Stärke usw. in vollem Umfang. Nur Kṛṣṇa kann diesen Anspruch erheben, denn Er ist die Höchste Persönlichkeit Gottes. Kein Lebewesen, nicht einmal Brahmā, Śiva oder Nārāyaṇa, kann Reichtümer in solcher Fülle besitzen wie Kṛṣṇa. Deshalb kommt Brahmā in der Brahma-saṁhitā zu dem Schluß, daß Śrī Kṛṣṇa die Höchste Persönlichkeit Gottes ist. Niemand kommt Ihm gleich, und niemand steht über Ihm. Er ist der urerste Herr, Bhagavān, bekannt als Govinda, und Er ist die höchste Ursache aller Ursachen.

īśvaraḥ paramaḥ kṛṣṇaḥ
sac-cid-ānanda-vigrahaḥ
anādir ādir govindaḥ
sarva-kāraṇa-kāraṇam

„Es gibt viele Persönlichkeiten, die die Eigenschaften Bhagavāns besitzen, aber Kṛṣṇa ist die höchste, da Ihn niemand übertreffen kann. Er ist die Höchste Person, und Sein Körper ist ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. Er ist der urerste Herr, Govinda, und Er ist die Ursache aller Ursachen.“ (Brahma-saṁhitā 5.1)

Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man eine Liste vieler Inkarnationen der Höchsten Persönlichkeit Gottes, doch auch dort wird Kṛṣṇa als die ursprüngliche Persönlichkeit Gottes beschrieben, von der viele, viele Inkarnationen und Persönlichkeiten Gottes ausgehen:

ete cāṁśa-kalāḥ puṁsaḥ
kṛṣṇas tu bhagavān svayam
indrāri-vyākulaṁ lokaṁ
mṛḍayanti yuge yuge

„All die hier aufgeführten Inkarnationen Gottes sind entweder vollständige Erweiterungen oder Teile der vollständigen Erweiterungen des Höchsten Gottes, doch Kṛṣṇa ist die Höchste Persönlichkeit Gottes Selbst.“ (Śrīmad-Bhāgavatam 1.3.28)

Somit ist Kṛṣṇa die ursprüngliche Höchste Persönlichkeit Gottes, die Absolute Wahrheit, der Ursprung sowohl der Überseele als auch des unpersönlichen Brahman.

In der Gegenwart der Höchsten Persönlichkeit Gottes war Arjunas Klage um seine Verwandten gewiß unangebracht, und daher gebrauchte Kṛṣṇa das Wort kutaḥ („woher“), um Seine Überraschung zum Ausdruck zu bringen. Solche Unreinheiten erwartet man niemals von jemandem, der zur zivilisierten Klasse der Menschen, den Āryas, gehört. Das Wort ārya trifft auf Menschen zu, die den Wert des Lebens kennen und eine auf spirituelle Erkenntnis gründende Zivilisation haben. Menschen, die sich von der materiellen Lebensauffassung leiten lassen, wissen nicht, daß das Ziel des Lebens die Erkenntnis der Absoluten Wahrheit ist, das heißt die Erkenntnis Viṣṇus oder Bhagavāns. Sie lassen sich von den äußeren Erscheinungen der materiellen Welt fesseln und wissen deshalb nicht, was Befreiung ist. Menschen, die nicht wissen, was Befreiung aus materieller Knechtschaft bedeutet, werden als Nicht- Āryas bezeichnet. Als Arjuna, der ein kṣatriya war, sich weigerte zu kämpfen, bedeutete dies, daß er von seinen vorgeschriebenen Pflichten abwich. Ein solch feiges Verhalten geziemt sich niemals für einen Ārya. Auf diese Weise von der Pflicht abzuweichen hilft einem nicht, im spirituellen Leben fortzuschreiten; ebensowenig verschafft es einem die Möglichkeit, in dieser Welt zu Ruhm zu kommen. Śrī Kṛṣṇa billigte Arjunas sogenanntes Mitleid mit seinen Verwandten nicht.

Text

klaibyaṁ mā sma gamaḥ pārtha
naitat tvayy upapadyate
kṣudraṁ hṛdaya-daurbalyaṁ
tyaktvottiṣṭha paran-tapa

Synonyms

klaibyam — Kraftlosigkeit; sma — nicht; gamaḥ — nimm an; pārtha — o Sohn Pṛthās; na — niemals; etat — diese; tvayi — dir; upapadyate — ist angemessen; kṣudram — kleinlich; hṛdaya — des Herzens; daurbalyam — Schwäche; tyaktvā — aufgebend; uttiṣṭha — erhebe dich; param-tapa — o Bezwinger der Feinde.

Translation

O Sohn Pṛthās, gib dieser entwürdigenden Schwachheit nicht nach. Sie ist dir nicht angemessen. Gib diese kleinliche Schwäche des Herzens auf und erhebe dich, o Bezwinger des Feindes.

Purport

ERLÄUTERUNG: Indem Kṛṣṇa Arjuna hier als „Sohn Pṛthās“ anspricht, weist Er darauf hin, daß sie Blutsverwandte sind, denn Pṛthā ist die Schwester Seines Vaters Vasudeva. Wenn sich der Sohn eines kṣatriya weigert zu kämpfen, ist er nur dem Namen nach ein kṣatriya, ebenso wie der Sohn eines brāhmaṇa, der gottlos handelt, nur dem Namen nach ein brāhmaṇa ist. Solche kṣatriyas und brāhmaṇas sind unwürdige Söhne ihrer Väter. Kṛṣṇa wollte nicht, daß Arjuna der unwürdige Sohn eines kṣatriya wurde, denn Arjuna war Sein engster Freund, weshalb Er ihm auf dem Streitwagen direkte Führung gab. Aber wenn sich Arjuna nun trotz all dieser Vorteile, die er genoß, von der Schlacht zurückzöge, wäre dies eine Handlung, die zu Schande führt. Deshalb sagte Kṛṣṇa, eine solche Haltung zieme sich nicht für eine Persönlichkeit wie Arjuna. Arjuna könnte einwenden, daß seine Haltung die der Großmut gegenüber dem höchst ehrwürdigen Bhīṣma und seinen Verwandten sei und daß er deshalb nicht an der Schlacht teilnehmen wolle, doch Kṛṣṇa bezeichnete diese Art von Großmut als bloße Schwachheit des Herzens. Solche falsche Großmut wird von keiner Autorität gebilligt. Deshalb sollten Menschen wie Arjuna unter der direkten Führung Kṛṣṇas solche Großmut oder sogenannte Gewaltlosigkeit aufgeben.

Text

arjuna uvāca
kathaṁ bhīṣmam ahaṁ saṅkhye
droṇaṁ ca madhusūdana
iṣubhiḥ pratiyotsyāmi
pūjārhāv ari-sūdana

Synonyms

arjunaḥ uvāca — Arjuna sagte; katham — wie; bhīṣmam — Bhīṣma; aham — ich; saṅkhye — im Kampf; droṇam — Droṇa; ca — ebenfalls; madhu-sūdana — o Töter Madhus; iṣubhiḥ — mit Pfeilen; pratiyotsyāmi — soll bekämpfen; pūjā-arhau — diejenigen, die verehrungswürdig sind; ari-sūdana — o Töter der Feinde.

Translation

Arjuna sagte: O Töter der Feinde, o Töter Madhus, wie kann ich Männer wie Bhīṣma und Droṇa, die meiner Verehrung würdig sind, in dieser Schlacht mit Pfeilen bekämpfen?

Purport

ERLÄUTERUNG: Achtbare Höhergestellte, wie Bhīṣma, der Großvater, und Droṇācārya, der Lehrer, sind immer verehrenswert. Selbst wenn sie angreifen, sollte man sie nicht bekämpfen. Es ist eine allgemeine Verhaltensregel, daß man mit Höherstehenden nicht einmal ein Wortgefecht führen soll. Selbst wenn sie manchmal grob sein mögen, sollte man ihnen nicht grob begegnen. Wie soll es also Arjuna möglich sein, ihnen entgegenzutreten? Würde Kṛṣṇa jemals Seinen eigenen Großvater, Ugrasena, oder Seinen Lehrer, Sāndīpani Muni, angreifen? So lauteten einige der Einwände, die Arjuna Kṛṣṇa gegenüber vorbrachte.

Text

gurūn ahatvā hi mahānubhāvān
śreyo bhoktuṁ bhaikṣyam apīha loke
hatvārtha-kāmāṁs tu gurūn ihaiva
bhuñjīya bhogān rudhira-pradigdhān

Synonyms

gurūn — die Höhergestellten; ahatvā — nicht zu töten; hi — gewiß; mahā- anubhāvān — große Seelen; śreyaḥ — es ist besser; bhoktum — das Leben zu genießen; bhaikṣyam — durch Betteln; api — sogar; iha — in diesem Leben; loke — auf dieser Welt; hatvā — zu töten; artha — Gewinn; kāmān — begehrend; tu — aber; gurūn — Höhergestellte; iha — auf dieser Welt; eva — gewiß; bhuñjīya — man muß genießen; bhogān — angenehme Dinge; rudhira — Blut; pradigdhān — befleckt mit.

Translation

Es wäre besser, in dieser Welt vom Betteln zu leben als auf Kosten des Lebens großer Seelen, die meine Lehrer sind. Obwohl sie vom Wunsch nach weltlichem Gewinn getrieben werden, sind sie immer noch Höhergestellte. Wenn sie getötet werden, würde alles, was wir genießen, mit Blut befleckt sein.

Purport

ERLÄUTERUNG: Den Unterweisungen der Schriften gemäß soll man einen Lehrer, der eine abscheuliche Handlung begeht und sein Unterscheidungsvermögen verloren hat, aufgeben. Bhīṣma und Droṇa waren wegen Duryodhanas finanzieller Hilfe verpflichtet, sich auf seine Seite zu stellen, wenngleich sie eine solche Stellung, nur aufgrund finanzieller Überlegungen, nicht hätten annehmen sollen. Unter diesen Umständen hatten sie ihr Ansehen als Lehrer verloren. Arjuna jedoch glaubte, sie blieben trotzdem seine Vorgesetzten, und sie zu töten, um nachher materiellen Reichtum zu genießen, würde bedeuten, blutbefleckten Reichtum zu genießen.

Text

na caitad vidmaḥ kataran no garīyo
yad vā jayema yadi vā no jayeyuḥ
yān eva hatvā na jijīviṣāmas
te ’vasthitāḥ pramukhe dhārtarāṣṭrāḥ

Synonyms

na — nicht; ca — auch; etat — dies; vidmaḥ — wissen wir; katarat — was; naḥ — für uns; garīyaḥ — besser; yat — ob; jayema — wir besiegen; yadi — falls; — oder; naḥ — uns; jayeyuḥ — sie besiegen; yān — diejenigen, die; eva — gewiß; hatvā — durch Töten; na — niemals; jijīviṣāmaḥ — wir werden leben wollen; te — sie alle; avasthitāḥ — befinden sich; pramukhe — gegenüber; dhārtarāṣṭrāḥ — die Söhne Dhṛtarāṣṭras.

Translation

Auch wissen wir nicht, was besser ist – die Söhne Dhṛtarāṣṭras zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden. Wenn wir sie töten, wäre es besser, nicht mehr zu leben. Doch nun stehen sie vor uns auf dem Schlachtfeld.

Purport

ERLÄUTERUNG: Obwohl Kämpfen die Pflicht der kṣatriyas ist, hatte Arjuna Zweifel: Sollte er kämpfen und es damit riskieren, unnötig Gewalt anzuwenden, oder sollte er sich zurückziehen und vom Betteln leben. Falls er den Feind nicht bezwänge, wäre Betteln das einzige Mittel, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Auch war der Sieg nicht sicher, da jede Seite aus der Schlacht siegreich hervorgehen konnte. Selbst wenn der Sieg sie erwartete (und ihre Sache war gerecht), wäre es sehr schwer, in der Abwesenheit der Söhne Dhṛtarāṣṭras zu leben, wenn diese in der Schlacht fielen. Unter diesen Umständen wäre das eine andere Art von Niederlage. All diese Überlegungen Arjunas beweisen eindeutig, daß er nicht nur ein großer Geweihter des Herrn war, sondern daß er auch sehr erleuchtet war und vollkommene Herrschaft über seinen Geist und seine Sinne besaß. Sein Wunsch, sich durch Betteln am Leben zu erhalten, obwohl er in einer königlichen Familie geboren worden war, ist ein weiteres Zeichen von Loslösung. Arjunas Tugendhaftigkeit steht außer Frage, wie diese Eigenschaften und sein Glauben an die unterweisenden Worte Śrī Kṛṣṇas (seines spirituellen Meisters) zeigen. Man kann hieraus schließen, daß Arjuna durchaus geeignet war, Befreiung zu erlangen. Solange die Sinne nicht beherrscht sind, besteht keine Möglichkeit, auf die Ebene von Wissen erhoben zu werden, und ohne Wissen und Hingabe ist es nicht möglich, Befreiung zu erlangen. Arjuna erfüllte all diese Voraussetzungen, abgesehen davon, daß er auch in materieller Hinsicht hervorragende Eigenschaften besaß.

Text

kārpaṇya-doṣopahata-svabhāvaḥ
pṛcchāmi tvāṁ dharma-sammūḍha-cetāḥ
yac chreyaḥ syān niścitaṁ brūhi tan me
śiṣyas te ’haṁ śādhi māṁ tvāṁ prapannam

Synonyms

kārpaṇya — des Geizes; doṣa — durch Schwäche; upahata — beeinflußt; sva-bhāvaḥ — Kennzeichen; pṛcchāmi — ich frage; tvām — Dich; dharma — Religion; sammūḍha — verwirrt; cetāḥ — im Herzen; yat — was; śreyaḥ — in jeder Beziehung gut; syāt — möge sein; niścitam — im Vertrauen; brūhi — sage; tat — das; me — mir; śiṣyaḥ — Schüler; te — Dein; aham — ich bin; śādhi — unterweise; mām — mich; tvām — Dir; prapannam — ergeben.

Translation

Nun bin ich verwirrt und weiß nicht mehr, was meine Pflicht ist, und ich habe aus geiziger Schwäche meine Fassung verloren. In diesem Zustand bitte ich Dich, mir klar zu sagen, was das Beste für mich ist. Jetzt bin ich Dein Schüler und eine Dir ergebene Seele. Bitte unterweise mich.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es liegt in der Natur dieser Welt, daß das ganze System materieller Tätigkeiten für jeden eine Quelle der Verwirrung darstellt. Auf Schritt und Tritt gibt es Verwirrung, und deswegen ist es erforderlich, sich an einen echten spirituellen Meister zu wenden, der einem die richtige Führung geben kann, so daß man in der Lage ist, den Sinn des Lebens zu erfüllen. Alle vedischen Schriften geben uns den Rat, einen spirituellen Meister aufzusuchen, um von den Verwirrungen des Lebens frei zu werden, die auftreten, ohne daß wir es uns wünschen. Sie gleichen einem Waldbrand, der wütet, ohne von jemandem entfacht worden zu sein. Die Lage dieser Welt ist so beschaffen, daß Verwirrungen im Leben von selbst entstehen, obwohl wir sie uns nicht wünschen. Niemand will, daß es brennt, aber dennoch geschieht es, und wir sind verwirrt. Damit man diese Verwirrungen des Lebens lösen und die Wissenschaft dieser Lösung verstehen kann, rät uns die vedische Weisheit, einen spirituellen Meister aufzusuchen, der sich in der Schülernachfolge befindet. Von einem Menschen mit einem echten spirituellen Meister erwartet man, daß er alles weiß. Man sollte deshalb nicht in materiellen Verwirrungen verstrickt bleiben, sondern sich an einen spirituellen Meister wenden. Das ist die Bedeutung dieses Verses.

Wer ist den materiellen Verwirrungen ausgesetzt? Es ist derjenige, der die Probleme des Lebens nicht versteht. In der Bṛhad-āraṇyaka Upaniṣad (3.8.10) wird der verwirrte Mensch wie folgt beschrieben: yo vā etad akṣaraṁ gārgy aviditvāsmāl lokāt praiti sa kṛpaṇaḥ. „Wer in der menschlichen Form die Probleme des Lebens nicht löst, ist ein Geizhals, und daher verläßt er diese Welt wie die Katzen und Hunde, ohne die Wissenschaft der Selbstverwirklichung zu verstehen.“

Die menschliche Lebensform ist ein überaus kostbares Gut für das Lebewesen, denn es kann sie zur Lösung der Probleme des Lebens nutzen; wer daher diese Gelegenheit nicht richtig nutzt, ist ein Geizhals. Andererseits gibt es den brāhmaṇa, das heißt den Menschen, der intelligent genug ist, den Körper zur Lösung aller Probleme des Lebens zu nutzen. Ya etad akṣaraṁ gārgi viditvāsmāl lokāt praiti sa brāhmaṇaḥ.

Die kṛpaṇas oder Geizhälse verschwenden ihre Zeit mit übermäßiger Zuneigung zu Familie, Gesellschaft, Land usw. in der materiellen Lebensauffassung. Der Mensch ist oft ans Familienleben, an die Frau, die Kinder und die anderen Angehörigen angehaftet, und dies aufgrund von „Hautkrankheit“. Der kṛpaṇa glaubt, er könne seine Familienangehörigen vor dem Tode schützen, oder er denkt, seine Familie oder Gesellschaft könne ihn vor dem Rachen des Todes retten. Solche Familienanhaftung kann man selbst bei niederen Tieren finden, die sich ebenfalls um ihre Jungen sorgen. Da Arjuna intelligent war, konnte er erkennen, daß die Zuneigung zu seinen Familienangehörigen und sein Wunsch, sie vor dem Tode zu schützen, die Ursachen seiner Verwirrung waren. Obwohl er verstand, daß es seine Pflicht war zu kämpfen, konnte er aufgrund geiziger Schwäche seine Pflichten nicht erfüllen. Er bittet daher Śrī Kṛṣṇa, den höchsten spirituellen Meister, eine endgültige Lösung zu finden. Er bietet sich Kṛṣṇa als Schüler an, und er möchte alle freundschaftlichen Gespräche beenden. Gespräche zwischen dem Meister und dem Schüler sind ernst, und nun will sich Arjuna mit seinem anerkannten spirituellen Meister mit Ernsthaftigkeit unterhalten. Kṛṣṇa ist daher der ursprüngliche spirituelle Meister in der Wissenschaft der Bhagavad-gītā, und Arjuna ist der erste Schüler, der die Gītā versteht. Wie Arjuna die Bhagavad-gītā versteht, wird in der Gītā selbst gesagt. Und dennoch erklären törichte weltliche Gelehrte, es sei nicht notwendig, sich Kṛṣṇa als Person zu ergeben, sondern vielmehr dem „Ungeborenen in Kṛṣṇa“. Es besteht kein Unterschied zwischen Kṛṣṇas Innerem und Kṛṣṇas Äußerem. Jemand, der unfähig ist, dies zu verstehen, erweist sich bei dem Versuch, die Bhagavad-gītā zu verstehen, als der größte Narr.

Text

na hi prapaśyāmi mamāpanudyād
yac chokam ucchoṣaṇam indriyāṇām
avāpya bhūmāv asapatnam ṛddhaṁ
rājyaṁ surāṇām api cādhipatyam

Synonyms

na — nicht; hi — gewiß; prapaśyāmi — ich sehe; mama — meine; apanudyāt — kann vertreiben; yat — das, was; śokam — Klage; ucchoṣaṇam — austrocknend; indriyāṇām — der Sinne; avāpya — erreichend; bhūmau — auf der Erde; asapatnam — ohne Rivalen; ṛddham — blühendes; rājyam — Königreich; surāṇām — der Halbgötter; api — sogar; ca — auch; ādhipatyam — Oberherrschaft.

Translation

Ich kann kein Mittel finden, diesen Kummer zu vertreiben, der meine Sinne austrocknet. Ich könnte nicht einmal davon frei werden, wenn ich ein blühendes und unangefochtenes Königreich auf der Erde gewänne und die Macht der Halbgötter im Himmel besäße.

Purport

ERLÄUTERUNG: Obwohl Arjuna so viele Einwände vorbrachte, die auf Kenntnis der Grundsätze von Religion und Moral beruhten, stellt es sich hier nun heraus, daß er seine eigentlichen Probleme nicht ohne die Hilfe des spirituellen Meisters, Śrī Kṛṣṇa, zu lösen vermochte. Er sah, daß sein sogenanntes Wissen nutzlos war, wenn es darum ging, die Probleme zu bewältigen, die seine ganze Existenz austrockneten, und es war ihm unmöglich, seine Verwirrung ohne die Hilfe eines spirituellen Meisters wie Śrī Kṛṣṇa zu lösen. Akademisches Wissen, Gelehrsamkeit, eine hohe Stellung usw. sind nutzlos, wenn es darum geht, die Probleme des Lebens zu lösen. Hilfe kann nur ein spiritueller Meister wie Kṛṣṇa geben. Die Schlußfolgerung lautet daher, daß ein spiritueller Meister, der zu einhundert Prozent Kṛṣṇa-bewußt ist, der echte spirituelle Meister ist, da er die Probleme des Lebens lösen kann. Śrī Caitanya sagte, daß jemand, der Meister in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins ist, ungeachtet seiner sozialen Stellung, der wahre spirituelle Meister ist. Im Caitanya-caritāmṛta (Madhya 8.128) heißt es:

kibā vipra, kibā nyāsī, śūdra kene naya
yei kṛṣṇa-tattva-vettā, sei ‘guru’ haya

„Es ist gleichgültig, ob jemand ein vipra [ein großer Gelehrter im vedischen Wissen] ist, ob er in einer niedrigen Familie geboren wurde oder ob er im Lebensstand der Entsagung steht – wenn er Meister in der Wissenschaft von Kṛṣṇa ist, ist er der vollkommene und echte spirituelle Meister.“

Mit anderen Worten, nur jemand, der ein Meister in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins ist, kann als echter spiritueller Meister bezeichnet werden. In den vedischen Schriften heißt es auch:

ṣaṭ-karma-nipuṇo vipro
mantra-tantra-viśāradaḥ
avaiṣṇavo gurur na syād
vaiṣṇavaḥ śva-paco guruḥ

„Ein gelehrter brāhmaṇa, der auf allen Gebieten des vedischen Wissens bewandert ist, eignet sich nicht als spiritueller Meister, wenn er kein Vaiṣṇava, kein Kenner der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins, ist. Jemand aber, der in einer Familie aus einer niederen Kaste geboren wurde, kann spiritueller Meister werden, wenn er ein Vaiṣṇava ist, das heißt, wenn er Kṛṣṇa-bewußt ist.“ (Padma Purāṇa)

Den Problemen des materiellen Daseins – Geburt, Alter, Krankheit und Tod – kann nicht durch Anhäufung von Reichtum und nicht durch wirtschaftlichen Fortschritt entgegengewirkt werden. In vielen Teilen der Welt gibt es Staaten, denen alle Annehmlichkeiten des Lebens zur Verfügung stehen, die sehr reich und wirtschaftlich fortgeschritten sind und die trotzdem immer noch mit den Problemen des materiellen Daseins zu kämpfen haben. Sie suchen auf verschiedenen Wegen nach Frieden, aber wirkliches Glück können sie nur dann erlangen, wenn sie Kṛṣṇa bzw. die Bhagavad-gītā und das Śrīmad-Bhāgavatam – die die Wissenschaft Kṛṣṇas beinhalten – zu Rate ziehen, und zwar unter der Führung von Kṛṣṇas echtem Stellvertreter, das heißt jemandem, der Kṛṣṇa-bewußt ist.

Wenn wirtschaftlicher Fortschritt und materielle Annehmlichkeiten das Klagen um familiäre, soziale, nationale und internationale Trugbilder vertreiben könnten, hätte Arjuna nicht gesagt, daß selbst ein unangefochtenes Königreich auf Erden oder eine mächtige Stellung wie die der Halbgötter auf den himmlischen Planeten nicht imstande seien, sein Leid zu vertreiben. Er suchte daher Zuflucht im Kṛṣṇa-Bewußtsein, und das ist der richtige Weg zu Frieden und Harmonie. Wirtschaftlicher Fortschritt oder Herrschaft über die Welt können jeden Augenblick durch die Umwälzungen der materiellen Natur beendet werden. Selbst das Leben auf einem höheren Planeten, wie zum Beispiel auf dem Mond, den die Menschen heute zu erreichen versuchen, kann mit einem Schlag beendet werden. Die Bhagavad-gītā bestätigt dies: kṣīṇe puṇye martya- lokaṁ viśanti. „Wenn die Früchte frommer Werke aufgezehrt sind, fällt man vom Gipfel höchsten Glücks wieder auf die niedrigste Stufe des Lebens zurück.“ Viele Politiker der Welt sind auf diese Weise zu Fall gekommen, und so endeten ihre Laufbahnen nur in Klagen.

Wenn wir daher unser Klagen ein für allemal bezwingen wollen, müssen wir bei Kṛṣṇa Zuflucht suchen, wie es auch Arjuna erstrebt. Arjuna bat also Kṛṣṇa, seine Probleme endgültig zu lösen, und darin besteht der Vorgang des Kṛṣṇa-Bewußtseins.

Text

sañjaya uvāca
evam uktvā hṛṣīkeśaṁ
guḍākeśaḥ paran-tapaḥ
na yotsya iti govindam
uktvā tūṣṇīṁ babhūva ha

Synonyms

sañjayaḥ uvāca — Sañjaya sagte; evam — so; uktvā — sprechend; hṛṣīkeśam — zu Kṛṣṇa, dem Meister der Sinne; guḍākeśaḥ — Arjuna, der Meister im Bezwingen von Unwissenheit; param-tapaḥ — der Bezwinger der Feinde; na yotsye — ich werde nicht kämpfen; iti — so; govindam — zu Kṛṣṇa, der den Sinnen Freude spendet; uktvā — sagend; tūṣṇīm — schweigend; babhūva — wurde; ha — gewiß.

Translation

Sañjaya sagte: Nachdem Arjuna, der Bezwinger der Feinde, so gesprochen hatte, sagte er zu Kṛṣṇa: „Govinda, ich werde nicht kämpfen!“ und verstummte.

Purport

ERLÄUTERUNG: Dhṛtarāṣṭra muß sehr erfreut gewesen sein, als er hörte, daß Arjuna nicht kämpfen wollte und statt dessen beabsichtigte, das Schlachtfeld zu verlassen, um ein Bettler zu werden. Aber gleichzeitig mußte Sañjaya ihn wieder enttäuschen, indem er ihm mitteilte, daß Arjuna fähig war, seine Feinde zu töten (paran-tapaḥ). Obwohl Arjuna aus Zuneigung zu seiner Familie vorübergehend von falschem Schmerz überwältigt war, hatte er sich Kṛṣṇa, dem höchsten spirituellen Meister, als Schüler ergeben. Dies deutete auf das baldige Ende seiner falschen Klagen hin, die aus Familienzuneigung entstanden waren; erleuchtet mit vollkommenem Wissen über Selbstverwirklichung oder Kṛṣṇa-Bewußtsein, würde er dann mit Sicherheit kämpfen. Auf diese Weise sollte sich Dhṛtarāṣṭra schon bald in seinen Hoffnungen getäuscht sehen, weil Arjuna dank Kṛṣṇas Unterweisungen bis zum letzten kämpfen würde.

Text

tam uvāca hṛṣīkeśaḥ
prahasann iva bhārata
senayor ubhayor madhye
viṣīdantam idaṁ vacaḥ

Synonyms

tam — zu ihm; uvāca — sagte; hṛṣīkeśaḥ — der Meister der Sinne, Kṛṣṇa; prahasan — lächelnd; iva — so; bhārata — o Dhṛtarāṣṭra, Nachkomme Bharatas; senayoḥ — der Heere; ubhayoḥ — beider Seiten; madhye — zwischen; viṣīdantam — zu dem Klagenden; idam — die folgenden; vacaḥ — Worte.

Translation

O Nachkomme Bharatas, da sprach Kṛṣṇa in der Mitte zwischen den beiden Heeren zu dem kummervollen Arjuna lächelnd die folgenden Worte.

Purport

ERLÄUTERUNG: Das Gespräch fand zwischen engen Freunden statt, zwischen Hṛṣīkeśa und Guḍākeśa. Als Freunde befanden sich beide auf der gleichen Ebene, doch einer wurde freiwillig der Schüler des anderen. Kṛṣṇa lächelte, weil sich ein Freund entschlossen hatte, ein Schüler zu werden. Er ist der Herr allen Seins, der Meister eines jeden, und deshalb befindet Er Sich immer in einer höheren Stellung; und doch ist Er bereit, als Freund, Sohn oder Geliebter zu erscheinen, wenn ein Gottgeweihter Ihn in einer solchen Rolle sehen will. Als Er aber als Meister akzeptiert wurde, nahm Er sogleich diese Rolle an und sprach mit dem Schüler wie ein Meister – mit Ernst, wie es der Lage angemessen war. Offensichtlich wurde dieses Gespräch zwischen dem Meister und dem Schüler öffentlich, vor beiden Heeren, geführt, so daß alle ihren Nutzen daraus ziehen konnten. Die Gespräche der Bhagavad-gītā sind also nicht für eine bestimmte Person, Gesellschaft oder Gemeinschaft gedacht, sondern für alle, und Freunde wie Feinde haben gleichermaßen das Recht, sie zu hören.

Text

śrī-bhagavān uvāca
aśocyān anvaśocas tvaṁ
prajñā-vādāṁś ca bhāṣase
gatāsūn agatāsūṁś ca
nānuśocanti paṇḍitāḥ

Synonyms

śrī-bhagavān uvāca — die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach; aśocyān — das, was nicht des Klagens wert ist; anvaśocaḥ — du beklagst; tvam — du; prajñā-vādān — gelehrte Worte; ca — auch; bhāṣase — sprechend; gata — verlorenes; asūn — Leben; agata — nicht vergangenes; asūn — Leben; ca — auch; na — niemals; anuśocanti — beklagen; paṇḍitāḥ — die Gelehrten.

Translation

Die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach: Während du gelehrte Worte sprichst, betrauerst du, was des Kummers nicht wert ist. Die Weisen beklagen weder die Lebenden noch die Toten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Herr nahm sogleich die Stellung des Lehrers ein und rügte den Schüler, indem Er ihn indirekt einen Toren nannte. Der Herr sagte: „Du sprichst wie ein Gelehrter, aber du weißt nicht, daß jemand, der wirklich gelehrt ist – der weiß, was der Körper und was die Seele ist –, zu keiner Zeit die Verfassung des Körpers beklagt, weder im lebenden noch im toten Zustand.“ Wie aus späteren Kapiteln eindeutig hervorgehen wird, bedeutet Wissen, die Materie, die spirituelle Seele und den Lenker von beiden zu kennen. Arjuna wandte ein, religiösen Grundsätzen solle mehr Bedeutung beigemessen werden als Politik oder Soziologie, aber er wußte nicht, daß Wissen von der Materie, der Seele und dem Höchsten sogar noch wichtiger ist als religiöse Formeln. Und weil es ihm an diesem Wissen fehlte, hätte er sich nicht als großer Gelehrter ausgeben sollen. Da er nun tatsächlich kein großer Gelehrter war, klagte er um etwas, was des Klagens nicht wert war. Der Körper wird geboren und hat das Schicksal, heute oder morgen zu vergehen; deshalb ist der Körper nicht so wichtig wie die Seele. Wer dies weiß, ist wahrhaft gelehrt, und für ihn gibt es keinen Grund zu klagen – ungeachtet des Zustands, in dem sich der materielle Körper befindet.

Text

na tv evāhaṁ jātu nāsaṁ
na tvaṁ neme janādhipāḥ
na caiva na bhaviṣyāmaḥ
sarve vayam ataḥ param

Synonyms

na — niemals; tu — aber; eva — gewiß; aham — Ich; jātu — zu irgendeiner Zeit; na — nicht; āsam — existierte; na — nicht; tvam — du; na — nicht; ime — all diese; jana-adhipāḥ — Könige; na — niemals; ca — auch; eva — gewiß; na — nicht; bhaviṣyāmaḥ — werden existieren; sarve vayam — wir alle; ataḥ param — hiernach.

Translation

Niemals gab es eine Zeit, als Ich oder du oder all diese Könige nicht existierten, und ebenso wird niemals in der Zukunft einer von uns aufhören zu sein.

Purport

ERLÄUTERUNG: In den Veden, in der Kaṭha Upaniṣad wie auch in der Śvetāśvatara Upaniṣad, heißt es, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes der Erhalter unzähliger Lebewesen ist und sie versorgt – je nach ihren unterschiedlichen Lebensumständen, die aus individueller Tätigkeit und der Reaktion auf diese Tätigkeit resultieren. Der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes, befindet Sich durch Seine vollständigen Teilerweiterungen im Herzen eines jeden Lebewesens. Nur heilige Menschen, die den gleichen Höchsten Herrn sowohl innerhalb als auch außerhalb aller Dinge wahrnehmen können, sind imstande, wahrhaft vollkommenen und ewigen Frieden zu erlangen.

nityo nityānāṁ cetanaś cetanānām
eko bahūnāṁ yo vidadhāti kāmān
tam ātma-sthaṁ ye ’nupaśyanti dhīrās
teṣāṁ śāntiḥ śāśvatī netareṣām

(Kaṭha Upaniṣad 2.2.13)

Die gleiche vedische Wahrheit, die Arjuna verkündet wurde, wird allen Menschen auf der Welt verkündet, die sich als sehr gelehrt hinstellen, aber in Wirklichkeit nur über dürftiges Wissen verfügen. Der Herr sagt eindeutig, daß Er Selbst, Arjuna und all die auf dem Schlachtfeld versammelten Könige ewig individuelle Wesen sind und daß Er ewig der Erhalter der individuellen Lebewesen ist, sowohl in ihrem bedingten als auch in ihrem befreiten Zustand. Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist die höchste individuelle Person, und Arjuna, der ewige Gefährte des Herrn, und all die dort versammelten Könige sind ebenfalls individuelle, ewige Personen. Es ist nicht so, daß sie in der Vergangenheit nicht als Individuen existiert haben, und es ist nicht so, daß sie nicht ewige Individuen bleiben werden. Ihre Individualität existierte in der Vergangenheit, und ihre Individualität wird in der Zukunft ohne Unterbrechung weiterbestehen. Deshalb besteht für niemanden Grund zu klagen.

Śrī Kṛṣṇa, die höchste Autorität, widerspricht hier der Theorie der Māyāvādīs, die besagt, daß die Individualität der Seele nur so lange existiere, wie sie von māyā oder Illusion bedeckt sei, und daß sie nach der Befreiung mit dem unpersönlichen Brahman verschmelzen und ihre individuelle Existenz verlieren werde. Ebensowenig wird die Theorie unterstützt, daß wir uns im bedingten Zustand Individualität nur einbilden. Kṛṣṇa sagt hier unmißverständlich, daß Seine Individualität und die aller anderen Lebewesen, wie in den Upaniṣaden bestätigt wird, auch in der Zukunft ewiglich fortbestehen wird. Diese Erklärung Kṛṣṇas ist maßgebend, denn Kṛṣṇa kann nicht der Illusion unterliegen. Wenn Individualität keine Tatsache wäre, hätte Kṛṣṇa sie nicht so sehr betont – sogar für die Zukunft. Die Māyāvādīs mögen einwenden, die Individualität, von der Kṛṣṇa spreche, sei nicht spirituell, sondern materiell. Aber wenn dieses Argument, daß Individualität materiell ist, wahr wäre, wie ist dann Kṛṣṇas Individualität zu verstehen? Kṛṣṇa erklärt, daß Seine Individualität in der Vergangenheit existierte und daß sie auch in Zukunft weiter existieren wird. Er hat Seine Individualität auf vielerlei Weise bestätigt, und dazu kommt auch, daß das unpersönliche Brahman Ihm untergeordnet ist. Dabei hat Kṛṣṇa Seine spirituelle Individualität zu jeder Zeit bewahrt. Wenn Er eine gewöhnliche bedingte Seele mit individuellem Bewußtsein wäre, wie manche glauben, dann hätte Seine Bhagavad-gītā als maßgebende Schrift keinen Wert. Ein gewöhnlicher Mensch mit den vier Mängeln menschlicher Unvollkommenheit ist unfähig, etwas zu lehren, was es wert ist, gehört zu werden. Die Gītā steht über solcher Literatur. Kein weltliches Buch ist mit der Bhagavad- gītā vergleichbar. Wenn man Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Menschen hält, verliert die Gītā ihre ganze Bedeutung. Die Māyāvādīs bringen das Argument vor, die in diesem Vers angesprochene Pluralität sei im herkömmlichen Sinne zu verstehen und beziehe sich auf den Körper. Aber bereits im Vers zuvor ist eine solche körperliche Auffassung verurteilt worden. Wie hätte Kṛṣṇa also eine übliche Vorstellung vom Körper vertreten können, nachdem Er doch die körperliche Lebensauffassung der Lebewesen bereits verurteilt hatte? Die Auffassung der Individualität wird daher auf spiritueller Grundlage aufrechterhalten, wie es von großen ācāryas wie Śrī Rāmānuja und anderen bestätigt wird. An vielen Stellen in der Gītā heißt es eindeutig, daß diese spirituelle Individualität nur von denen verstanden wird, die Geweihte des Herrn sind. Diejenigen, die Kṛṣṇa als die Höchste Persönlichkeit Gottes beneiden, haben keinen wahren Zugang zu diesem großartigen Werk. Ein Nichtgottgeweihter, der sich mit den Lehren der Bhagavad-gītā befassen will, gleicht einer Biene, die von außen an einem Honigglas leckt. Man kann den Geschmack des Honigs nicht erfahren, solange man das Glas nicht öffnet. Ebenso können nur die Gottgeweihten die Mystik der Bhagavad-gītā verstehen, und niemand sonst kann davon einen Geschmack bekommen, wie im Vierten Kapitel bestätigt wird. Darüber hinaus ist die Gītā auch nicht für Menschen zugänglich, die auf die bloße Existenz des Herrn neidisch sind. Deshalb ist die Māyāvādī-Auslegung der Gītā eine höchst irreführende Darstellung der Wahrheit. Śrī Caitanya hat uns verboten, Kommentare der Māyāvādīs zu lesen, und Er warnt uns, daß derjenige, der sich der Philosophie der Māyāvādīs zuwendet, jegliche Fähigkeit verliere, das eigentliche Geheimnis der Gītā zu verstehen. Wenn sich Individualität auf das empirische Universum bezöge, dann wären die Lehren des Herrn überflüssig. Die Pluralität der individuellen Seelen und des Herrn ist eine ewige Tatsache und wird, wie oben erwähnt, von den Veden bestätigt.

Text

dehino ’smin yathā dehe
kaumāraṁ yauvanaṁ jarā
tathā dehāntara-prāptir
dhīras tatra na muhyati

Synonyms

dehinaḥ — des Verkörperten; asmin — in diesem; yathā — so wie; dehe — im Körper; kaumāram — Knabenzeit; yauvanam — Jugend; jarā — Alter; tathā — ebenso; deha-antara — des Wechsels des Körpers; prāptiḥ — Erlangung; dhīraḥ — der Besonnene; tatra — diesbezüglich; na — niemals; muhyati — ist getäuscht.

Translation

So wie die verkörperte Seele in diesem Körper fortgesetzt von Knabenzeit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht die Seele beim Tod in ähnlicher Weise in einen anderen Körper ein. Ein besonnener Mensch wird durch einen solchen Wechsel nicht verwirrt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Da jedes Lebewesen eine individuelle Seele ist, wechselt es seinen Körper in jedem Augenblick und manifestiert sich so manchmal als Kind, manchmal als Jugendlicher und manchmal als alter Mann. Dennoch handelt es sich immer um die gleiche spirituelle Seele, die sich nie wandelt. Diese individuelle Seele wechselt den Körper zum Zeitpunkt des Todes endgültig und geht in einen anderen Körper ein, und da sie mit Sicherheit bei der nächsten Geburt einen anderen Körper bekommt – entweder einen materiellen oder einen spirituellen –, gab es für Arjuna keinen Grund, den Tod zu beklagen, auch den Bhīṣmas oder Droṇas nicht, um die er sich so sehr sorgte. Vielmehr sollte er sich freuen, daß sie ihre alten Körper gegen neue eintauschen und so auch neue Kraft bekommen würden. Solche Körperwechsel bedeuten eine Vielfalt von Freuden und Leiden, die sich je nach der Handlungsweise im Leben richten. Da Bhīṣma und Droṇa edle Seelen waren, würden sie in ihrem nächsten Leben mit Gewißheit entweder einen spirituellen Körper oder zumindest ein Leben in einem himmlischen Körper erhalten, in dem ein höherer Genuß des materiellen Daseins möglich ist. In beiden Fällen gab es also keinen Grund zu klagen.

Jeder Mensch, der über vollkommenes Wissen von der Beschaffenheit der individuellen Seele, der Überseele und der Natur, der materiellen wie der spirituellen, verfügt, wird als dhīra, das heißt als höchst besonnener Mensch, bezeichnet. Ein solcher Mensch läßt sich niemals durch den Wechsel von Körpern täuschen.

Die Tatsache, daß die spirituelle Seele nicht in fragmentarische Teile zerlegt werden kann, widerlegt die Māyāvādī-Theorie des Einsseins aller spirituellen Seelen. Wenn der Höchste in verschiedene individuelle Seelen zerteilt werden könnte, würde dies bedeuten, daß Er zerteilbar oder wandelbar ist, was jedoch dem Prinzip widerspricht, daß die Höchste Seele unwandelbar ist. Wie in der Gītā bestätigt wird, bestehen die fragmentarischen Teile des Höchsten ewig (sanātana) und werden kṣara genannt, was bedeutet, daß sie die Neigung haben, in die materielle Natur zu fallen. Diese fragmentarischen Teile sind ewig so beschaffen, und selbst nach der Befreiung bleibt die individuelle Seele der gleiche fragmentarische Teil. Aber wenn sie einmal befreit ist, erreicht sie in der Gemeinschaft der Persönlichkeit Gottes ein ewiges Leben voller Glückseligkeit und Wissen. Die Überseele, auch Paramātmā genannt, befindet Sich in jedem einzelnen individuellen Körper, und obwohl sich die Überseele und das individuelle Lebewesen im selben Körper befinden, sind sie voneinander verschieden. Dies wird durch das folgende Beispiel illustriert. Wenn sich der Himmel auf dem Wasser widerspiegelt, werden sowohl die Sonne und der Mond wie auch die Sterne widergespiegelt. Die Sterne können mit den Lebewesen verglichen werden und die Sonne oder der Mond mit dem Höchsten Herrn. Die individuelle, fragmentarische spirituelle Seele wird von Arjuna repräsentiert, und die Höchste Seele ist die Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa. Sie befinden sich nicht auf der gleichen Ebene, wie der Beginn des Vierten Kapitels deutlich werden läßt. Wenn sich Arjuna auf der gleichen Ebene wie Kṛṣṇa befände und Kṛṣṇa nicht über Arjuna stünde, dann wäre ihre Beziehung als Lehrer und Belehrter bedeutungslos. Wenn beide von der illusionierenden Energie (māyā) getäuscht wären, bestünde keine Notwendigkeit, daß der eine Lehrer und der andere Schüler ist. Solche Unterweisungen wären nutzlos, da niemand, der sich in der Gewalt māyās befindet, ein maßgebender Lehrer sein kann. Hier jedoch wird Śrī Kṛṣṇa als der Höchste Herr anerkannt, der Sich in einer höheren Stellung befindet als das Lebewesen, Arjuna, der eine von māyā irregeführte, vergeßliche Seele ist.

Text

mātrā-sparśās tu kaunteya
śītoṣṇa-sukha-duḥkha-dāḥ
āgamāpāyino ’nityās
tāṁs titikṣasva bhārata

Synonyms

mātrā-sparśāḥ — sinnliche Wahrnehmung; tu — bloß; kaunteya — o Sohn Kuntīs; śīta — Winter; uṣṇa — Sommer; sukha — Glück; duḥkha — und Leid; dāḥ — bereitend; āgama — erscheinend; apāyinaḥ — verschwindend; anityāḥ — unbeständig; tān — sie alle; titikṣasva — versuche einfach zu erdulden; bhārata — o Nachkomme der Bharata-Dynastie.

Translation

O Sohn Kuntīs, das unbeständige Erscheinen von Glück und Leid und ihr Verschwinden im Laufe der Zeit gleichen dem Kommen und Gehen von Sommer und Winter. Sie entstehen durch Sinneswahrnehmung, o Nachkomme Bharatas, und man muß lernen, sie zu dulden, ohne sich verwirren zu lassen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wenn man seine Pflicht richtig erfüllen will, muß man lernen, das unbeständige Erscheinen und Vergehen von Glück und Leid zu erdulden. Nach vedischer Unterweisung muß man frühmorgens ein Bad nehmen, sogar im Monat Māgha (Januar-Februar). Zu dieser Zeit ist es sehr kalt, aber trotzdem zögert ein Mann, der an den religiösen Grundsätzen festhält, nicht, sein Bad zu nehmen. Ebenso zögert eine Frau nicht, während der Monate Mai und Juni, dem heißesten Teil der Sommerzeit, in der Küche zu kochen. Man muß trotz klimabedingter Unbequemlichkeiten seine Pflicht erfüllen. In ähnlicher Weise ist Kämpfen das religiöse Prinzip der kṣatriyas, und auch wenn man mit einem Freund oder Verwandten kämpfen muß, sollte man nicht von seiner vorgeschriebenen Pflicht abweichen. Man muß den vorgeschriebenen Regeln und Regulierungen der religiösen Prinzipien folgen, um zur Ebene des Wissens aufzusteigen, denn nur durch Wissen und Hingabe kann man sich aus den Klauen māyās (der Illusion) befreien.

Die beiden Namen, mit denen Arjuna hier angesprochen wird, sind ebenfalls bedeutsam. Der Name „Kaunteya“ weist auf seine Blutsverwandtschaft mit der berühmten Familie seiner Mutter hin, und der Name „Bhārata“ auf seine Größe von seiten seines Vaters. So ruhte also von beiden Seiten her ein großes Erbe auf ihm, und ein großes Erbe bringt in bezug auf die richtige Erfüllung von Pflichten Verantwortung mit sich. Daher kann er den Kampf nicht vermeiden.

Text

yaṁ hi na vyathayanty ete
puruṣaṁ puruṣarṣabha
sama-duḥkha-sukhaṁ dhīraṁ
so ’mṛtatvāya kalpate

Synonyms

yam — jemand, dem; hi — gewiß; na — niemals; vyathayanti — fügen Leid zu; ete — all diese; puruṣam — einem Menschen; puruṣa-ṛṣabha — o bester unter den Menschen; sama — unverändert; duḥkha — in Leid; sukham — und Glück; dhīram — geduldig; saḥ — er; amṛtatvāya — für Befreiung; kalpate — gilt als geeignet.

Translation

O bester unter den Menschen [Arjuna], wer sich durch Glück und Leid nicht stören läßt, sondern in beidem stetig ist, eignet sich gewiß dazu, Befreiung zu erlangen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Jeder, der mit fester Entschlossenheit nach der fortgeschrittenen Stufe spiritueller Erkenntnis strebt und mit Gleichmut die Angriffe von Leid und Glück erduldet, ist gewiß geeignet, Befreiung zu erlangen. In der varṇāśrama-Einrichtung stellt die vierte Stufe des Lebens, nämlich der Lebensstand der Entsagung (sannyāsa), ein mühevolles Leben dar. Doch jemand, dem es ernst damit ist, sein Leben zu vervollkommnen, tritt mit Sicherheit trotz aller Schwierigkeiten in den sannyāsa-Stand des Lebens ein. Die Schwierigkeiten entstehen im allgemeinen daraus, daß man die Beziehung zu seiner Familie, das heißt die Verbindung zu Frau und Kindern, aufgeben muß. Aber wenn jemand fähig ist, solche Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, ist sein Weg zur spirituellen Erkenntnis zweifellos vollkommen. Ebenso bekommt Arjuna bei seiner Pflichterfüllung als kṣatriya den Rat, standhaft zu bleiben – auch wenn es schwierig ist, mit seinen Familienangehörigen oder anderen nahestehenden Menschen zu kämpfen. Als Śrī Caitanya im Alter von vierundzwanzig Jahren sannyāsa annahm, hatten Seine Angehörigen, nämlich Seine junge Frau und Seine alte Mutter, niemanden außer Ihm, der sich um sie kümmerte. Dennoch nahm Er um einer höheren Sache willen sannyāsa an und erfüllte mit Beständigkeit Seine höheren Pflichten. Das ist der Weg, Befreiung aus der materiellen Knechtschaft zu erlangen.

Text

nāsato vidyate bhāvo
nābhāvo vidyate sataḥ
ubhayor api dṛṣṭo ’ntas
tv anayos tattva-darśibhiḥ

Synonyms

na — nie; asataḥ — des Inexistenten; vidyate — es gibt; bhāvaḥ — Beständigkeit; na — niemals; abhāvaḥ — wechselnde Eigenschaften; vidyate — es gibt; sataḥ — des Ewigen; ubhayoḥ — der beiden; api — wahrlich; dṛṣṭaḥ — beobachtet; antaḥ — Schlußfolgerung; tu — in der Tat; anayoḥ — von ihnen; tattva — der Wahrheit; darśibhiḥ — von denjenigen, die sehen.

Translation

Diejenigen, die die Wahrheit sehen, haben erkannt, daß das Inexistente [der materielle Körper] ohne Dauer und das Ewige [die Seele] ohne Wechsel ist. Zu diesem Schluß sind sie gekommen, nachdem sie das Wesen von beidem studiert hatten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der sich wandelnde Körper ist nicht von Dauer. Daß sich der Körper in jedem Augenblick durch die Aktionen und Reaktionen der verschiedenen Zellen verändert, wird von der modernen Medizin bestätigt, und so finden im Körper Wachstum und Alter statt. Aber die spirituelle Seele besteht fortwährend und bleibt trotz aller Wandlungen des Körpers und des Geistes dieselbe. Das ist der Unterschied zwischen Materie und spiritueller Natur. Von Natur aus wandelt sich der Körper ständig, wohingegen die Seele ewig ist. Dies ist die Schlußfolgerung all derjenigen, die die Wahrheit sehen, sowohl der Unpersönlichkeits- als auch der Persönlichkeitsanhänger. Im Viṣṇu Purāṇa (2.12.38) heißt es, daß Viṣṇu und Seine Planeten alle von selbstleuchtender spiritueller Existenz sind (jyotīṁṣi viṣṇur bhuva nāni viṣṇuḥ). Die Worte „existent“ und „inexistent“ beziehen sich ausschließlich auf die spirituelle Natur bzw. Materie. Dies ist die Ansicht all derjenigen, die die Wahrheit kennen.

Hier beginnen die Unterweisungen des Herrn an die Lebewesen, die durch den Einfluß der Unwissenheit verwirrt sind. Unwissenheit zu beseitigen bedeutet, daß man die ewige Beziehung zwischen dem Verehrenden und dem Verehrten wiederherstellt und folglich den Unterschied zwischen den winzigen, fragmentarischen Lebewesen und der Höchsten Persönlichkeit Gottes versteht. Man kann das Wesen des Höchsten anhand eines eingehenden Studiums seinerselbst verstehen, vorausgesetzt, man sieht den Unterschied zwischen sich selbst und dem Höchsten im Sinne der Beziehung zwischen dem Teil und dem Ganzen. In den Vedānta-sūtras wie auch im Śrīmad-Bhāgavatam wird anerkannt, daß der Höchste der Ursprung aller Emanationen ist. Diese Emanationen lassen sich in der Kategorie höherer und niederer Natur wahrnehmen. Wie im Siebten Kapitel offenbart wird, gehören die Lebewesen zur höheren Natur. Obwohl zwischen der Energie und dem Energieursprung kein Unterschied besteht, heißt es, daß der Ursprung der Höchste ist und daß die Energie oder Natur Ihm untergeordnet ist. Die Lebewesen sind deshalb immer dem Höchsten Herrn untergeordnet – wie der Diener dem Meister oder der Schüler dem Lehrer. Solch klares Wissen ist unter dem Zauber der Unwissenheit unmöglich zu verstehen, und um solche Unwissenheit zu vertreiben, lehrt der Herr die Bhagavad-gītā zur Erleuchtung aller Lebewesen zu allen Zeiten.

Text

avināśi tu tad viddhi
yena sarvam idaṁ tatam
vināśam avyayasyāsya
na kaścit kartum arhati

Synonyms

avināśi — unvergänglich; tu — aber; tat — dies; viddhi — wisse es; yena — von dem; sarvam — der gesamte Körper; idam — dieser; tatam — durchdrungen; vināśam — Zerstörung; avyayasya — des Unvergänglichen; asya — von ihr; na kaścit — niemand; kartum — zu tun; arhati — ist imstande.

Translation

Wisse, das, was den gesamten Körper durchdringt, ist unzerstörbar. Niemand ist imstande, die unvergängliche Seele zu zerstören.

Purport

ERLÄUTERUNG: Dieser Vers erklärt noch deutlicher das wirkliche Wesen der Seele, die im gesamten Körper verbreitet ist. Jeder kann verstehen, was im ganzen Körper verbreitet ist: Es ist Bewußtsein. Jeder ist sich der Schmerzen und Freuden bewußt, die entweder in einem Teil des Körpers oder im gesamten Körper empfunden werden. Diese Verbreitung von Bewußtsein beschränkt sich auf den eigenen Körper. Die Schmerzen und Freuden des einen Körpers sind einem anderen unbekannt. Daher ist jeder einzelne Körper die Verkörperung einer individuellen Seele, und das Symptom für die Anwesenheit der Seele wird als individuelles Bewußtsein erfahren. Die Größe der Seele wird mit dem zehntausendsten Teil einer Haarspitze verglichen. Die Śvetāśvatara Upaniṣad (5.9) bestätigt dies wie folgt:

bālāgra-śata-bhāgasya
śatadhā kalpitasya ca
bhāgo jīvaḥ sa vijñeyaḥ
sa cānantyāya kalpate

„Wenn eine Haarspitze in hundert Teile und jedes dieser Teile in weitere hundert Teile zerlegt wird, dann entspricht eines dieser Teile der Größe der spirituellen Seele.“ Das gleiche wird auch an anderer Stelle bestätigt:

keśāgra-śata-bhāgasya
śatāṁśaḥ sādṛśātmakaḥ
jīvaḥ sūkṣma-svarūpo ’yaṁ
saṅkhyātīto hi cit-kaṇaḥ

„Es gibt unzählige Partikeln von spirituellen Atomen, und jedes von ihnen ist so groß wie der zehntausendste Teil einer Haarspitze.“

Demnach ist das individuelle Partikel, das eine spirituelle Seele darstellt, ein spirituelles Atom, das kleiner ist als die materiellen Atome, und diese Atome sind unzählbar. Dieser winzige spirituelle Funke bildet das Grundprinzip des materiellen Körpers, und der Einfluß eines solchen spirituellen Funkens ist im gesamten Körper verbreitet, ebenso wie sich der Einfluß der heilenden Kraft eines Medikaments im gesamten Körper verbreitet. Diese Ausstrahlung der Seele wird überall im Körper als Bewußtsein verspürt, und das ist der Beweis für die Gegenwart der Seele. Jeder Laie weiß, daß ein materieller Körper minus Bewußtsein ein toter Körper ist und daß dieses Bewußtsein im Körper durch keine materielle Bemühung wiederbelebt werden kann. Bewußtsein ist daher nicht auf verschiedene materielle Verbindungen zurückzuführen, sondern auf die spirituelle Seele. In der Muṇḍaka Upaniṣad (3.1.9) wird die Dimension der atomischen spirituellen Seele weiter erklärt:

eṣo ’ṇur ātmā cetasā veditavyo
yasmin prāṇaḥ pañcadhā saṁviveśa
prāṇaiś cittaṁ sarvam otaṁ prajānāṁ
yasmin viśuddhe vibhavaty eṣa ātmā

„Die Seele ist atomisch klein und kann durch vollkommene Intelligenz wahrgenommen werden. Diese atomische Seele schwebt in den fünf Luftarten (prāṇa, apāna, vyāna, samāna und udāna). Sie befindet sich im Herzen und verbreitet ihren Einfluß über den gesamten Körper des verkörperten Lebewesens. Wenn die Seele von der Verunreinigung durch die fünf Arten materieller Luft geläutert ist, entfaltet sich ihre spirituelle Kraft.“

Das haṭha-yoga-System ist dazu gedacht, die fünf Luftarten, die die reine Seele umkreisen, durch verschiedene Sitzstellungen unter Kontrolle zu bringen – nicht um irgendeines materiellen Gewinns willen, sondern um die winzige Seele aus der Verstrickung in die materielle Atmosphäre zu befreien.

Alle vedischen Schriften sind sich also darin einig, daß die Seele ihrem Wesen nach atomisch ist, und dies kann auch jeder vernünftige Mensch durch seine praktische Erfahrung verstehen. Nur ein Verrückter kann die atomische Seele mit dem alldurchdringenden viṣṇu-tattva gleichsetzen.

Der Einfluß der atomischen Seele durchdringt den gesamten Körper, in dem sie sich befindet. Wie es in der Muṇḍaka Upaniṣad heißt, befindet sich die atomische Seele im Herzen des Lebewesens; aber weil sich die Messung der atomischen Seele der Reichweite der materialistischen Wissenschaftler entzieht, behaupten einige von ihnen törichterweise, es gäbe keine Seele. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die individuelle atomische Seele zusammen mit der Überseele im Herzen weilt, und daher kommen alle Energien, die zur Bewegung des Körpers benötigt werden, aus diesem Teil des Körpers. Die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff aus der Lunge mit sich tragen, beziehen ihre Energie von der Seele. Wenn die Seele den Körper verläßt, kommen alle bluterneuernden Vorgänge zum Stillstand. Die Medizin erkennt die Bedeutung der roten Blutkörperchen an, aber sie kann nicht herausfinden, daß die Quelle der Energie die Seele ist. Auf der anderen Seite aber räumt die Medizin ein, daß das Herz der Sitz aller Energien des Körpers ist.

Die atomischen Partikeln des spirituellen Ganzen werden mit den zahllosen leuchtenden Partikeln verglichen, aus denen sich der Sonnenschein zusammensetzt. Ebenso sind die fragmentarischen Teile des Höchsten Herrn atomische Funken Seiner Ausstrahlung, die als prabhā oder höhere Energie bezeichnet wird. Ob man nun dem vedischen Wissen oder der modernen Wissenschaft folgt, in keinem Fall kann man die Existenz der spirituellen Seele im Körper verleugnen, und die Wissenschaft der Seele wird in der Bhagavad-gītā von der Persönlichkeit Gottes Selbst ausführlich erklärt.

Text

antavanta ime dehā
nityasyoktāḥ śarīriṇaḥ
anāśino ’prameyasya
tasmād yudhyasva bhārata

Synonyms

anta-vantaḥ — vergänglich; ime — all diese; dehāḥ — materiellen Körper; nityasya — ewig bestehend; uktāḥ — es heißt; śarīriṇaḥ — der verkörperten Seele; anāśinaḥ — kann niemals zerstört werden; aprameyasya — unmeßbar; tasmāt — deshalb; yudhyasva — kämpfe; bhārata — o Nachkomme Bharatas.

Translation

Dem materiellen Körper des unzerstörbaren, unmeßbaren und ewigen Lebewesens ist es mit Sicherheit bestimmt zu sterben. Deshalb kämpfe, o Nachkomme Bharatas.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der materielle Körper ist von Natur aus vergänglich. Er mag sogleich vergehen oder erst nach hundert Jahren. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es gibt keine Möglichkeit, ihn unbegrenzt lange am Leben zu erhalten. Die spirituelle Seele aber ist so winzig, daß sie von keinem Feind gesehen, geschweige denn getötet werden kann. Wie im vorherigen Vers erwähnt wurde, ist sie so klein, daß niemand auch nur eine Vorstellung hat, wie man ihre Dimension messen kann. In keinem Fall gibt es also Grund zu klagen, denn das Lebewesen, wie es ist, kann nicht getötet werden, und der materielle Körper kann nicht über eine bestimmte Zeitspanne hinaus erhalten werden und auch nicht ewig beschützt werden. Weil das winzige Partikel des spirituellen Ganzen den materiellen Körper gemäß seinen Tätigkeiten annimmt, sollte man sich während seines Lebens an die religiösen Grundsätze halten. In den Vedānta-sūtras wird das Lebewesen als „Licht“ beschrieben, da es ein Bestandteil des höchsten Lichts ist. So wie das Sonnenlicht das gesamte Universum erhält, so erhält das Licht der Seele den materiellen Körper. Sobald die spirituelle Seele den materiellen Körper verlassen hat, beginnt der Körper zu zerfallen; daher ist es die spirituelle Seele, die den Körper erhält. Der Körper selbst ist unwichtig. Arjuna wurde angewiesen, zu kämpfen und nicht aus materiellen, körperlichen Erwägungen die religiösen Grundsätze zu opfern.

Text

ya enaṁ vetti hantāraṁ
yaś cainaṁ manyate hatam
ubhau tau na vijānīto
nāyaṁ hanti na hanyate

Synonyms

yaḥ — jemand, der; enam — dies; vetti — weiß; hantāram — der Töter; yaḥ — jemand, der; ca — auch; enam — dies; manyate — denkt; hatam — getötet; ubhau — beide; tau — sie; na — niemals; vijānītaḥ — sind in Wissen; na — niemals; ayam — diese; hanti — tötet; na — und nicht; hanyate — wird getötet.

Translation

Weder derjenige, der denkt, das Lebewesen töte, noch derjenige, der denkt, es werde getötet, besitzt Wissen, denn das Selbst tötet nicht und wird auch nicht getötet.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wenn ein verkörpertes Lebewesen von tödlichen Waffen getroffen wird, sollte man verstehen, daß das Lebewesen innerhalb des Körpers nicht getötet wird. Wie aus den nächsten Versen klar hervorgehen wird, ist die spirituelle Seele so klein, daß es unmöglich ist, sie mit irgendeiner materiellen Waffe zu töten. Aufgrund seiner spirituellen Beschaffenheit kann das Lebewesen gar nicht getötet werden. Das, was getötet oder angeblich getötet wird, ist nur der Körper. Dies jedoch ist in keiner Hinsicht eine Aufforderung, den Körper zu töten. Die vedische Unterweisung lautet: mā hiṁsyāt sarvā bhūtāni: „Füge niemals irgend jemandem Gewalt zu.“ Ebenso ist es aufgrund der Aussage, daß das Lebewesen nicht getötet werden kann, niemals erlaubt, Tiere zu schlachten. Den Körper irgendeines Lebewesens zu vernichten, ohne dazu befugt zu sein, ist verabscheuungswürdig und wird sowohl vom Gesetz des Staates als auch vom Gesetz des Herrn bestraft. Arjuna jedoch soll für das Prinzip der Religion töten, nicht aus einer Laune heraus.

Text

na jāyate mriyate vā kadācin
nāyaṁ bhūtvā bhavitā vā na bhūyaḥ
ajo nityaḥ śāśvato ’yaṁ purāṇo
na hanyate hanyamāne śarīre

Synonyms

na — niemals; jāyate — wird geboren; mriyate — stirbt; — oder; kadācit — zu irgendeiner Zeit (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft); na — niemals; ayam — diese; bhūtvā — ins Dasein gekommen; bhavitā — wird entstehen; — oder; na — nicht; bhūyaḥ — oder wird wieder entstehen; ajaḥ — ungeboren; nityaḥ — ewig; śāśvataḥ — immerwährend; ayam — diese; purāṇaḥ — die älteste; na — niemals; hanyate — wird getötet; hanyamāne — wenn getötet wird; śarīre — der Körper.

Translation

Für die Seele gibt es zu keiner Zeit Geburt oder Tod. Sie ist nicht entstanden, sie entsteht nicht, und sie wird nie entstehen. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die spirituelle Seele ist ein winziger fragmentarischer Teil der Höchsten Seele, und deshalb ist sie qualitativ eins mit dem Höchsten. Sie unterliegt keinem Wandel wie der Körper. Manchmal wird die Seele als kūṭa-stha, die Beständige, bezeichnet. Der Körper unterliegt sechs Arten von Wandlungen: Er wird aus dem Mutterleib geboren, besteht für eine gewisse Zeit, wächst heran, erzeugt Nebenprodukte, verfällt allmählich und verschwindet schließlich in der Vergessenheit. Die Seele aber durchläuft nicht solche Wandlungen. Die Seele selbst wird nicht geboren, aber weil sie einen materiellen Körper annimmt, wird der Körper geboren. Für die Seele ist dies jedoch keine Geburt, und sie wird auch nicht sterben. Alles, was geboren wird, muß sterben. Und weil die Seele keine Geburt kennt, kennt sie weder Vergangenheit noch Gegenwart, noch Zukunft. Sie ist ewig, immerwährend und urerst – das heißt, nichts in ihrer Geschichte weist darauf hin, daß sie einen Anfang gehabt hat. Unter dem Einfluß der körperlichen Lebensauffassung glauben wir, die Seele sei zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte geboren worden, usw. Ebenso wird die Seele, im Gegensatz zum Körper, zu keiner Zeit alt. Daher fühlt der scheinbar alte Mann, daß er der gleiche ist wie in seiner Kindheit oder Jugend. Die Wandlungen des Körpers beeinflussen die Seele nicht. Die Seele unterliegt nicht dem Zerfall wie ein Baum oder irgend etwas anderes Materielles. Die Seele erzeugt auch keine Nebenprodukte. Die Nebenprodukte des Körpers, die Kinder, sind ebenfalls verschiedene individuelle Seelen, und nur im Hinblick auf den Körper erscheinen sie als Kinder eines bestimmten Mannes. Der Körper entwickelt sich, weil die Seele anwesend ist, aber die Seele hat weder Nachkommen, noch unterliegt sie irgendeinem Wandel. Aus diesen Gründen ist die Seele von den sechs Wandlungen des Körpers frei.

In der Kaṭha Upaniṣad (1.2.18) finden wir einen ähnlichen Vers, in dem es heißt:

na jāyate mriyate vā vipaścin
nāyaṁ kutaścin na babhūva kaścit
ajo nityaḥ śāśvato ’yaṁ purāṇo
na hanyate hanyamāne śarīre

Die Aussage und Bedeutung dieses Verses ist die gleiche wie in der Bhagavad-gītā, aber hier in diesem Vers gibt es ein besonderes Wort, nämlich vipaścit, was soviel bedeutet wie „gelehrt“ oder „mit Wissen ausgestattet“.

Die Seele ist voller Wissen, das heißt, sie ist immer voller Bewußtsein. Deshalb ist Bewußtsein das Symptom der Seele. Selbst wenn man die Seele im Herzen, wo sie sich befindet, nicht sehen kann, kann man trotzdem verstehen, daß die Seele gegenwärtig sein muß, einfach weil Bewußtsein gegenwärtig ist. Manchmal kommt es vor, daß wir die Sonne nicht sehen können, weil der Himmel bedeckt ist oder aus irgendwelchen anderen Gründen, aber das Licht der Sonne ist immer da, und wir sind deshalb überzeugt, daß es Tag ist. Sobald frühmorgens ein wenig Licht am Himmel erscheint, können wir verstehen, daß die Sonne am Himmel steht. Ebenso können wir auch die Gegenwart der Seele erkennen, da in allen Körpern – ob Mensch oder Tier – Bewußtsein vorhanden ist. Das Bewußtsein der Seele unterscheidet sich jedoch vom Bewußtsein des Höchsten, da das höchste Bewußtsein alldurchdringendes Wissen ist – es umfaßt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die individuelle Seele neigt dazu, vergeßlich zu sein. Wenn sie ihre wahre Natur vergißt, empfängt sie aus den erhabenen Lehren Kṛṣṇas Bildung und Erleuchtung. Aber Kṛṣṇa kann nicht mit den vergeßlichen Seelen verglichen werden. Wenn dem so wäre, wären Seine Lehren in der Bhagavad-gītā nutzlos.

Es gibt zwei Arten von Seelen: die winzig kleine Seele (aṇu-ātmā) und die Überseele (vibhu-ātmā). Dies wird ebenfalls in der Kaṭha Upaniṣad (1.2.20) bestätigt:

aṇor aṇīyān mahato mahīyān
ātmāsya jantor nihito guhāyām
tam akratuḥ paśyati vīta-śoko
dhātuḥ prasādān mahimānam ātmanaḥ

„Die Überseele [Paramātmā] und die atomische Seele [jīvātmā] sitzen auf dem gleichen Baum des Körpers, im gleichen Herzen des Lebewesens, und nur jemand, der von allen materiellen Wünschen und Klagen frei geworden ist, kann durch die Gnade des Höchsten die Herrlichkeit der Seele verstehen.“

Kṛṣṇa ist auch der Ursprung der Überseele, wie in den folgenden Kapiteln enthüllt wird, und Arjuna ist die winzig kleine Seele, die ihre wahre Natur vergessen hat und daher von Kṛṣṇa oder Seinem echten Vertreter (dem spirituellen Meister) erleuchtet werden muß.

Text

vedāvināśinaṁ nityaṁ
ya enam ajam avyayam
kathaṁ sa puruṣaḥ pārtha
kaṁ ghātayati hanti kam

Synonyms

veda — weiß; avināśinam — unzerstörbar; nityam — immer existierend; yaḥ — jemand, der; enam — diese (Seele); ajam — ungeboren; avyayam — unveränderlich; katham — wie; saḥ — diese; puruṣaḥ — Person; pārtha — o Pārtha (Arjuna); kam — wen; ghātayati — verursacht zu verletzen; hanti — tötet; kam — wen.

Translation

O Pārtha, wie kann ein Mensch, der weiß, daß die Seele unzerstörbar, ewig, ungeboren und unveränderlich ist, jemanden töten oder jemanden veranlassen zu töten?

Purport

ERLÄUTERUNG: Alles hat seinen bestimmten Nutzen, und ein Mensch, der in vollkommenem Wissen gründet, weiß, wie und wo etwas seine richtige Verwendung hat. Ebenso hat auch Gewalt ihren Nutzen, und wie Gewalt anzuwenden ist, obliegt dem Entscheid desjenigen, der über Wissen verfügt. Obwohl der Richter über einen Menschen, der wegen Mordes verurteilt ist, die Todesstrafe verhängt, kann gegen ihn kein Vorwurf erhoben werden, da er Gewalt gegen einen anderen in Übereinstimmung mit dem Gesetz befiehlt. Die Manu-saṁhitā, das Gesetzbuch der Menschheit, befürwortet, daß ein Mörder zum Tode verurteilt werden sollte, damit er in seinem nächsten Leben für die große Sünde, die er begangen hat, nicht zu leiden braucht. Daher ist die Verfügung des Königs, einen Mörder zu hängen, letztlich segensreich. Wenn also Kṛṣṇa den Befehl gibt zu kämpfen, muß man daraus schließen, daß Gewalt um höchster Gerechtigkeit willen stattfindet, und Arjuna sollte der Anweisung folgen, da er weiß, daß Gewalt, die im Kampf für Kṛṣṇa angewandt wird, keineswegs Gewalt ist, denn der Mensch, oder vielmehr die Seele, kann unter keinen Umständen getötet werden. Um für Gerechtigkeit zu sorgen, ist also sogenannte Gewalt gestattet. Ein chirurgischer Eingriff soll den Patienten nicht töten, sondern heilen. Daher findet der Kampf, den Arjuna im Auftrag Kṛṣṇas austragen soll, in vollem Wissen statt, weshalb unmöglich sündhafte Reaktionen entstehen können.

Text

vāsāṁsi jīrṇāni yathā vihāya
navāni gṛhṇāti naro ’parāṇi
tathā śarīrāṇi vihāya jīrṇāny
anyāni saṁyāti navāni dehī

Synonyms

vāsāṁsi — Kleider; jīrṇāni — alte und abgetragene; yathā — genau wie; vihāya — aufgebend; navāni — neue Kleider; gṛhṇāti — nimmt an; naraḥ — ein Mensch; aparāṇi — andere; tathā — ebenso; śarīrāṇi — Körper; vihāya — aufgebend; jīrṇāni — alte und nutzlose; anyāni — verschiedenartige; saṁyāti — nimmt wahrlich an; navāni — neue; dehī — die verkörperte.

Translation

Wie ein Mensch alte Kleider ablegt und neue anzieht, so gibt die Seele alt und unbrauchbar gewordene Körper auf und nimmt neue materielle Körper an.

Purport

ERLÄUTERUNG: Daß die atomische individuelle Seele den Körper wechselt, ist eine anerkannte Tatsache. Selbst die modernen Wissenschaftler, die nicht an die Existenz der Seele glauben, aber zur gleichen Zeit auch die Energiequelle im Herzen nicht erklären können, müssen die fortwährenden Wandlungen des Körpers von Kindheit zu Knabenzeit, von Knabenzeit zu Jugend und von Jugend zu Alter anerkennen. Wenn der Körper die letzte Stufe des Alters erreicht, setzen sich diese Wandlungen in einem neuen Körper fort. Dies wurde bereits in einem vorangegangenen Vers (2.13) erklärt.

Das Überwechseln der atomischen individuellen Seele in einen anderen Körper wird durch die Gnade der Überseele ermöglicht. Die Überseele erfüllt den Wunsch der atomischen Seele, genau wie ein Freund den Wunsch seines Freundes erfüllt. Die Veden, wie die Muṇḍaka Upaniṣad und die Śvetāśvatara Upaniṣad, vergleichen die Seele und die Überseele mit zwei befreundeten Vögeln, die auf dem gleichen Baum sitzen. Einer der Vögel (die individuelle atomische Seele) ißt von den Früchten des Baumes, während der andere Vogel (Kṛṣṇa) Seinen Freund nur beobachtet. Obwohl diese beiden Vögel eigenschaftsmäßig gleich sind, ist der eine von den Früchten des materiellen Baumes bezaubert, wohingegen der andere einfach nur Zeuge der Tätigkeiten Seines Freundes ist. Kṛṣṇa ist der beobachtende Vogel, und Arjuna ist der essende Vogel. Obwohl sie Freunde sind, ist trotzdem der eine Meister und der andere Diener. Daß die atomische Seele diese Beziehung vergißt, ist die Ursache dafür, daß sie ihren Baum, das heißt ihren Körper wechseln muß. Die jīva-Seele kämpft sehr schwer auf dem Baum des materiellen Körpers; aber sobald sie sich damit einverstanden erklärt, den anderen Vogel als den höchsten spirituellen Meister anzuerkennen – so wie Arjuna es tat, als er sich Kṛṣṇa freiwillig ergab, um sich von Ihm unterweisen zu lassen –, wird der untergeordnete Vogel sogleich von allen Klagen frei. Sowohl die Muṇḍaka Upaniṣad (3.1.2) als auch die Śvetāśvatara Upaniṣad (4.7) bestätigen dies:

samāne vṛkṣe puruṣo nimagno
’nīśayā śocati muhyamānaḥ
juṣṭaṁ yadā paśyaty anyam īśam
asya mahimānam iti vīta-śokaḥ

„Obwohl die beiden Vögel auf dem gleichen Baum sitzen, wird der essende Vogel von Angst und Unzufriedenheit geplagt, weil er die Früchte des Baumes genießen will. Aber wenn er sich irgendwie seinem Freund, dem Herrn, zuwendet und dessen Herrlichkeit erkennt, wird der leidende Vogel sogleich von allen Ängsten frei.“

Arjuna hat sich jetzt seinem ewigen Freund, Kṛṣṇa, zugewandt und erlernt von Ihm die Weisheit der Bhagavad-gītā. Indem er so die Worte Kṛṣṇas hört, kann er die erhabene Herrlichkeit des Herrn verstehen und von aller Klage frei werden.

Arjuna wird hier vom Herrn unterwiesen, den Körperwechsel seines alten Großvaters und seines Lehrers nicht zu beklagen. Er sollte vielmehr froh darüber sein, ihre Körper in einem gerechten Kampf zu töten, so daß es ihnen möglich wird, sogleich von allen Reaktionen auf ihre verschiedensten körperlichen Tätigkeiten gereinigt zu werden. Wer sein Leben auf dem Opferaltar, das heißt auf dem geeigneten Schlachtfeld, aufgibt, wird auf der Stelle von allen Reaktionen auf seine körperlichen Tätigkeiten befreit und auf eine höhere Stufe des Lebens erhoben. Es gab also für Arjuna keinen Grund zu klagen.

Text

nainaṁ chindanti śastrāṇi
nainaṁ dahati pāvakaḥ
na cainaṁ kledayanty āpo
na śoṣayati mārutaḥ

Synonyms

na — niemals; enam — diese Seele; chindanti — können zerschneiden; śastrāṇi — Waffen; na — niemals; enam — diese Seele; dahati — verbrennt; pāvakaḥ — Feuer; na — niemals; ca — auch; enam — diese Seele; kledayanti — benetzt; āpaḥ — Wasser; na — niemals; śoṣayati — trocknet; mārutaḥ — Wind.

Translation

Die Seele kann weder von Waffen zerschnitten noch von Feuer verbrannt, noch von Wasser benetzt, noch vom Wind verdorrt werden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Keine Art von Waffen – weder Schwerter noch Flammen, Regenwaffen, Wirbelsturmwaffen usw. – ist imstande, die spirituelle Seele zu vernichten. Offenbar gab es damals neben den Feuerwaffen, die auch in unserer heutigen Zeit bekannt sind, noch viele andere Arten von Waffen, die aus Erde, Wasser, Luft, Äther usw. bestanden. Auch die modernen Kernwaffen werden als Feuerwaffen eingestuft, aber früher wurden auch aus allen anderen materiellen Elementen Waffen hergestellt. Feuerwaffen bekämpfte man mit Wasserwaffen, die der modernen Wissenschaft unbekannt sind. Auch kennen die Wissenschaftler der heutigen Zeit keine Wirbelsturmwaffen. Nichtsdestoweniger kann die Seele, ungeachtet wissenschaftlicher Erfindungen, niemals zerschnitten oder durch irgendeine Anzahl von Waffen vernichtet werden.

Die Māyāvādīs können nicht erklären, wie die individuelle Seele nur durch Unwissenheit entstanden sein soll, um in der Folge von der illusionierenden Energie bedeckt zu werden. Ebenso ist es nicht möglich, daß die individuellen Seelen jemals von der ursprünglichen Höchsten Seele abgetrennt wurden. Vielmehr verhält es sich so, daß die individuellen Seelen ewiglich getrennte Teile der Höchsten Seele sind; aber weil die Lebewesen ewig (sanātana) atomische individuelle Seelen sind, neigen sie dazu, von der täuschenden Energie bedeckt zu werden, und so werden sie von der Gemeinschaft des Höchsten Herrn getrennt, ebenso wie die Funken eines Feuers, obwohl der Eigenschaft nach eins mit dem Feuer, zum Verlöschen neigen, wenn sie vom Feuer getrennt sind. Im Varāha Purāṇa werden die Lebewesen als abgesonderte winzige Bestandteile des Höchsten beschrieben, und dies sind sie ewig, wie es auch von der Bhagavad-gītā bestätigt wird. Wie aus den Unterweisungen des Herrn an Arjuna hervorgeht, behält das Lebewesen, selbst nachdem es von der Illusion befreit ist, seine gesonderte Identität. Arjuna wurde durch das Wissen, das er von Kṛṣṇa empfing, zwar befreit, doch er wurde niemals eins mit Kṛṣṇa.

Text

acchedyo ’yam adāhyo ’yam
akledyo ’śoṣya eva ca
nityaḥ sarva-gataḥ sthāṇur
acalo ’yaṁ sanātanaḥ

Synonyms

acchedyaḥ — unzerbrechlich; ayam — diese Seele; adāhyaḥ — kann nicht verbrannt werden; ayam — diese Seele; akledyaḥ — unauflöslich; aśoṣyaḥ — kann nicht ausgetrocknet werden; eva — gewiß; ca — und; nityaḥ — immerwährend; sarva-gataḥ — alldurchdringend; sthāṇuḥ — unwandelbar; acalaḥ — unbeweglich; ayam — diese Seele; sanātanaḥ — ewig dieselbe.

Translation

Die individuelle Seele ist unzerbrechlich und unauflöslich und kann weder verbrannt noch ausgetrocknet werden. Sie ist immerwährend, überall gegenwärtig, unwandelbar, unbeweglich und ewig dieselbe.

Purport

ERLÄUTERUNG: Alle diese Eigenschaften der atomischen Seele beweisen eindeutig, daß die individuelle Seele ewig der atomische Bestandteil des spirituellen Ganzen ist und ewig, ohne Veränderung, dasselbe Atom bleibt. In diesem Zusammenhang ist es sehr schwierig, die Theorie des Monismus zu vertreten, denn es ist niemals zu erwarten, daß die individuelle Seele mit dem spirituellen Ganzen eins und gleich wird. Nach der Befreiung von der materiellen Verunreinigung mag es die atomische Seele vorziehen, als spiritueller Funke in den leuchtenden Strahlen der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu verbleiben, aber die intelligenten Seelen erheben sich auf die spirituellen Planeten, um mit der Persönlichkeit Gottes zusammenzusein.

Das Wort sarva-gata („alldurchdringend“) ist bedeutsam, da kein Zweifel daran besteht, daß es überall in Gottes Schöpfung Lebewesen gibt. Sie leben auf dem Land, im Wasser, in der Luft, in der Erde und sogar im Feuer. Die Ansicht, Lebewesen würden durch Feuer vernichtet, ist nicht annehmbar, da es hier unmißverständlich heißt, daß die Seele durch Feuer nicht verbrannt werden kann. Deshalb besteht kein Zweifel daran, daß es auch auf dem Sonnenplaneten Lebewesen gibt, die dort mit einem geeigneten Körper leben. Wäre die Sonne unbewohnt, dann würde das Wort sarva-gata („überall gegenwärtig“) seine Bedeutung verlieren.

Text

avyakto ’yam acintyo ’yam
avikāryo ’yam ucyate
tasmād evaṁ viditvainaṁ
nānuśocitum arhasi

Synonyms

avyaktaḥ — unsichtbar; ayam — diese Seele; acintyaḥ — unbegreiflich; ayam — diese Seele; avikāryaḥ — unveränderlich; ayam — diese Seele; ucyate — wird genannt; tasmāt — deshalb; evam — wie dies; viditvā — es wohl wissend; enam — diese Seele; na — nicht; anuśocitum — zu klagen; arhasi — du verdienst.

Translation

Es heißt, daß die Seele unsichtbar, unbegreiflich und unwandelbar ist. Da du dies weißt, solltest du nicht um den Körper trauern.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wie zuvor beschrieben wurde, ist die Seele für unsere materiellen Maßstäbe so klein, daß sie nicht einmal mit dem stärksten Mikroskop gesehen werden kann; aus diesem Grunde heißt es, sie sei unsichtbar. Ihre Existenz kann nicht auf der Grundlage von Experimenten bewiesen werden, sondern nur auf der Grundlage von śruti, der vedischen Weisheit. Wir müssen den Beweis der śruti als Wahrheit annehmen, weil es keine andere Wissensquelle gibt, um die Existenz der Seele zu ermitteln, obwohl ihre Gegenwart aufgrund der Symptome, die wir wahrnehmen können, unbestreitbar ist. Es gibt so viele Dinge, die wir allein auf der Grundlage höherer Autorität akzeptieren müssen. Durch die Autorität der Mutter erfahren wir von der Existenz unseres Vaters. Die Mutter ist die einzige Autorität, die uns sagen kann, wer unser Vater ist. Ebenso gibt es keine andere Möglichkeit, die Seele zu verstehen, als die Veden zu studieren. Mit anderen Worten, die Seele ist durch das experimentelle Wissen des Menschen nicht zu erkennen. Die Seele ist Bewußtsein und ist bewußt – auch dies ist eine Aussage der Veden, und wir müssen sie als Wahrheit annehmen. Im Gegensatz zum Körper, der sich wandelt, unterliegt die Seele keiner Wandlung. Weil die Seele ewig unveränderlich ist, ist sie im Vergleich zur unendlichen Höchsten Seele immer atomisch klein. Die Höchste Seele ist unendlich groß, und die atomische Seele ist unendlich klein. Da die unendlich kleine Seele unwandelbar ist, kann sie der unendlichen Seele, der Höchsten Persönlichkeit Gottes, niemals gleichkommen. Dieser Punkt wird in den Veden auf verschiedenste Weise wiederholt, nur um die Unveränderlichkeit des Begriffs der Seele zu unterstreichen. Wiederholung ist notwendig, damit wir ein Thema tiefgehend und fehlerfrei verstehen können.

Text

atha cainaṁ nitya-jātaṁ
nityaṁ vā manyase mṛtam
tathāpi tvaṁ mahā-bāho
nainaṁ śocitum arhasi

Synonyms

atha — wenn aber; ca — auch; enam — diese Seele; nitya-jātam — immer geboren; nityam — für immer; — oder; manyase — du denkst; mṛtam — tot; tathā api — dennoch; tvam — du; mahā-bāho — o Starkarmiger; na — niemals; enam — über die Seele; śocitum — zu wehklagen; arhasi — verdienst.

Translation

Wenn du jedoch glaubst, daß die Seele [oder die Lebenssymptome] ständig geboren wird und für immer stirbt, gibt es für dich dennoch keinen Grund zu klagen, o Starkarmiger.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt immer eine Klasse von Philosophen, die, ähnlich wie die Buddhisten, nicht an eine vom Körper gesonderte Existenz der Seele glaubt. Als Śrī Kṛṣṇa die Bhagavad-gītā sprach, gab es Philosophen dieser Art, und sie waren als Lokāyatikas und Vaibhāṣikas bekannt. Diese Philosophen vertraten die Auffassung, Lebenssymptome entstünden in einem gewissen Reifestadium materieller Verbindungen. Die modernen materialistischen Wissenschaftler und Philosophen denken ähnlich. Ihrer Ansicht nach ist der Körper eine Kombination materieller Elemente, und sie glauben, die Lebenssymptome entwickelten sich auf einer gewissen Stufe durch die Wechselwirkung physischer und chemischer Elemente. Die Wissenschaft der Anthropologie stützt sich auf diese Philosophie. In neuerer Zeit gibt es viele Pseudoreligionen – die jetzt vor allem in Amerika Mode werden –, die sich ebenfalls dieser Philosophie anschließen, wie die nihilistischen, nichtdevotionalen buddhistischen Sekten.

Selbst wenn Arjuna nicht an die Existenz der Seele glaubte – wie es bei den Vertretern der Vaibhāṣika-Philosophie der Fall ist –, hätte für ihn dennoch kein Grund zur Klage bestanden. Niemand beklagt den Verlust einer Masse von Chemikalien und hört deswegen auf, seine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen. Im Gegenteil, in der modernen Wissenschaft und Kriegsführung werden zahllose Tonnen von Chemikalien verschwendet, wenn es darum geht, den Feind zu besiegen. Gemäß der Vaibhāṣika-Philosophie vergeht die sogenannte Seele (ātmā) mit der Auflösung des Körpers. In jedem Fall also – ob Arjuna die vedische Schlußfolgerung akzeptierte, daß es eine atomische Seele gibt, oder ob er nicht an die Existenz der Seele glaubte – hatte er keinen Grund zu klagen. Da nach der Theorie der Vaibhāṣikas in jedem Augenblick unendlich viele Lebewesen aus der Materie erzeugt werden und unendlich viele sterben, braucht man um solche Ereignisse nicht zu trauern. Wenn es für die Seele keine Wiedergeburt gäbe, hätte für Arjuna kein Grund bestanden, sich vor den sündhaften Reaktionen zu fürchten, die entstehen würden, wenn er seinen Großvater und seinen Lehrer tötete. Gleichzeitig aber bezeichnete Kṛṣṇa Arjuna ironischerweise als mahā- bāhu („Starkarmiger“), da zumindest Er die Theorie der Vaibhāṣikas, die das vedische Wissen völlig außer acht läßt, nicht akzeptierte. Als kṣatriya gehörte Arjuna der vedischen Kultur an, und daher war es seine Pflicht, weiter ihren Prinzipien zu folgen.

Text

jātasya hi dhruvo mṛtyur
dhruvaṁ janma mṛtasya ca
tasmād aparihārye ’rthe
na tvaṁ śocitum arhasi

Synonyms

jātasya — desjenigen, der geboren wurde; hi — gewiß; dhruvaḥ — eine Tatsache; mṛtyuḥ — Tod; dhruvam — es ist ebenfalls eine Tatsache; janma — Geburt; mṛtasya — des Toten; ca — auch; tasmāt — deshalb; aparihārye — von dem, was unvermeidlich ist; arthe — in der Angelegenheit; na — nicht; tvam — du; śocitum — zu klagen; arhasi — verdienst.

Translation

Jemandem, der geboren wurde, ist der Tod gewiß, und jemandem, der gestorben ist, ist die Geburt gewiß. Deshalb solltest du bei der unvermeidlichen Erfüllung deiner Pflichten nicht klagen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die Tätigkeiten im Leben bestimmen die nächste Geburt. Und nachdem man einen Zyklus von Tätigkeiten beendet hat, muß man sterben, um für den nächsten geboren zu werden. Auf diese Weise dreht sich das Rad von Geburt und Tod, eine Umdrehung nach der anderen, ohne Befreiung. Dieser Kreislauf von Geburt und Tod rechtfertigt jedoch nicht unnötiges Morden, Schlachten oder Krieg. Aber zugleich sind Gewalt und Krieg in der menschlichen Gesellschaft unvermeidliche Faktoren, um Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die Schlacht von Kurukṣetra war ein unvermeidliches Ereignis, da sie der Wille des Höchsten war, und für die rechte Sache zu kämpfen ist die Pflicht des kṣatriya. Warum sollte Arjuna den Tod seiner Verwandten fürchten oder darüber bekümmert sein, wenn er doch nichts anderes tat, als seine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen? Es ziemte sich nicht für ihn, das Gesetz zu brechen und dadurch den Reaktionen sündiger Handlungen unterworfen zu werden, wovor er sich so sehr fürchtete. Auch wenn er seine eigentliche Pflicht nicht erfüllte, könnte er den Tod seiner Verwandten nicht verhindern, und das einzige, was er durch diese falsche Handlung erreicht hätte, wäre seine eigene Erniedrigung.

Text

avyaktādīni bhūtāni
vyakta-madhyāni bhārata
avyakta-nidhanāny eva
tatra kā paridevanā

Synonyms

avyakta-ādīni — am Anfang unmanifestiert; bhūtāni — alle, die erschaffen wurden; vyakta — manifestiert; madhyāni — in der Mitte; bhārata — o Nachkomme Bharatas; avyakta — unmanifestiert; nidhanāni — wenn sie vernichtet sind; eva — es verhält sich alles so; tatra — daher; — was; paridevanā — Klage.

Translation

Alle erschaffenen Wesen sind am Anfang unmanifestiert, in ihrem Zwischenzustand manifestiert und wieder unmanifestiert, wenn sie vernichtet werden. Warum soll man also klagen?

Purport

ERLÄUTERUNG: Geht man einmal davon aus, daß es zwei Gruppen von Philosophen gibt – die einen, die an die Existenz der Seele glauben, und die anderen, die nicht an die Existenz der Seele glauben –, so gibt es in beiden Fällen keinen Grund zur Klage. Diejenigen, die nicht an die Existenz der Seele glauben, werden von den Vertretern der vedischen Weisheit als Atheisten bezeichnet. Gesetzt den Fall, wir würden einmal diese atheistische Theorie akzeptieren, so gäbe es selbst dann keinen Grund zu klagen. Abgesehen von der gesonderten Existenz der Seele, befinden sich die materiellen Elemente vor der Schöpfung in einem unmanifestierten Zustand. Aus diesem feinstofflichen Zustand der Nichtmanifestation geht Manifestation hervor, ebenso wie aus Äther Luft, aus Luft Feuer, aus Feuer Wasser und aus Wasser Erde entsteht. Und aus der Erde entstehen die verschiedensten Formen. Nehmen wir zum Beispiel einen riesigen Wolkenkratzer. Er entstand aus Erde, und wenn er abgerissen wird, löst sich die Manifestation wieder auf, und letzten Endes bleiben nur Atome übrig. Das Gesetz der Erhaltung der Energie gilt immer, nur sind die Dinge im Laufe der Zeit einmal manifestiert und ein anderes Mal unmanifestiert – darin liegt der Unterschied. Warum sollte man also über manifestierte oder unmanifestierte Zustände klagen? Sogar im unmanifestierten Zustand ist eigentlich nichts verloren. Sowohl am Anfang als auch am Ende sind alle materiellen Elemente unmanifestiert, nur in ihrem Zwischenstadium sind sie manifestiert, und das macht keinen wirklichen materiellen Unterschied.

Wenn wir jedoch die vedische Schlußfolgerung akzeptieren, wie man sie in der Bhagavad-gītā findet, daß nämlich die materiellen Körper im Laufe der Zeit vergehen (antavanta ime dehāḥ), daß die Seele aber ewig ist (nityasyoktāḥ śarīriṇaḥ), dann sollten wir uns immer daran erinnern, daß der Körper wie ein Gewand ist – und warum sollte man den Wechsel der Kleidung beklagen? Der materielle Körper hat im Verhältnis zur ewigen Seele keine wirkliche Existenz. Er ist so etwas wie ein Traum. Im Traum glauben wir vielleicht, daß wir fliegen können oder als König auf einer Kutsche sitzen; doch wenn wir erwachen, sehen wir, daß wir weder fliegen noch in einer Kutsche sitzen. Die vedische Weisheit ermutigt den Menschen zur Selbstverwirklichung, und zwar auf der Grundlage der Einsicht, daß der materielle Körper nichtexistent ist. In keinem Fall also – ob man nun an die Existenz der Seele glaubt oder nicht – gibt es einen Grund, den Verlust des Körpers zu beklagen.

Text

āścarya-vat paśyati kaścid enam
āścarya-vad vadati tathaiva cānyaḥ
āścarya-vac cainam anyaḥ śṛṇoti
śrutvāpy enaṁ veda na caiva kaścit

Synonyms

āścarya-vat — als wunderbar; paśyati — betrachtet; kaścit — jemand; enam — diese Seele; āścarya-vat — als wunderbar; vadati — spricht über; tathā — auf diese Weise; eva — gewiß; ca — auch; anyaḥ — ein anderer; āścarya-vat — als wunderbar; ca — auch; enam — diese Seele; anyaḥ — ein anderer; śṛṇoti — hört über; śrutvā — gehört habend; api — sogar; enam — diese Seele; veda — weiß; na — niemals; ca — und; eva — gewiß; kaścit — jemand.

Translation

Einige betrachten die Seele als wunderbar, einige beschreiben sie als wunderbar, und einige hören, sie sei wunderbar, wohingegen andere, selbst nachdem sie von ihr gehört haben, sie nicht im geringsten verstehen können.

Purport

ERLÄUTERUNG: Da die Gītopaniṣad weitgehend auf den Prinzipien der Upaniṣaden beruht, ist es nicht überraschend, diese Aussage auch in der Kaṭha Upaniṣad (1.2.7) zu finden:

śravaṇayāpi bahubhir yo na labhyaḥ
śṛṇvanto ’pi bahavo yaṁ na vidyuḥ
āścaryo vaktā kuśalo ’sya labdhā
āścaryo ’sya jñātā kuśalānuśiṣṭaḥ

Die Tatsache, daß sich die atomisch kleine Seele im Körper eines riesigen Tieres, im Körper eines mächtigen Banyanbaums und auch in winzigen Bakterien befindet – von denen Millionen und Abermillionen kaum einen Kubikzentimeter ausfüllen –, ist zweifelsohne sehr erstaunlich. Menschen mit geringem Wissen und Menschen, die nicht enthaltsam sind, können die Wunder des individuellen winzigen Funkens spiritueller Natur nicht verstehen, selbst wenn die größte Autorität des Wissens, von der sogar das erste Lebewesen im Universum, Brahmā, unterwiesen wurde, diese Themen erklärt. Aufgrund einer grob-materiellen Auffassung des Lebens können sich die meisten Menschen in diesem Zeitalter nicht vorstellen, wie ein solch kleines Teilchen einmal so groß und ein anderes Mal so klein werden kann. Sie staunen daher, wenn sie die Beschaffenheit der Seele erkennen oder darüber hören. Getäuscht von der materiellen Energie, sind die Menschen so sehr in Tätigkeiten zur Sinnenbefriedigung vertieft, daß sie nur sehr wenig Zeit haben, sich die Frage nach dem Verständnis des eigenen Selbst zu stellen, obwohl es eine Tatsache ist, daß ohne diese Selbsterkenntnis alle Handlungen im Kampf ums Dasein letzten Endes zum Scheitern verurteilt sind. Vielleicht wissen diese Menschen gar nicht, daß man an die Seele denken muß, um so eine Lösung für die materiellen Leiden zu finden.

Es kommt vor, daß Menschen, die daran interessiert sind, etwas über die Seele zu erfahren, sich in guter Gemeinschaft Vorträge anhören, doch aufgrund ihrer Unwissenheit werden sie manchmal irregeführt und glauben, die Überseele und die winzige Seele seien ohne Größenunterschied eins. Es ist sehr schwierig, jemanden zu finden, der die Stellung der Überseele und der atomischen Seele, ihre jeweiligen Funktionen und Beziehungen sowie alle anderen hiermit verbundenen Themen bis ins Detail versteht. Und noch schwieriger ist es, jemanden zu finden, der aus dem Wissen über die Seele tatsächlich vollen Nutzen gezogen hat und die Stellung der Seele unter verschiedensten Aspekten beschreiben kann. Wenn jemand aber irgendwie imstande ist, das Thema der Seele zu verstehen, dann ist sein Leben erfolgreich.

Der einfachste Vorgang, das Selbst zu verstehen, besteht indes darin, die Aussagen der Bhagavad-gītā, die von der größten Autorität, Śrī Kṛṣṇa, gesprochen wurde, anzunehmen, ohne sich von anderen Theorien ablenken zu lassen. Aber es erfordert auch ein hohes Maß an Entsagungen und Opfern, entweder in diesem Leben oder in vorangegangenen, bevor man fähig ist, Kṛṣṇa als die Höchste Persönlichkeit Gottes anzuerkennen. Wirklich erkennen jedoch kann man Kṛṣṇa nur durch die grundlose Barmherzigkeit des reinen Gottgeweihten, und auf keine andere Weise.

Text

dehī nityam avadhyo ’yaṁ
dehe sarvasya bhārata
tasmāt sarvāṇi bhūtāni
na tvaṁ śocitum arhasi

Synonyms

dehī — der Besitzer des materiellen Körpers; nityam — ewig; avadhyaḥ — kann nicht getötet werden; ayam — diese Seele; dehe — im Körper; sarvasya — eines jeden; bhārata — o Nachkomme Bharatas; tasmāt — deshalb; sarvāṇi — alle; bhūtāni — Lebewesen (die geboren werden); na — niemals; tvam — du; śocitum — zu klagen; arhasi — verdienst.

Translation

O Nachkomme Bharatas, der Bewohner des Körpers kann niemals getötet werden. Daher brauchst du um kein Geschöpf zu trauern.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hiermit beendet der Herr Seine Unterweisungen über die unveränderliche spirituelle Seele. Er beschrieb die unsterbliche Seele auf verschiedene Weise, wodurch Er zeigte, daß die Seele unsterblich und der Körper vergänglich ist. Arjuna war ein kṣatriya, und deshalb sollte er nicht aus Furcht, daß sein Großvater und sein Lehrer – Bhīṣma und Droṇa – in der Schlacht sterben würden, seine Pflicht aufgeben. Man muß aufgrund der Autorität Śrī Kṛṣṇas glauben, daß es eine Seele gibt und daß diese Seele vom materiellen Körper verschieden ist. Man sollte nicht darauf beharren, daß es so etwas wie die Seele nicht gibt oder daß Lebenssymptome auf einer gewissen Stufe materieller Reife aus der Wechselwirkung chemischer Stoffe entstehen. Obwohl die Seele unsterblich ist, wird Gewalt nicht befürwortet; doch in Kriegszeiten wird davon nicht abgeraten, wenn es wirklich notwendig ist. Diese Notwendigkeit muß durch den Willen des Herrn gerechtfertigt sein, und nicht durch unser Gutdünken.

Text

sva-dharmam api cāvekṣya
na vikampitum arhasi
dharmyād dhi yuddhāc chreyo ’nyat
kṣatriyasya na vidyate

Synonyms

sva-dharmam — die eigenen religiösen Prinzipien; api — auch; ca — in der Tat; avekṣya — im Hinblick; na — niemals; vikampitum — zu zögern; arhasi — du verdienst; dharmyāt — für religiöse Prinzipien; hi — in der Tat; yuddhāt — als zu kämpfen; śreyaḥ — bessere Beschäftigung; anyat — eine andere; kṣatriyasya — des kṣatriya; na — nicht; vidyate — gibt.

Translation

Im Hinblick auf deine besondere Pflicht als kṣatriya solltest du wissen, daß es für dich keine bessere Beschäftigung gibt, als auf der Grundlage religiöser Prinzipien zu kämpfen. Daher gibt es keinen Grund zu zögern.

Purport

ERLÄUTERUNG: Von den vier Klassen der gesellschaftlichen Administration wird die zweite, die für eine gute Verwaltung zuständig ist, kṣatriya ganannt. Kṣat bedeutet verletzen, und jemand, der vor Schaden beschützt, wird als kṣatriya bezeichnet (trāyate – Schutz gewähren). Früher wurden kṣatriyas im Wald darin ausgebildet, zu töten. Der kṣatriya ging in den Wald, wo er einen Tiger zum Zweikampf herausforderte und, nur mit einem Schwert bewaffnet, mit ihm kämpfte. Wenn der Tiger getötet war, wurde er in einer königlichen Bestattungszeremonie verbrannt. Selbst heute noch wird dieser Brauch von den Königen des Staates Jaipur gepflegt. Weil religiöse Gewalt manchmal notwendig ist, werden die kṣatriyas besonders darin ausgebildet, herauszufordern und zu töten. Deshalb ist es für kṣatriyas niemals vorgesehen, direkt in den Lebensstand der Entsagung, sannyāsa, zu treten. Gewaltlosigkeit mag in der Politik eine diplomatische Taktik sein, aber sie ist niemals ein praktischer Faktor oder ein Grundsatz. In den religiösen Gesetzbüchern heißt es:

āhaveṣu mitho ’nyonyaṁ
jighāṁsanto mahī-kṣitaḥ
yuddhamānāḥ paraṁ śaktyā
svargaṁ yānty aparāṅ-mukhāḥ
yajñeṣu paśavo brahman
hanyante satataṁ dvijaiḥ
saṁskṛtāḥ kila mantraiś ca
te ’pi svargam avāpnuvan

„Wenn ein König oder kṣatriya auf dem Schlachtfeld im Kampf mit einem anderen König, der ihn beneidet, getötet wird, ist er befähigt, die himmlischen Planeten zu erreichen, ebenso wie auch die brāhmaṇas die himmlischen Planeten erreichen, indem sie Tiere im Opferfeuer darbringen.“

Daher gilt es keinesfalls als Gewalttat, wenn in einer Schlacht auf der Grundlage religiöser Prinzipien getötet wird oder wenn Tiere im Opferfeuer getötet werden, denn aufgrund der religiösen Prinzipien, die in diesem Zusammenhang bestehen, zieht jeder seinen Nutzen daraus. Das geopferte Tier bekommt augenblicklich die menschliche Lebensform, ohne sich dem allmählichen Evolutionsprozeß von einer Lebensform zur anderen unterziehen zu müssen, und die auf dem Schlachtfeld getöteten kṣatriyas erreichen die himmlischen Planeten, ebenso wie die brāhmaṇas, die die Opfer darbringen.

Es gibt zwei Arten von sva-dharma, dem Menschen zugeordneten Pflichten. Solange man nicht befreit ist, muß man, um Befreiung zu erlangen, die Pflichten seines jeweiligen Körpers in Übereinstimmung mit den religiösen Prinzipien erfüllen. Wenn man befreit ist, wird der sva-dharma, die zugeordnete Pflicht, spirituell und befindet sich nicht mehr auf der Ebene des materiellen Körpers. In der körperlichen Auffassung des Lebens gibt es sowohl für die brāhmaṇas als auch für die kṣatriyas bestimmte Pflichten, und diese Pflichten sind unvermeidlich. Sva-dharma ist vom Herrn festgelegt, und dies wird im Vierten Kapitel näher erklärt werden. Auf der körperlichen Ebene wird sva-dharma als varṇāśrama-dharma bezeichnet, das Sprungbrett des Menschen zu spiritueller Erkenntnis. Menschliche Zivilisation beginnt auf der Stufe des varṇāśrama-dharma, das heißt dann, wenn die bestimmten Pflichten erfüllt werden, die sich nach den jeweiligen Erscheinungsweisen der Natur richten, von denen der Körper beeinflußt wird. Erfüllt man in irgendeinem Bereich des Handelns seine jeweilige Pflicht in Übereinstimmung mit den Anweisungen der höheren Autoritäten, so hilft dies einem, auf eine höhere Stufe des Lebens erhoben zu werden.

Text

yadṛcchayā copapannaṁ
svarga-dvāram apāvṛtam
sukhinaḥ kṣatriyāḥ pārtha
labhante yuddham īdṛśam

Synonyms

yadṛcchayā — von sich aus; ca — auch; upapannam — gekommen zu; svarga — der himmlischen Planeten; dvāram — Tor; apāvṛtam — weit offen; sukhinaḥ — sehr glücklich; kṣatriyāḥ — die Mitglieder des königlichen Standes; pārtha — o Sohn Pṛthās; labhante — erreichen; yuddham — Krieg; īdṛśam — wie dieser.

Translation

O Pārtha, glücklich sind die kṣatriyas, denen sich unverhofft solche Gelegenheiten zum Kampf bieten, da ihnen dadurch die Tore zu den himmlischen Planeten geöffnet werden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Als höchster Lehrer der Welt verurteilt Śrī Kṛṣṇa die Haltung Arjunas, der sagte: „Ich sehe in diesem Kampf nichts Gutes. Ewiger Aufenthalt in der Hölle wird die Folge sein.“ Solche Äußerungen Arjunas waren nur auf Unwissenheit zurückzuführen. Er wollte bei der Erfüllung seiner ihm zugeordneten Pflicht gewaltlos werden. Auf dem Schlachtfeld zu stehen und gewaltlos zu werden ist die Philosophie der Narren. In der Parāśara-smṛti, den religiösen Gesetzen, die von Parāśara, dem großen Weisen und dem Vater Vyāsadevas, verfaßt wurden, heißt es:

kṣatriyo hi prajā rakṣan
śastra-pāṇiḥ pradaṇḍayan
nirjitya para-sainyādi
kṣitiṁ dharmeṇa pālayet

„Es ist die Pflicht des kṣatriya, die Bürger vor allen auftretenden Schwierigkeiten zu schützen, und aus diesem Grund muß er in manchen Fällen Gewalt anwenden, um Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten. Daher hat er die Pflicht, die Soldaten feindlicher Könige zu besiegen, um dann auf der Grundlage religiöser Pflichten die Welt zu regieren.“

Wenn man alle Gesichtspunkte in Betracht zieht, hatte Arjuna keinen Grund, sich vom Kampf zurückzuziehen. Wenn er seine Feinde besiegte, würde er sich des Königreichs erfreuen können, und wenn er in der Schlacht sterben sollte, würde er auf die himmlischen Planeten erhoben werden, deren Tore ihm weit offenstanden. Zu kämpfen würde ihm also in jedem Fall nützen.

Text

atha cet tvam imaṁ dharmyaṁ
saṅgrāmaṁ na kariṣyasi
tataḥ sva-dharmaṁ kīrtiṁ ca
hitvā pāpam avāpsyasi

Synonyms

atha — daher; cet — falls; tvam — du; imam — dies; dharmyam — eine religiöse Pflicht; saṅgrāmam — Kämpfen; na — nicht; kariṣyasi — ausführst; tataḥ — dann; sva-dharmam — deine religiöse Pflicht; kīrtim — Ruf; ca — auch; hitvā — verlierend; pāpam — sündhafte Reaktion; avāpsyasi — wirst bekommen.

Translation

Wenn du jedoch deine religiöse Pflicht des Kämpfens nicht ausführst, wirst du gewiß Sünden auf dich laden, weil du deine Pflichten vernachlässigst, und wirst so deinen Ruf als Kämpfer verlieren.

Purport

ERLÄUTERUNG: Arjuna war ein berühmter Krieger, und er hatte Ruhm erworben, indem er mit vielen mächtigen Halbgöttern, selbst mit Śiva, kämpfte. Als er gegen den als Jäger verkleideten Śiva im Kampf siegreich war, fand der große Halbgott Wohlgefallen an ihm und gab ihm als Belohnung eine Waffe namens pāśupata-astra. Jeder wußte, daß Arjuna ein großer Krieger war. Selbst Droṇācārya gab ihm seinen Segen und schenkte ihm eine besondere Waffe, mit der er sogar seinen Lehrer töten konnte. So war er von vielen Autoritäten, sogar von seinem leiblichen Vater, Indra, dem König des Himmels, mit vielen militärischen Auszeichnungen geehrt worden; aber wenn er nun die Schlacht verließe, würde er nicht nur seine ihm zugeordnete Pflicht als kṣatriya vernachlässigen, sondern er würde auch all seinen Ruhm und seinen guten Ruf verlieren und sich so den direkten Weg zur Hölle ebnen. Mit anderen Worten, nicht wenn Arjuna kämpft, sondern wenn er sich von der Schlacht zurückzieht, würde er zur Hölle gehen.

Text

akīrtiṁ cāpi bhūtāni
kathayiṣyanti te ’vyayām
sambhāvitasya cākīrtir
maraṇād atiricyate

Synonyms

akīrtim — Schmach; ca — auch; api — darüber hinaus; bhūtāni — alle Menschen; kathayiṣyanti — werden sprechen; te — über dich; avyayām — für immer; sambhāvitasya — für einen geehrten Mann; ca — auch; akīrtiḥ — Schmach; maraṇāt — als der Tod; atiricyate — wird mehr.

Translation

Für alle Zeiten werden die Menschen von deiner Schmach sprechen, und für jemanden, der einmal geehrt wurde, ist Schande schlimmer als der Tod.

Purport

ERLÄUTERUNG: Sowohl als Freund wie auch als Philosoph fällt Śrī Kṛṣṇa jetzt Sein endgültiges Urteil über Arjunas Absicht, nicht zu kämpfen. Der Herr sagt: „Arjuna, wenn du das Schlachtfeld verläßt, bevor die Schlacht überhaupt beginnt, werden dich die Menschen einen Feigling nennen. Und wenn du meinst, daß die Menschen dich ruhig beschimpfen könnten, daß du aber trotzdem lieber dein Leben rettest, indem du vom Schlachtfeld fliehst, so rate Ich dir, lieber in der Schlacht zu sterben. Für einen ehrbaren Mann wie dich ist Schande schlimmer als der Tod. Deshalb solltest du nicht aus Angst um dein Leben fliehen, sondern lieber in der Schlacht sterben. Das wird dich vor der Schande bewahren, Meine Freundschaft mißbraucht zu haben und dein Ansehen in der Gesellschaft zu verlieren.“

Das endgültige Urteil des Herrn für Arjuna lautete also, in der Schlacht zu sterben, und nicht, sich zurückzuziehen.

Text

bhayād raṇād uparataṁ
maṁsyante tvāṁ mahā-rathāḥ
yeṣāṁ ca tvaṁ bahu-mato
bhūtvā yāsyasi lāghavam

Synonyms

bhayāt — aus Furcht; raṇāt — von dem Schlachtfeld; uparatam — beendet; maṁsyante — sie werden denken; tvām — du; mahā-rathāḥ — die großen Generäle; yeṣām — für die; ca — auch; tvam — du; bahu-mataḥ — in hoher Wertschätzung; bhūtvā — gewesen sein; yāsyasi — du wirst gehen; lāghavam — an Wert verloren.

Translation

Die großen Generäle, die deinen Namen und deinen Ruhm hoch ehrten, werden denken, du habest das Schlachtfeld nur aus Furcht verlassen, und so werden sie dich geringschätzen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Śrī Kṛṣṇa fährt fort, Arjuna Seine Entscheidung zu erklären: „Glaube nicht, daß die großen Generäle, wie Duryodhana, Karṇa und andere, denken werden, du habest das Schlachtfeld aus Mitleid mit deinen Brüdern und deinem Großvater verlassen. Sie werden glauben, du seiest aus Angst um dein Leben geflohen, und so wird ihre hohe Wertschätzung deiner Persönlichkeit ins Gegenteil umschlagen.“

Text

avācya-vādāṁś ca bahūn
vadiṣyanti tavāhitāḥ
nindantas tava sāmarthyaṁ
tato duḥkha-taraṁ nu kim

Synonyms

avācya — unfreundliche; vādān — ersonnene Worte; ca — auch; bahūn — viele; vadiṣyanti — werden sagen; tava — deine; ahitāḥ — Feinde; nindantaḥ — während sie verspotten; tava — deine; sāmarthyam — Fähigkeit; tataḥ — als das; duḥkha-taram — schmerzlicher; nu — selbstverständlich; kim — was gibt es.

Translation

Deine Feinde werden schlecht über dich reden und deine Fähigkeit verspotten. Was könnte schmerzlicher für dich sein?

Purport

ERLÄUTERUNG: Zu Beginn war Śrī Kṛṣṇa über Arjunas unangebrachte Worte des Mitleids erstaunt gewesen, und Er sagte, sein Mitleid sei den Nicht-Āryas angemessen. Nun hat Er Seine Einwände gegen Arjunas sogenanntes Mitleid ausführlich erläutert.

Text

hato vā prāpsyasi svargaṁ
jitvā vā bhokṣyase mahīm
tasmād uttiṣṭha kaunteya
yuddhāya kṛta-niścayaḥ

Synonyms

hataḥ — getötet werdend; — entweder; prāpsyasi — du erlangst; svargam — das himmlische Königreich; jitvā — indem du besiegst; — oder; bhokṣyase — du genießt; mahīm — die Welt; tasmāt — deshalb; uttiṣṭha — erhebe dich; kaunteya — o Sohn Kuntīs; yuddhāya — zu kämpfen; kṛta — entschlossen; niścayaḥ — mit Gewißheit.

Translation

O Sohn Kuntīs, entweder wirst du auf dem Schlachtfeld getötet werden und die himmlischen Planeten erreichen, oder du wirst siegen und so das Königreich der Erde genießen. Erhebe dich daher, und kämpfe mit Entschlossenheit.

Purport

ERLÄUTERUNG: Obwohl es nicht sicher war, daß Arjunas Seite siegen würde, mußte er dennoch kämpfen; denn selbst wenn er den Tod fände, würde er auf die himmlischen Planeten erhoben werden.

Text

sukha-duḥkhe same kṛtvā
lābhālābhau jayājayau
tato yuddhāya yujyasva
naivaṁ pāpam avāpsyasi

Synonyms

sukha — Glück; duḥkhe — und Leid; same — in Gleichmut; kṛtvā — so handelnd; lābha-alābhau — sowohl bei Verlust als auch bei Gewinn; jaya-ajayau — sowohl in Sieg als auch in Niederlage; tataḥ — danach; yuddhāya — um des Kampfes willen; yujyasva — beschäftige dich (kämpfe); na — niemals; evam — auf diese Weise; pāpam — sündhafte Reaktion; avāpsyasi — du wirst erwerben.

Translation

Kämpfe um des Kampfes willen, ohne Glück und Leid, Sieg oder Niederlage zu beachten. Wenn du so handelst, wirst du niemals Sünde auf dich laden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Śrī Kṛṣṇa sagt jetzt unmittelbar, daß Arjuna um des Kampfes willen kämpfen solle, da Er die Schlacht wünsche. Bei Tätigkeiten im Kṛṣṇa-Bewußtsein schenkt man Glück oder Leid, Gewinn oder Verlust, Sieg oder Niederlage keine Beachtung. Transzendentales Bewußtsein bedeutet, daß alles für Kṛṣṇa getan werden sollte; dann folgt auf materielle Tätigkeiten keine Reaktion. Jemand, der um der Befriedigung seiner eigenen Sinne willen handelt, entweder in Tugend oder in Leidenschaft, ist der Reaktion unterworfen, sei diese gut oder schlecht. Aber jemand, der sich in den Tätigkeiten des Kṛṣṇa-Bewußtseins völlig hingegeben hat, ist niemandem mehr verpflichtet und niemandem etwas schuldig, wie es sonst im gewöhnlichen Verlauf der Tätigkeiten ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam (11.5.41) heißt es:

devarṣi-bhūtāpta-nṛṇāṁ pitṝṇāṁ
na kiṅkaro nāyam ṛṇī ca rājan
sarvātmanā yaḥ śaraṇaṁ śaraṇyaṁ
gato mukundaṁ parihṛtya kartam

„Jeder, der sich Kṛṣṇa, Mukunda, völlig ergeben und alle anderen Pflichten aufgegeben hat, ist niemandem mehr verpflichtet und niemandem etwas schuldig – weder den Halbgöttern noch den Weisen, noch dem Volk, noch den Verwandten, noch der Menschheit, noch den Vorvätern.“ Das ist der indirekte Hinweis, den Kṛṣṇa Arjuna in diesem Vers gibt. In den folgenden Versen wird dies noch eingehender erklärt werden.

Text

eṣā te ’bhihitā sāṅkhye
buddhir yoge tv imāṁ śṛṇu
buddhyā yukto yayā pārtha
karma-bandhaṁ prahāsyasi

Synonyms

eṣā — all dies; te — dir; abhihitā — beschrieben; sāṅkhye — durch analytisches Studium; buddhiḥ — Intelligenz; yoge — in Arbeit ohne fruchttragendes Ergebnis; tu — aber; imām — dies; śṛṇu — höre einfach; buddhyā — durch Intelligenz; yuktaḥ — in Einklang gebracht; yayā — wodurch; pārtha — o Sohn Pṛthās; karma-bandham — Fessel der Reaktion; prahāsyasi — du kannst befreit werden von.

Translation

Bisher habe Ich dir dieses Wissen durch ein analytisches Studium erklärt. Höre nun, wie Ich es dir im Sinne von Tätigkeit ohne fruchttragendes Ergebnis erkläre. O Sohn Pṛthās, wenn du mit solchem Wissen handelst, kannst du dich von der Fessel der Tätigkeiten befreien.

Purport

ERLÄUTERUNG: Nach dem vedischen Wörterbuch Nirukti bedeutet saṅkhyā „das, was etwas in allen Einzelheiten beschreibt“, und das Wort sāṅkhya bezieht sich auf jene Philosophie, die die wahre Natur der Seele beschreibt. Und zu yoga gehört auch die Beherrschung der Sinne. Arjunas Entschluß, nicht zu kämpfen, hatte seine Ursache in dem Verlangen nach Sinnenbefriedigung. Seine vornehmste Pflicht vergessend, wollte er aufhören zu kämpfen, da er glaubte, glücklicher zu sein, wenn er seine Familienangehörigen und Verwandten nicht tötete, als wenn er sich des Königreiches erfreute, indem er seine Vettern und Brüder, die Söhne Dhṛtarāṣṭras, tötete. In beiden Fällen war persönliche Befriedigung der Grundgedanke. Seine Vorstellung, glücklich zu sein, indem er seine Verwandten in der Schlacht tötete bzw. verschonte, beruhte auf selbstischen Motiven, wofür er sogar bereit war, seine Weisheit und seine Pflicht zu opfern. Kṛṣṇa wollte daher Arjuna erklären, daß er die Seele selbst nicht töten würde, wenn er den Körper seines Großvaters tötete, und Er machte ihm klar, daß alle individuellen Personen, einschließlich des Herrn Selbst, ewige Individuen sind. Sie waren Individuen in der Vergangenheit, sie sind Individuen in der Gegenwart, und sie werden auch in der Zukunft Individuen bleiben, denn wir alle sind ewig individuelle Seelen und wechseln nur unser körperliches Gewand auf verschiedene Weise. Selbst nachdem wir von den Fesseln des materiellen Gewandes befreit sind, behalten wir unsere Individualität. Śrī Kṛṣṇa hat in einem analytischen Studium das Wesen der Seele und des Körpers bereits sehr ausführlich erklärt. Und dieses Wissen, das die Seele und den Körper von verschiedenen Gesichtspunkten aus beschreibt, ist hier als sāṅkhya bezeichnet worden, und zwar im Sinne der Definition im Nirukti-Wörterbuch. Dieser sāṅkhya hat mit der sāṅkhya-Philosophie des Atheisten Kapila nichts zu tun. Lange bevor der Betrüger Kapila seine sāṅkhya-Philosophie aufstellte, war die sāṅkhya-Philosophie, wie sie im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben wird, von dem wirklichen Kapila, einer Inkarnation Śrī Kṛṣṇas, Seiner Mutter Devahūti erklärt worden. Es wird von Ihm eindeutig erklärt, daß der puruṣa, der Höchste Herr, aktiv ist und daß Er die materielle Welt erschafft, indem Er über die prakṛti blickt. Diese Tatsache wird von den Veden und der Gītā anerkannt. Die Beschreibung in den Veden besagt, daß der Herr über die materielle Natur (prakṛti) blickte und sie mit atomischen individuellen Seelen befruchtete. Alle diese Individuen gehen in der materiellen Welt Tätigkeiten der Sinnenbefriedigung nach, und unter dem Zauber der materiellen Energie halten sie sich für Genießer. Diese Geisteshaltung findet ihren Höhepunkt im Wunsch des Lebewesens nach Befreiung, dem Wunsch, mit dem Höchsten Herrn eins zu werden. Das ist die letzte Falle māyās, der Illusion der Sinnenbefriedigung, und nur nach vielen, vielen Leben solcher sinnenbefriedigender Tätigkeiten geschieht es, daß sich eine große Seele Vāsudeva, Kṛṣṇa, ergibt und so an das Ende ihrer Suche nach der endgültigen Wahrheit gelangt.

Indem Arjuna sich Kṛṣṇa ergab, hat er Ihn bereits als spirituellen Meister angenommen: śiṣyas te ’haṁ śādhi māṁ tvāṁ prapannam. In der Folge wird Kṛṣṇa ihn nun über den Vorgang des Handelns in buddhi-yoga, das heißt über karma-yoga, belehren oder, mit anderen Worten, über die Praxis des hingebungsvollen Dienstes, bei der man ausschließlich für die Befriedigung der Sinne des Herrn tätig ist. Wie im zehnten Vers des Zehnten Kapitels erklärt wird, bedeutet buddhi- yoga die direkte Verbindung mit dem Herrn, der Sich als Paramātmā im Herzen eines jeden befindet. Aber diese Verbindung kommt nicht ohne hingebungsvollen Dienst zustande. Wer daher im hingebungsvollen, transzendentalen liebenden Dienst des Herrn, mit anderen Worten im Kṛṣṇa-Bewußtsein, verankert ist, erreicht diese Stufe des buddhi-yoga durch die besondere Gnade des Herrn. Der Herr sagt deshalb, daß Er nur diejenigen mit dem reinen Wissen der liebenden Hingabe beschenkt, die sich immer aus transzendentaler Liebe im hingebungsvollen Dienst betätigen. Auf diese Weise kann der Gottgeweihte Ihn sehr leicht im ewig-glückseligen Königreich Gottes erreichen.

Der in diesem Vers erwähnte buddhi-yoga bezieht sich also auf den hingebungsvollen Dienst des Herrn, und was das hier erwähnte Wort sāṅkhya betrifft, so hat es nichts mit dem atheistischen sāṅkhya- yoga zu tun, den der Betrüger Kapila verkündete. Man sollte daher den sāṅkhya-yoga, der hier erwähnt wird, auf keinen Fall mit dem atheistischen sāṅkhya verwechseln. Dazu kommt, daß diese Philosophie in der damaligen Zeit gar keinen Einfluß hatte, und Śrī Kṛṣṇa hätte Sich nicht die Mühe gemacht, solch gottlose philosophische Spekulationen zu erwähnen. Die wirkliche sāṅkhya-Philosophie wird von Śrī Kapila im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, aber selbst dieser sāṅkhya hat nichts mit den hier behandelten Themen zu tun. Hier ist mit sāṅkhya die analytische Beschreibung des Körpers und der Seele gemeint. Śrī Kṛṣṇa gab eine analytische Beschreibung der Seele, nur um Arjuna zur Stufe des buddhi-yoga, oder bhakti-yoga, hinzuführen. Deshalb ist Śrī Kṛṣṇas sāṅkhya und Śrī Kapilas sāṅkhya, wie er im Bhāgavatam beschrieben wird, ein und dasselbe. Beides ist bhakti-yoga. Aus diesem Grunde sagte Śrī Kṛṣṇa, daß nur unintelligente Menschen zwischen sāṅkhya-yoga und bhakti-yoga unterscheiden (sāṅkhya-yogau pṛthag bālāḥ pravadanti na paṇḍitāḥ).

Natürlich hat atheistischer sāṅkhya-yoga nichts mit bhakti-yoga zu tun, aber dennoch behaupten solche unintelligenten Menschen, daß sich die Bhagavad-gītā auf diesen atheistischen sāṅkhya-yoga beziehe.

Buddhi-yoga bedeutet also, im Kṛṣṇa-Bewußtsein, in der Glückseligkeit und dem Wissen des hingebungsvollen Dienstes, tätig zu sein. Wer ausschließlich für die Zufriedenstellung des Herrn tätig ist, ganz gleich wie schwierig es sein mag, arbeitet nach den Prinzipien des buddhi- yoga und ist immer in transzendentale Glückseligkeit eingetaucht. Durch solche transzendentale Betätigung entwickelt man, dank der Gnade des Herrn, automatisch alle transzendentale Erkenntnis und so ist die erlangte Befreiung in sich selbst vollkommen, ohne daß man sich gesondert darum bemühen muß, Wissen zu erwerben. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Arbeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein und Arbeit für fruchttragende Ergebnisse, das heißt für Sinnenbefriedigung in Form von familiärem und materiellem Glück. Buddhi-yoga bezieht sich also auf die transzendentale Eigenschaft der Arbeit, die wir ausführen.

Text

nehābhikrama-nāśo ’sti
pratyavāyo na vidyate
sv-alpam apy asya dharmasya
trāyate mahato bhayāt

Synonyms

na — es gibt nicht; iha — in diesem yoga; abhikrama — beim Bemühen; nāśaḥ — Verlust; asti — es gibt; pratyavāyaḥ — Minderung; na — niemals; vidyate — es gibt; su-alpam — ein wenig; api — obwohl; asya — von dieser; dharmasya — Beschäftigung; trāyate — befreit; mahataḥ — von sehr großer; bhayāt — Gefahr.

Translation

Bei dieser Bemühung gibt es weder Verlust noch Minderung, und schon ein wenig Fortschritt auf diesem Pfad kann einen vor der größten Gefahr bewahren.

Purport

ERLÄUTERUNG: Im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig zu sein, das heißt nur für die Zufriedenstellung Kṛṣṇas zu handeln, ohne für sich selbst Sinnenbefriedigung zu erwarten, ist die höchste Art transzendentaler Tätigkeit. Selbst eine kleine anfängliche Bemühung auf diesem Pfad kann nicht aufgehalten werden, und auf keiner Stufe kann dieser kleine Anfang jemals verlorengehen. Jede auf der materiellen Ebene begonnene Arbeit muß vollendet werden, sonst ist das ganze Unterfangen ein Fehlschlag. Aber jede Arbeit, die man im Kṛṣṇa-Bewußtsein beginnt, hat eine dauernde Wirkung, selbst wenn sie nicht zu Ende geführt wird. Selbst wenn also eine Tätigkeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein unvollendet bleibt, verliert derjenige, der sie ausführt, nichts. Man mag von all seinen Tätigkeiten nur ein Prozent dem Kṛṣṇa-Bewußtsein widmen, und trotzdem sind bleibende Ergebnisse die Folge, so daß man beim nächsten Start bei zwei Prozent weitermachen kann, wohingegen es bei materieller Tätigkeit ohne einen hundertprozentigen Erfolg keinen Gewinn gibt. Ajāmila zum Beispiel erfüllte seine Pflicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein nur bis zu einem gewissen Prozentsatz, aber das Ergebnis, das ihm am Ende zuteil wurde, war durch die Gnade des Herrn ein hundertprozentiger Erfolg. In diesem Zusammenhang findet man im Śrīmad-Bhāgavatam (1.5.17) einen schönen Vers:

tyaktvā sva-dharmaṁ caraṇāmbujaṁ harer
bhajann apakvo ’tha patet tato yadi
yatra kva vābhadram abhūd amuṣya kiṁ
ko vārtha āpto ’bhajatāṁ sva-dharmataḥ

„Was verliert jemand, der seine gesellschaftlichen Pflichten aufgibt, um sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zu widmen, selbst wenn er zu Fall kommt, weil er den Pfad nicht bis zum Ende beschreitet? Was hingegen gewinnt man, wenn man seine materiellen Tätigkeiten in vollkommener Weise ausführt?“ Oder wie es die Christen ausdrücken: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber an seiner ewigen Seele Schaden nimmt?“

Materielle Tätigkeiten und ihre Ergebnisse enden mit dem Körper. Betätigung im Kṛṣṇa-Bewußtsein aber trägt einen Menschen selbst nach dem Verlust des gegenwärtigen Körpers erneut zum Kṛṣṇa-Bewußtsein. Zumindest ist es sicher, daß man im nächsten Leben die Möglichkeit hat, wieder als Mensch geboren zu werden, entweder in der Familie eines hochgebildeten brāhmaṇa oder in einer reichen aristokratischen Familie, was einem eine weitere Gelegenheit zur Erhebung bietet. Dies ist die einzigartige Eigenschaft von Tätigkeiten, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein verrichtet werden.

Text

vyavasāyātmikā buddhir
ekeha kuru-nandana
bahu-śākhā hy anantāś ca
buddhayo ’vyavasāyinām

Synonyms

vyavasāya-ātmikā — entschlossen im Kṛṣṇa-Bewußtsein; buddhiḥ — Intelligenz; ekā — nur eines; iha — in dieser Welt; kuru-nandana — o geliebtes Kind der Kurus; bahu-śākhāḥ — vielverzweigt sein; hi — in der Tat; anantāḥ — unbegrenzt; ca — auch; buddhayaḥ — Intelligenz; avyavasāyinām — derjenigen, die nicht Kṛṣṇa-bewußt sind.

Translation

Diejenigen, die diesen Pfad beschreiten, sind entschlossen in ihrem Vorhaben, und ihr Ziel ist eins. O geliebtes Kind der Kurus, die Intelligenz der Unentschlossenen jedoch ist vielverzweigt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Den starken Glauben, daß man durch Kṛṣṇa- Bewußtsein die höchste Vollkommenheit des Lebens erreichen wird, bezeichnet man als vyavasāyātmikā-Intelligenz. Im Caitanya-caritāmṛta (Madhya 22.62) heißt es:

‘śraddhā’-śabde – viśvāsa kahe sudṛḍha niścaya
kṛṣṇe bhakti kaile sarva-karma kṛta haya

Glaube bedeutet unerschütterliches Vertrauen in etwas Erhabenes. Wenn man die Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllt, braucht man den Verpflichtungen, die man in der materiellen Welt gegenüber der Familie, der Menschheit oder der Nation haben mag, nicht nachzukommen. Fruchtbringende Tätigkeiten sind die Handlungen, die aus den Reaktionen auf vergangene gute oder schlechte Taten hervorgehen. Im Zustand des erwachten Kṛṣṇa-Bewußtseins jedoch braucht man bei seinen Tätigkeiten nicht mehr nach guten Ergebnissen zu streben. Wenn man im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, befinden sich alle Handlungen auf der absoluten Ebene, da sie nicht mehr der Dualität, wie gut und schlecht, unterworfen sind. Die höchste Vollkommenheit des Kṛṣṇa-Bewußtseins ist die Entsagung der materiellen Lebensauffassung. Diese Stufe wird mit fortschreitendem Kṛṣṇa-Bewußtsein von selbst erreicht.

Die unerschütterliche Entschlossenheit eines Menschen im Kṛṣṇa- Bewußtsein gründet auf Wissen. Vāsudevaḥ sarvam iti sa mahātmā su-durlabhaḥ. Es ist eine seltene, große Seele, die Kṛṣṇa-bewußt ist und vollkommen versteht, daß Vāsudeva, Kṛṣṇa, die Wurzel aller manifestierten Ursachen ist. So wie man automatisch den Blättern und Zweigen des gesamten Baumes dient, indem man die Wurzel begießt, so kann man jedem – sich selbst, der Familie, der Gesellschaft, dem Land, der Menschheit usw. – den höchsten Dienst erweisen, indem man im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt. Wenn Kṛṣṇa durch unsere Tätigkeiten zufriedengestellt ist, dann wird jeder zufrieden sein.

Dienst im Kṛṣṇa-Bewußtsein wird jedoch am besten unter der kundigen Führung eines spirituellen Meisters ausgeführt, der ein echter Vertreter Kṛṣṇas ist, der das Wesen seines Schülers kennt und der ihn so anleiten kann, daß er im Kṛṣṇa-Bewußtsein handelt. Um daher im Kṛṣṇa-Bewußtsein wirklich fortzuschreiten, muß man fest entschlossen handeln und dem Stellvertreter Kṛṣṇas gehorchen, und man sollte die Anweisung des echten spirituellen Meisters als seine Lebensaufgabe ansehen. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura lehrt uns in seinen berühmten Gebeten zum spirituellen Meister:

yasya prasādād bhagavat-prasādo
yasyāprasādān na gatiḥ kuto ’pi
dhyāyan stuvaṁs tasya yaśas tri-sandhyaṁ
vande guroḥ śrī-caraṇāravindam

„Wenn der spirituelle Meister zufriedengestellt ist, dann ist auch die Höchste Persönlichkeit Gottes zufrieden. Und wenn man den spirituellen Meister nicht zufriedenstellt, ist es nicht möglich, auf die Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben zu werden. Mindestens dreimal am Tag sollte ich deshalb über ihn meditieren und beten, er möge mir seine Barmherzigkeit gewähren. Ihm, meinem spirituellen Meister, erweise ich meine achtungsvollen Ehrerbietungen.“

Der ganze Vorgang hängt jedoch davon ab, daß man vollkommenes Wissen über die Seele jenseits des Körpers besitzt – nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch praktisches, indem man nicht mehr versucht, seine Sinne durch fruchtbringende Handlungen zu befriedigen. Jemand, der im Geist nicht wahrhaft gefestigt ist, wird von verschiedenen fruchtbringenden Handlungen abgelenkt.

Text

yām imāṁ puṣpitāṁ vācaṁ
pravadanty avipaścitaḥ
veda-vāda-ratāḥ pārtha
nānyad astīti vādinaḥ
kāmātmānaḥ svarga-parā
janma-karma-phala-pradām
kriyā-viśeṣa-bahulāṁ
bhogaiśvarya-gatiṁ prati

Synonyms

yām imām — all diese; puṣpitām — blumige; vācam — Worte; prava- danti — sagen; avipaścitaḥ — Menschen mit einem geringen Maß an Wissen; veda-vāda-ratāḥ — vorgebliche Befolger der Veden; pārtha — o Sohn Pṛthās; na — niemals; anyat — etwas anderes; asti — es gibt; iti — so; vādinaḥ — die Befürworter; kāma-ātmānaḥ — begierig nach Sinnenbefriedigung; svarga-parāḥ — bestrebt, die himmlischen Planeten zu erreichen; janma-karma-phala-pradām — mit dem Ergebnis einer guten Geburt und anderen fruchttragenden Reaktionen; kriyā-viśeṣa — pompöse Zeremonien; bahulām — verschiedenartige; bhoga — in Sinnengenuß; aiśvarya — und Reichtum; gatim — Fortschritt; prati — entgegen.

Translation

Menschen mit geringem Wissen hängen sehr an den blumigen Worten der Veden, die verschiedenste fruchtbringende Tätigkeiten empfehlen, um auf die himmlischen Planeten erhoben zu werden oder eine gute Geburt, Macht usw. zu erlangen. Da sie Sinnenbefriedigung und ein Leben in Reichtum begehren, sagen sie, es gäbe nichts, was darüber hinausgehe.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die meisten Menschen sind nicht sehr intelligent, und aufgrund ihrer Unwissenheit haften sie sehr stark an den im karma- kāṇḍa-Teil der Veden empfohlenen fruchtbringenden Tätigkeiten. Sie wünschen sich nichts anderes als Möglichkeiten zur Sinnenbefriedigung, um ein Leben auf den himmlischen Planeten genießen zu können, wo Wein und Frauen zur Verfügung stehen und überall materieller Reichtum herrscht. Zu diesem Zweck werden in den Veden viele Opfer empfohlen, vor allem die Jyotiṣṭoma-Opfer. Ja, es heißt sogar, daß jeder, der zu den himmlischen Planeten erhoben werden will, diese Opfer ausführen muß, und Menschen mit geringem Wissen glauben, dies sei der ganze Sinn und Zweck der vedischen Weisheit. Solch unerfahrenen Menschen fällt es sehr schwer, sich das entschlossene Handeln im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu eigen zu machen. So wie Toren sich zu den Blüten giftiger Bäume hingezogen fühlen, ohne die Folgen dieser Versuchung zu kennen, so werden Menschen, die nicht sehr fortgeschritten sind, von solch himmlischem Reichtum und der damit verbundenen Sinnenfreude betört.

Im karma-kāṇḍa-Teil der Veden heißt es: apāma somam amṛtā abhūma und akṣayyaṁ ha vai cāturmāsya-yājinaḥ sukṛtaṁ bhavati. Mit anderen Worten, diejenigen, die sich den vier Monate langen Bußen unterziehen, erwerben die Eignung, den soma-rasa zu trinken, einen Trank, um unsterblich und für immer glücklich zu werden. Selbst auf der Erde sind einige Menschen sehr begierig, diesen soma-rasa-Trank zu bekommen, um stark und gesund zu werden und Sinnenbefriedigung genießen zu können. Solche Menschen glauben nicht an die Befreiung aus der materiellen Knechtschaft, und sie haften sehr an den pompösen Zeremonien der vedischen Opfer. Sie sind im allgemeinen sinnlich veranlagt und trachten nach nichts anderem als den himmlischen Freuden des Lebens. Es wird beschrieben, daß es Gärten gibt, Nandana-kānana genannt, in denen sich die Gelegenheit bietet, mit engelgleichen schönen Frauen zusammenzusein und reichlich soma-rasa-Wein zu trinken. Solch körperliches Glück ist zweifellos sinnlich; daher sind dort diejenigen anzutreffen, die – als „Herren der materiellen Welt“ – völlig dem materiellen, zeitweiligen Glück verhaftet sind.

Text

bhogaiśvarya-prasaktānāṁ
tayāpahṛta-cetasām
vyavasāyātmikā buddhiḥ
samādhau na vidhīyate

Synonyms

bhoga — an materiellen Genuß; aiśvarya — und Reichtum; prasaktānām — für diejenigen, die angehaftet sind; tayā — durch solche Dinge; apahṛta-cetasām — verwirrt im Geist; vyavasāya-ātmikā — feste Entschlossenheit; buddhiḥ — hingebungsvoller Dienst zum Herrn; samādhau — im beherrschten Geist; na — niemals; vidhīyate — findet statt.

Translation

Im Geist derer, die zu sehr an Sinnengenuß und materiellem Reichtum haften und die durch solche Dinge verwirrt sind, kommt es nicht zu dem festen Entschluß, dem Höchsten Herrn in Hingabe zu dienen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Samādhi bedeutet „fest verankerter Geist“. Das vedische Wörterbuch Nirukti erklärt hierzu: samyag ādhīyate ’sminn ātma-tattva-yāthātmyam. „Wenn der Geist fest darauf gerichtet ist, das Selbst zu verstehen, nennt man dies samādhi.Samādhi ist niemals möglich für Menschen, die an materiellem Sinnengenuß interessiert sind, und auch nicht für diejenigen, die durch solch zeitweilige Dinge verwirrt sind. Sie sind durch die Wirkungsweise der materiellen Energie mehr oder minder verdammt.

Text

trai-guṇya-viṣayā vedā
nistrai-guṇyo bhavārjuna
nirdvandvo nitya-sattva-stho
niryoga-kṣema ātmavān

Synonyms

trai-guṇya — sich auf die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur beziehend; viṣayāḥ — über das Thema; vedāḥ — die vedischen Schriften; nistrai-guṇyaḥ — transzendental zu den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur; bhava — sei; arjuna — o Arjuna; nirdvandvaḥ — ohne Dualität; nitya-sattva-sthaḥ — in einem reinen Zustand spiritueller Existenz; niryoga-kṣemaḥ — frei von Gedanken an Gewinn und Schutz; ātma-vān — im Selbst verankert.

Translation

Die Veden handeln hauptsächlich von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. O Arjuna, transzendiere diese drei Erscheinungsweisen. Sei frei von allen Dualitäten und aller Sorge um Gewinn und Sicherheit, und sei im Selbst verankert.

Purport

ERLÄUTERUNG: Alle materiellen Tätigkeiten beinhalten Aktionen und Reaktionen innerhalb der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Sie werden mit der Absicht ausgeführt, fruchtbringende Ergebnisse zu bekommen, die ihrerseits Knechtschaft in der materiellen Welt verursachen. Die Veden handeln hauptsächlich von fruchtbringenden Tätigkeiten, um die Menschen allmählich aus dem Bereich der Sinnenbefriedigung zu einer Stellung auf der transzendentalen Ebene zu erheben. Arjuna bekommt als Schüler und Freund Śrī Kṛṣṇas den Rat, sich auf die transzendentale Ebene der Vedānta-Philosophie zu erheben, in der zu Beginn Fragen über die höchste Transzendenz (brahma-jijñāsā) gestellt werden. Alle Lebewesen, die sich in der materiellen Welt aufhalten, kämpfen sehr schwer um ihre Existenz. Für sie gab der Herr nach der Schöpfung der materiellen Welt die vedische Weisheit, die lehrt, wie man leben soll, um sich aus der materiellen Verstrickung zu befreien. Wenn die Tätigkeiten für Sinnenbefriedigung, nämlich das karma-kāṇḍa-Kapitel, abgeschlossen sind, wird die Möglichkeit spiritueller Erkenntnis in Form der Upaniṣaden angeboten, die Teile verschiedener Veden sind, ebenso wie die Bhagavad-gītā ein Teil des fünften Veda, des Mahābhārata, ist. Die Upaniṣaden beschreiben den Beginn transzendentalen Lebens.

Solange der materielle Körper existiert, gibt es Aktionen und Reaktionen in den materiellen Erscheinungsweisen. Man muß lernen, Dualitäten wie Glück und Leid oder Kälte und Hitze zu ertragen, und indem man solche Dualität duldet, wird man frei von aller Sorge um Gewinn und Verlust. Diese transzendentale Stellung wird erreicht, wenn man vollkommen Kṛṣṇa-bewußt ist und sich völlig von Kṛṣṇas Wohlwollen abhängig gemacht hat.

Text

yāvān artha uda-pāne
sarvataḥ samplutodake
tāvān sarveṣu vedeṣu
brāhmaṇasya vijānataḥ

Synonyms

yāvān — all das; arthaḥ — ist bestimmt; uda-pāne — in einem Brunnen; sarvataḥ — in jeder Hinsicht; sampluta-udake — in einem großen Gewässer; tāvān — in ähnlicher Weise; sarveṣu — in allen; vedeṣu — vedischen Schriften; brāhmaṇasya — des Menschen, der das Höchste Brahman kennt; vijānataḥ — der über vollständiges Wissen verfügt.

Translation

Alle Zwecke, die ein kleiner Brunnen erfüllt, können sogleich von einem großen Gewässer erfüllt werden. In ähnlicher Weise können alle Ziele der Veden von jemandem erreicht werden, der das Ziel hinter ihnen kennt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die im karma-kāṇḍa-Teil der vedischen Literatur erwähnten Rituale und Opfer sollen dazu ermutigen, allmählich Selbstverwirklichung zu erlangen. Und das Ziel von Selbstverwirklichung wird im Fünfzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā (15.15) deutlich erklärt: Das Ziel des Studiums der Veden besteht darin, Śrī Kṛṣṇa, die urerste Ursache aller Dinge, zu erkennen. Selbstverwirklichung bedeutet also, Kṛṣṇa und unsere ewige Beziehung zu Ihm zu verstehen. Die Beziehung der Lebewesen zu Kṛṣṇa wird ebenfalls im Fünfzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā (15.7) beschrieben. Die Lebewesen sind Bestandteile Kṛṣṇas; deswegen ist es die höchste Vollkommenheit des vedischen Wissens, wenn das individuelle Lebewesen sein Kṛṣṇa- Bewußtsein wiederbelebt. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam (3.33.7) wie folgt bestätigt:

aho bata śva-paco ’to garīyān
yaj-jihvāgre vartate nāma tubhyam
tepus tapas te juhuvuḥ sasnur āryā
brahmānūcur nāma gṛṇanti ye te

„O mein Herr, ein Mensch, der Deinen Heiligen Namen chantet, befindet sich auf der höchsten Ebene der Selbstverwirklichung, selbst wenn er in einer niedrigen Familie wie der eines caṇḍāla [Hundeessers] geboren wurde. Ein solcher Mensch muß alle Arten von Bußen und Opfern in Übereinstimmung mit den vedischen Ritualen ausgeführt und viele Male die vedischen Schriften studiert haben und an allen heiligen Pilgerstätten gebadet haben. Ein solcher Mensch muß als der Beste der Ārya-Familie angesehen werden.“

Man muß deshalb intelligent genug sein, das Ziel der Veden zu verstehen, ohne nur an den Ritualen zu haften, und man darf nicht danach trachten, zu den himmlischen Königreichen erhoben zu werden, um eine höhere Form der Sinnenbefriedigung zu genießen. Es ist dem gewöhnlichen Menschen in diesem Zeitalter nicht möglich, alle Regeln und Vorschriften der vedischen Rituale zu befolgen oder den Vedānta und die Upaniṣaden vollumfänglich zu studieren. Es erfordert viel Zeit, Energie, Wissen und Aufwand, um den verschiedenen Zielen der Veden gerecht zu werden. Dies ist im gegenwärtigen Zeitalter kaum mehr möglich. Das höchste Ziel der vedischen Kultur wird jedoch erreicht, wenn man den Heiligen Namen des Herrn chantet, wie es Śrī Caitanya, der Befreier aller gefallenen Seelen, empfahl. Als Śrī Caitanya von dem großen vedischen Gelehrten Prakāśānanda Sarasvatī gefragt wurde, warum Er, anstatt die Philosophie des Vedānta zu studieren, wie ein sentimentaler Schwärmer den Heiligen Namen des Herrn chante, entgegnete Er, Sein spiritueller Meister habe Ihn für einen großen Narren befunden und Ihn daher angewiesen, den Heiligen Namen Śrī Kṛṣṇas zu chanten. Er habe dies getan und sei vor Ekstase wie verrückt geworden. Im Zeitalter des Kali ist der größte Teil der Bevölkerung dumm und nicht genügend gebildet, um die Vedānta-Philosophie zu verstehen; doch der Sinn und Zweck der Vedānta-Philosophie wird erfüllt, wenn man den Heiligen Namen des Herrn ohne Vergehen chantet. Der Vedānta bildet die Essenz der vedischen Weisheit, und der Verfasser und Kenner der Vedānta-Philosophie ist Śrī Kṛṣṇa Selbst. Und der höchste Meister des Vedānta ist jene große Seele, die Freude daran findet, den Heiligen Namen des Herrn zu chanten. Das ist das höchste Ziel aller vedischen Mystik.

Text

karmaṇy evādhikāras te
mā phaleṣu kadācana
mā karma-phala-hetur bhūr
mā te saṅgo ’stv akarmaṇi

Synonyms

karmaṇi — vorgeschriebene Pflichten; eva — gewiß; adhikāraḥ — Recht; te — von dir; — niemals; phaleṣu — an den Früchten; kadācana — zu irgendeiner Zeit; — niemals; karma-phala — im Ergebnis der Tätigkeit; hetuḥ — Ursache; bhūḥ — werde; — niemals; te — von dir; saṅgaḥ — Anhaftung; astu — sollte sein; akarmaṇi — die vorgeschriebenen Pflichten nicht auszuführen.

Translation

Du hast das Recht, deine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen, aber du hast keinen Anspruch auf die Früchte des Handelns. Halte dich niemals für die Ursache der Ergebnisse deiner Tätigkeiten, und hafte niemals daran, deine Pflicht nicht zu erfüllen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hier wird von drei Dingen gesprochen, nämlich von vorgeschriebenen Pflichten, launenhafter Tätigkeit und Untätigkeit. Unter vorgeschriebenen Pflichten versteht man Tätigkeiten, die gemäß den Erscheinungsweisen der materiellen Natur, die unseren Körper beeinflussen, ausgeführt werden müssen. Unter launenhafter Tätigkeit versteht man Handlungen, die ohne die Sanktion einer Autorität ausgeführt werden, und Untätigkeit bedeutet, seine vorgeschriebenen Pflichten nicht zu erfüllen. Der Herr wies Arjuna an, nicht untätig zu sein, sondern seine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen, ohne am Ergebnis zu haften. Wer am Ergebnis seiner Tätigkeiten haftet, ist auch die Ursache dieser Tätigkeiten und muß daher deren Ergebnis genießen oder erleiden.

Was vorgeschriebene Pflichten betrifft, so können sie in drei Unterteilungen gegliedert werden, nämlich tägliche Arbeit, durch außergewöhnliche Umstände bedingte Tätigkeit und wunschgemäße Tätigkeit. Tägliche Arbeit gemäß den Anordnungen der Schriften, ohne nach den Ergebnissen zu verlangen, ist Tätigkeit in der Erscheinungsweise der Tugend. Arbeit um der Ergebnisse willen wird die Ursache von Bindung; deshalb ist solche Arbeit nicht glückverheißend. Jeder hat ein Anrecht auf die Erfüllung der vorgeschriebenen Pflichten, doch er sollte ohne Anhaftung an das Ergebnis handeln. Solch uneigennützige, obligatorische Pflichten führen einen ohne Zweifel auf den Pfad der Befreiung.

Arjuna wurde deshalb vom Herrn aufgefordert, aus reiner Pflichterfüllung zu kämpfen, ohne am Ergebnis zu haften. Würde er an der Schlacht nicht teilnehmen, wäre dies eine andere Form der Anhaftung. Solche Anhaftung führt einen niemals auf den Pfad der Erlösung. Jede Anhaftung – ob positiv oder negativ – ist die Ursache für Bindung. Untätigkeit ist sündhaft. Daher war Kämpfen aus reiner Pflichterfüllung der einzige glückverheißende Pfad der Erlösung für Arjuna.

Text

yoga-sthaḥ kuru karmāṇi
saṅgaṁ tyaktvā dhanañ-jaya
siddhy-asiddhyoḥ samo bhūtvā
samatvaṁ yoga ucyate

Synonyms

yoga-sthaḥ — mit Gleichmut; kuru — erfülle; karmāṇi — deine Pflichten; saṅgam — Anhaftung; tyaktvā — aufgebend; dhanam-jaya — o Arjuna; siddhi-asiddhyoḥ — bei Erfolg und Mißerfolg; samaḥ — ausgeglichen; bhūtvā — werdend; samatvam — mit Gleichmut; yogaḥ — yoga; ucyate — wird genannt.

Translation

Erfülle deine Pflicht mit Gleichmut, o Arjuna, und gib alle Anhaftung an Erfolg und Mißerfolg auf. Solche Ausgeglichenheit wird yoga genannt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Kṛṣṇa sagt zu Arjuna, er solle in yoga handeln. Und was bedeutet yoga? Yoga bedeutet, den Geist auf den Höchsten zu konzentrieren, indem man die ständig störenden Sinne beherrscht. Und wer ist dieser „Höchste“? Der Höchste ist Kṛṣṇa. Und weil Kṛṣṇa hier persönlich Arjuna anweist zu kämpfen, hat Arjuna mit den Ergebnissen des Kampfes nichts zu tun. Gewinn oder Sieg sind Kṛṣṇas Sache; Arjuna muß nur nach der Anweisung Kṛṣṇas handeln. Kṛṣṇas Anweisung zu folgen ist wirklicher yoga, und dies wird im Vorgang des Kṛṣṇa- Bewußtseins praktiziert. Allein durch Kṛṣṇa-Bewußtsein kann man die Vorstellung aufgeben, irgend etwas in dieser Welt zu besitzen. Man muß der Diener Kṛṣṇas oder der Diener des Dieners von Kṛṣṇa werden. Das ist der richtige Weg, seine Pflicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erfüllen, und das allein kann einem helfen, in yoga zu handeln.

Arjuna ist ein kṣatriya und gehört als solcher zur Einrichtung des varṇāśrama-dharma. Im Viṣṇu Purāṇa wird gesagt, daß im varṇāśrama-dharma das ganze Ziel darin besteht, Viṣṇu zufriedenzustellen. Niemand sollte für die eigene Zufriedenstellung arbeiten, wie dies in der materiellen Welt die Regel ist, sondern für die Zufriedenstellung Kṛṣṇas. Ohne Kṛṣṇa zufriedenzustellen, kann man die Prinzipien des varṇāśrama-dharma nicht richtig befolgen. Indirekt wurde Arjuna nahegelegt, so zu handeln, wie Kṛṣṇa es von ihm verlangte.

Text

dūreṇa hy avaraṁ karma
buddhi-yogād dhanañ-jaya
buddhau śaranam anviccha
kṛpaṇāḥ phala-hetavaḥ

Synonyms

dūreṇa — wirf weit fort; hi — gewiß; avaram — abscheuliche; karma — Tätigkeiten; buddhi-yogāt — auf der Kraft des Kṛṣṇa-Bewußtseins gründend; dhanam-jaya — o Eroberer von Reichtum; buddhau — in solchem Bewußtsein; śaraṇam — volle Hingabe; anviccha — strebe nach; kṛpaṇāḥ — Geizhälse; phala-hetavaḥ — diejenigen, die nach fruchttragenden Ergebnissen streben.

Translation

O Dhanañjaya, halte alle abscheulichen Tätigkeiten durch hingebungsvollen Dienst fern von dir, und ergib dich in diesem Bewußtsein dem Herrn. Diejenigen, die die Früchte ihrer Arbeit genießen wollen, sind Geizhälse.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wer seine wesensgemäße Stellung als ewiger Diener des Herrn wirklich verstanden hat, gibt alle anderen Beschäftigungen außer den Tätigkeiten im Kṛṣṇa-Bewußtsein auf. Wie schon erklärt wurde, bedeutet buddhi-yoga transzendentaler liebender Dienst für den Herrn. Solch hingebungsvoller Dienst ist die richtige Handlungsweise für das Lebewesen. Nur Geizhälse wollen die Früchte ihrer Arbeit genießen, wodurch sie nur noch mehr in die materielle Knechtschaft verstrickt werden. Außer Arbeit im Kṛṣṇa-Bewußtsein sind alle Tätigkeiten verabscheuenswert, da sie den Handelnden fortgesetzt an den Kreislauf von Geburt und Tod binden. Man sollte deshalb niemals selbst die Ursache der Tätigkeiten sein wollen. Alles sollte im Kṛṣṇa-Bewußtsein getan werden, um Kṛṣṇa zufriedenzustellen. Ein Geizhals weiß nicht, wie er seine Besitztümer verwenden soll, die er sich durch glückliche Umstände oder harte Arbeit erworben hat. Man sollte alle Energie verwenden, um sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu betätigen; das wird unser Leben erfolgreich machen. Unglückselige Menschen jedoch stellen, wie die Geizhälse, ihre menschliche Energie nicht in den Dienst des Herrn.

Text

buddhi-yukto jahātīha
ubhe sukṛta-duṣkṛte
tasmād yogāya yujyasva
yogaḥ karmasu kauśalam

Synonyms

buddhi-yuktaḥ — jemand, der im hingebungsvollen Dienst tätig ist; jahāti — kann sich befreien von; iha — in diesem Leben; ubhe — beide; sukṛta-duṣkṛte — gute und schlechte Ergebnisse; tasmāt — deshalb; yogāya — für den hingebungsvollen Dienst; yujyasva — sei auf diese Weise tätig; yogaḥ — Kṛṣṇa-Bewußtsein; karmasu — in allen Tätigkeiten; kauśalam — Kunst.

Translation

Jemand, der im hingebungsvollen Dienst tätig ist, befreit sich schon im gegenwärtigen Leben sowohl von guten als auch von schlechten Reaktionen. Deshalb strebe nach yoga, der Kunst des Handelns.

Purport

ERLÄUTERUNG: Seit unvordenklichen Zeiten hat jedes Lebewesen die verschiedenen Reaktionen auf seine guten und schlechten Tätigkeiten angesammelt. Auf diese Weise ist es zu erklären, daß es sich fortgesetzt in Unwissenheit über seine eigentliche, wesensgemäße Stellung befindet. Diese Unwissenheit kann durch die Unterweisungen der Bhagavad-gītā beseitigt werden, die uns lehrt, sich Śrī Kṛṣṇa in jeder Hinsicht zu ergeben und so von der Fessel, die uns Leben für Leben an Aktion und Reaktion bindet, frei zu werden. Arjuna wird daher der Rat gegeben, im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu handeln, dem Vorgang, durch den man von allen Reaktionen auf vergangene Handlungen geläutert werden kann.

Text

karma-jaṁ buddhi-yuktā hi
phalaṁ tyaktvā manīṣiṇaḥ
janma-bandha-vinirmuktāḥ
padaṁ gacchanty anāmayam

Synonyms

karma-jam — aufgrund fruchtbringender Tätigkeiten; buddhi-yuktāḥ — im hingebungsvollen Dienst beschäftigt; hi — gewiß; phalam — Ergebnisse; tyaktvā — aufgebend; manīṣiṇaḥ — große Weise und Gottgeweihte; janma-bandha — von der Fessel an Geburt und Tod; vinirmuktāḥ — befreit; padam — Stellung; gacchanti — sie erreichen; anāmayam — ohne Leiden.

Translation

Indem sich die großen Weisen und Gottgeweihten so im hingebungsvollen Dienst des Herrn betätigen, befreien sie sich von den Ergebnissen ihrer Tätigkeiten in der materiellen Welt. Auf diese Weise werden sie vom Kreislauf von Geburt und Tod frei und erreichen den Ort jenseits aller Leiden [indem sie zurück zu Gott gehen].

Purport

ERLÄUTERUNG: Die befreiten Lebewesen gehören zu jenem Ort, wo es keine materiellen Leiden gibt. Im Bhāgavatam (10.14.58) heißt es:

samāṣritā ye pada-pallava-plavaṁ
mahat-padaṁ puṇya-yaśo murāreḥ
bhavāmbudhir vatsa-padaṁ paraṁ padaṁ
padaṁ padaṁ yad vipadāṁ na teṣām

„Für jemanden, der das Boot der Lotosfüße des Herrn bestiegen hat – welcher der kosmischen Manifestation Zuflucht gewährt und als Mukunda (derjenige, der mukti gewährt) berühmt ist –, ist der Ozean der materiellen Welt wie das Wasser im Hufabdruck eines Kalbes. Paraṁ padam, das heißt Vaikuṇṭha, der Ort, wo es keine materiellen Leiden gibt, ist sein Ziel, und nicht der Ort, an dem auf Schritt und Tritt Gefahr lauert.“

Aufgrund von Unwissenheit weiß man nicht, daß die materielle Welt ein leidvoller Ort ist, wo auf Schritt und Tritt Gefahren drohen. Nur aus Unwissenheit versuchen unintelligente Menschen, ihre Situation in der materiellen Welt durch fruchtbringende Tätigkeiten zu verbessern, in dem Glauben, daß die Früchte solcher Tätigkeiten sie glücklich machen würden. Sie wissen nicht, daß ihnen keine Art von materiellem Körper irgendwo im Universum ein Leben ohne Leiden geben kann. Die Leiden des Lebens, nämlich Geburt, Tod, Alter und Krankheiten, treten überall in der materiellen Welt auf. Wer aber seine wirkliche, wesensgemäße Stellung als ewiger Diener des Herrn versteht und somit auch die Position der Persönlichkeit Gottes kennt, betätigt sich im transzendentalen liebenden Dienst des Herrn. In der Folge wird er befähigt, auf die Vaikuṇṭha-Planeten zu gelangen, wo es weder ein materielles, leidvolles Leben noch den Einfluß von Zeit und Tod gibt. Seine wesensgemäße Stellung zu kennen bedeutet, auch die erhabene Stellung des Herrn zu kennen. Wer fälschlich glaubt, die Stellung des Lebewesens und die des Herrn befänden sich auf der gleichen Ebene, hat sich in der Dunkelheit verirrt und ist daher nicht imstande, sich im hingebungsvollen Dienst des Herrn zu betätigen. Er wird selbst zu einem „Herrn“ und ebnet sich so den Weg zur Wiederholung von Geburt und Tod. Wer aber versteht, daß es seine Position ist zu dienen, und sich in den Dienst des Herrn stellt, wird sofort geeignet, nach Vaikuṇṭha-loka zu gehen. Für den Herrn verrichteter Dienst wird karma-yoga oder buddhi-yoga genannt, oder, mit einfachen Worten, hingebungsvoller Dienst für den Herrn.

Text

yadā te moha-kalilaṁ
buddhir vyatitariṣyati
tadā gantāsi nirvedaṁ
śrotavyasya śrutasya ca

Synonyms

yadā — wenn; te — deine; moha — der Illusion; kalilam — dichter Wald; buddhiḥ — transzendentaler Dienst mit Intelligenz; vyatitariṣyati — überwindet; tadā — zu dieser Zeit; gantā asi — du wirst gehen; nirvedam — Gleichgültigkeit; śrotavyasya — gegenüber allem, was noch zu hören ist; śrutasya — alles, was bereits gehört worden ist; ca — auch.

Translation

Wenn deine Intelligenz aus dem dichten Wald der Täuschung herausgetreten ist, wirst du gegenüber allem, was gehört worden ist, und allem, was noch zu hören ist, gleichgültig werden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt viele gute Beispiele aus dem Leben großer Geweihter des Herrn, die gegenüber den Ritualen der Veden gleichgültig wurden, einfach weil sie sich im hingebungsvollen Dienst des Herrn beschäftigten. Wenn jemand Kṛṣṇa und seine Beziehung zu Kṛṣṇa wirklich versteht, werden ihm, selbst wenn er ein erfahrener brāhmaṇa ist, die Rituale fruchtbringender Tätigkeiten automatisch völlig gleichgültig. Śrī Mādhavendra Purī, ein großer Gottgeweihter und ācārya in der Nachfolge der Gottgeweihten, sagt:

sandhyā-vandana bhadram astu bhavato bhoḥ snāna tubhyaṁ namo
bho devāḥ pitaraś ca tarpaṇa-vidhau nāhaṁ kṣamaḥ kṣamyatām
yatra kvāpi niṣadya yādava-kulottaṁsasya kaṁsa-dviṣaḥ
smāraṁ smāram aghaṁ harāmi tad alaṁ manye kim anyena me

„O meine Gebete, die ich dreimal täglich spreche, alle Ehre sei euch! O mein Bad, ich bringe dir meine Ehrerbietungen dar. O Halbgötter! O Vorväter! Bitte entschuldigt meine Unfähigkeit, euch meine Achtung zu erweisen. Wo immer ich nun sitze, erinnere ich mich an den großen Nachkommen der Yadu-Dynastie [Kṛṣṇa], den Feind Kaṁsas, und so kann ich mich von allen sündhaften Bindungen befreien. Ich denke, daß dies für mich ausreicht.“

Die vedischen Zeremonien und Rituale sind für Neulinge unbedingt erforderlich: dreimal täglich alle möglichen Gebete sprechen, frühmorgens ein Bad nehmen, den Vorvätern Achtung erweisen, usw. Wenn man aber völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist und sich im transzendentalen liebenden Dienst des Herrn beschäftigt, werden einem all diese regulierenden Prinzipien gleichgültig, da man die Vollkommenheit bereits erreicht hat. Wenn man durch Dienst für den Höchsten Herrn, Śrī Kṛṣṇa, die Ebene des spirituellen Wissens erreicht, braucht man nicht mehr verschiedene Arten von Bußen und Opfern auszuführen, wie sie in den offenbarten Schriften empfohlen werden. Und wenn man andererseits nicht verstanden hat, daß der Zweck der Veden darin besteht, Kṛṣṇa zu erreichen, und einfach nur Rituale, Zeremonien usw. vollzieht, verschwendet man mit solchen Beschäftigungen nutzlos seine Zeit. Wer Kṛṣṇa-bewußt ist, überschreitet die Grenze des śabdabrahma, das heißt des Bereichs der Veden und Upaniṣaden.

Text

śruti-vipratipannā te
yadā sthāsyati niścalā
samādhāv acalā buddhis
tadā yogam avāpsyasi

Synonyms

śruti — der vedischen Offenbarung; vipratipannā — ohne von den fruchttragenden Ergebnissen beeinflußt zu sein; te — dein; yadā — wenn; sthāsyati — bleibt; niścalā — unbewegt; samādhau — in transzendentalem Bewußtsein oder Kṛṣṇa-Bewußtsein; acalā — unerschütterlich; buddhiḥ — Intelligenz; tadā — dann; yogam — Selbstverwirklichung; avāpsyasi — du wirst erreichen.

Translation

Wenn dein Geist nicht mehr von der blumigen Sprache der Veden verwirrt ist und fest in der Trance der Selbstverwirklichung verankert bleibt, dann hast du das göttliche Bewußtsein erreicht.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wenn man sagt, jemand sei in samādhi, so bedeutet dies, daß er Kṛṣṇa-Bewußtsein vollständig verwirklicht hat; das heißt, wer völlig in samādhi ist, hat Brahman, Paramātmā und Bhagavān erkannt. Die höchste Vollkommenheit der Selbstverwirklichung ist die Erkenntnis, daß man ein ewiger Diener Kṛṣṇas ist und daß man nur die eine Aufgabe hat, seine Pflichten im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erfüllen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch, das heißt ein unerschütterlicher Gottgeweihter, sollte sich nicht durch die blumige Sprache der Veden verwirren lassen, und ebensowenig sollte er fruchtbringenden Tätigkeiten nachgehen, um sich zum himmlischen Königreich zu erheben. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein kommt man unmittelbar mit Kṛṣṇa in Verbindung, und auf dieser transzendentalen Ebene wird es möglich, alle Unterweisungen Kṛṣṇas zu verstehen. Wenn man sich auf diese Weise verhält, ist es sicher, daß man konkrete Ergebnisse und schlüssiges Wissen erlangt. Man braucht nur die Anweisungen Kṛṣṇas bzw. die Seines Stellvertreters, des spirituellen Meisters, auszuführen.

Text

arjuna uvāca
sthita-prajñasya kā bhāṣā
samādhi-sthasya keśava
sthita-dhīḥ kiṁ prabhāṣeta
kim āsīta vrajeta kim

Synonyms

arjunaḥ uvāca — Arjuna sprach; sthita-prajñasya — von jemandem, der im festen Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist; — was; bhāṣā — Sprache; samādhi-sthasya — von jemandem, der sich in Trance befindet; keśava — o Kṛṣṇa; sthita-dhīḥ — jemand, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist; kim — was; prabhāṣeta — spricht; kim — wie; āsīta — sitzt; vrajeta — geht; kim — wie.

Translation

Arjuna sprach: O Kṛṣṇa, welche Merkmale weist jemand auf, dessen Bewußtsein so in die Transzendenz eingegangen ist? Wie spricht er, und was sind seine Worte? Wie sitzt er, und wie geht er?

Purport

ERLÄUTERUNG: So wie jeder Mensch seiner jeweiligen Lage gemäß besondere, ihn kennzeichnende Züge aufweist, so hat auch jemand, der Kṛṣṇa-bewußt ist, sein besonderes Wesen – wie er redet, geht, denkt, fühlt usw. So wie ein reicher Mann bestimmte Merkmale hat, durch die man ihn als Reichen erkennt, so wie ein Kranker gewisse Symptome aufweist, die auf seine Krankheit hinweisen, und wie ein Gelehrter besondere Eigenschaften aufweist, so hat auch jemand, der Kṛṣṇa-bewußt ist, besondere Merkmale in seinem Verhalten. Diese besonderen Merkmale werden in der Bhagavad-gītā beschrieben. Am wichtigsten ist, wie ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch spricht, denn das Sprechen ist die wichtigste Eigenschaft jedes Menschen. Man sagt, ein Narr bleibe unentdeckt, solange er nicht rede, und gewiß kann man einen gutgekleideten Narren nicht erkennen, solange er nicht spricht; doch sobald er den Mund öffnet, zeigt sich sein wahres Gesicht. Das unmittelbare Merkmal eines Kṛṣṇa-bewußten Menschen ist, daß er nur über Kṛṣṇa und mit Kṛṣṇa verbundene Themen spricht. Andere Eigenschaften folgen dann von selbst, wie in den folgenden Versen beschrieben wird.

Text

śrī-bhagavān uvāca
prajahāti yadā kāmān
sarvān pārtha mano-gatān
ātmany evātmanā tuṣṭaḥ
sthita-prajñas tadocyate

Synonyms

śrī-bhagavān uvāca — die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach; prajahāti — gibt auf; yadā — wenn; kāmān — Wünsche nach Sinnenbefriedigung; sarvān — alle Arten von; pārtha — o Sohn Pṛthās; manaḥ-gatān — von mentalen Wunschvorstellungen; ātmani — im reinen Zustand der Seele; eva — gewiß; ātmanā — durch den geläuterten Geist; tuṣṭaḥ — zufrieden; sthita-prajñaḥ — in der Transzendenz verankert; tadā — zu dieser Zeit; ucyate — wird genannt.

Translation

Die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach: O Pārtha, wenn ein Mensch alle Arten von Sinnesbegierden aufgibt, die den Wunschvorstellungen des Geistes entspringen, und wenn sein geläuterter Geist im Selbst allein Befriedigung findet, dann sagt man von ihm, er sei im reinen transzendentalen Bewußtsein verankert.

Purport

ERLÄUTERUNG: Das Bhāgavatam bestätigt, daß jeder, der völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein, dem hingebungsvollen Dienst des Herrn, verankert ist, alle guten Eigenschaften der großen Weisen besitzt, wohingegen jemand, der nicht auf solch transzendentale Weise verankert ist, keine guten Eigenschaften hat, weil er mit Sicherheit bei seinen mentalen Vorstellungen Zuflucht nimmt. Deshalb wird hier ganz richtig gesagt, daß man alle Arten von Sinnesbegierden, die den Wunschvorstellungen des Geistes entspringen, aufgeben muß. Künstlich kann man solche Verlangen nach Sinnenbefriedigung nicht einstellen. Wenn man aber im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist, dann lassen diese Verlangen ohne zusätzliche Bemühungen von selbst nach. Deshalb muß man sich ohne Zögern im Kṛṣṇa-Bewußtsein betätigen, denn dieser hingebungsvolle Dienst wird einem augenblicklich helfen, auf die Ebene transzendentalen Bewußtseins zu gelangen. Die weit fortgeschrittene Seele ist immer in sich selbst zufrieden, da sie sich als der ewige Diener des Höchsten Herrn erkannt hat. Auf dieser transzendentalen Ebene hat man keinerlei Verlangen nach Sinnenbefriedigung, die dem faden Materialismus entspringen; vielmehr bleibt man immer glücklich in seiner natürlichen Stellung, ewig dem Höchsten Herrn zu dienen.

Text

duḥkheṣv anudvigna-manāḥ
sukheṣu vigata-spṛhaḥ
vīta-rāga-bhaya-krodhaḥ
sthita-dhīr munir ucyate

Synonyms

duḥkheṣu — in den dreifachen Leiden; anudvigna-manāḥ — ohne im Geist erregt zu sein; sukheṣu — im Glück; vigata-spṛhaḥ — ohne interessiert zu sein; vīta — frei von; rāga — Anhaftung; bhaya — Angst; krodhaḥ — und Zorn; sthita-dhīḥ — dessen Geist stetig ist; muniḥ — ein Weiser; ucyate — wird genannt.

Translation

Jemand, dessen Geist nicht verwirrt ist, selbst wenn er die dreifachen Leiden erfährt, der nicht von Freude überwältigt wird, wenn er Glück genießt, und der frei von Anhaftung, Angst und Zorn ist, wird ein Weiser mit stetigem Geist genannt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Das Wort muni bezeichnet einen Menschen, der seinen Geist mit den verschiedensten gedanklichen Spekulationen aufrührt, ohne zu einer tatsächlichen Schlußfolgerung zu kommen. Man sagt, jeder muni habe eine andere Betrachtungsweise, und solange sich ein muni nicht von anderen munis unterscheide, könne man ihn strenggenommen nicht als muni bezeichnen: Nāsāv ṛṣir yasya mataṁ na bhinnam (Mahābhārata, Vana-parva 313.117). Aber ein sthita-dhīr muni, wie er hier vom Herrn beschrieben wird, unterscheidet sich von einem gewöhnlichen muni. Der sthita-dhīr muni ist immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert, denn all seine Bemühungen der kreativen Spekulation haben sich erschöpft. Er hat die Stufe gedanklicher Spekulationen hinter sich gelassen (praśānta-niḥśeṣa-manorathāntara; Stotra-ratna 43), und er ist zu dem Schluß gekommen, daß Śrī Kṛṣṇa, oder Vāsudeva, alles ist (vāsudevaḥ sarvam iti sa mahātmā su-durlabhaḥ). Ihn nennt man einen muni mit gefestigtem Geist. Ein solcher völlig Kṛṣṇa-bewußter Mensch fühlt sich durch die Angriffe der dreifachen Leiden keineswegs gestört, denn er betrachtet alle Leiden als die Barmherzigkeit des Herrn. Er fände es eigentlich angemessen, aufgrund seiner vergangenen schlechten Taten mehr Unannehmlichkeiten erleiden zu müssen, und er sieht, daß seine Leiden durch die Gnade des Herrn bis auf ein Mindestmaß verringert wurden. Und wenn er glücklich ist, so weiß er, daß er alles nur dem Herrn verdankt und solches Glück eigentlich nicht verdient hätte. Er erkennt, daß er sich nur aufgrund der Gnade des Herrn in einer solch angenehmen Lage befindet, die es ihm erlaubt, dem Herrn besser zu dienen. Wenn er sich im Dienst des Herrn betätigt, ist er immer unerschrocken und aktiv und läßt sich nicht von Anhaftung oder Ablehnung beeinflussen. Anhaftung bedeutet, Dinge für seine eigene Sinnenbefriedigung anzunehmen, und Losgelöstsein bedeutet die Abwesenheit einer solchen sinnlichen Anhaftung. Wer aber im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, kennt weder Anhaftung noch Loslösung, da er sein Leben dem Dienst des Herrn geweiht hat. Folglich wird er niemals zornig, auch dann nicht, wenn seine Unternehmungen erfolglos sind. Ein Kṛṣṇa- bewußter Mensch ist sowohl bei Erfolg wie auch bei Mißerfolg in seiner Entschlossenheit immer beständig.

Text

yaḥ sarvatrānabhisnehas
tat tat prāpya śubhāśubham
nābhinandati na dveṣṭi
tasya prajñā pratiṣṭhitā

Synonyms

yaḥ — jemand, der; sarvatra — überall; anabhisnehaḥ — ohne Zuneigung; tat — dies; tat — dies; prāpya — erreichend; śubha — Gutes; aśubham — Schlechtes; na — niemals; abhinandati — lobt; na — nie; dveṣṭi — beneidet; tasya — sein; prajñā — vollkommenes Wissen; pratiṣṭhitā — gefestigt.

Translation

Wer in der materiellen Welt von nichts, was ihm widerfährt – sei es gut oder schlecht – berührt wird und es weder lobt noch schmäht, ist fest im vollkommenen Wissen verankert.

Purport

ERLÄUTERUNG: In der materiellen Welt finden ständig Veränderungen statt, manchmal zum Guten, manchmal zum Schlechten. Wer sich durch solche materiellen Veränderungen nicht aus der Ruhe bringen läßt, das heißt, wer von gut und schlecht nicht beeinflußt wird, gilt als jemand, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist. Solange man sich in der materiellen Welt befindet, wird es immer Gutes und Schlechtes geben, denn diese Welt ist voller Dualität. Wer jedoch im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist, wird von gut und schlecht nicht beeinflußt, da es ihm nur um Kṛṣṇa geht, der absolut und allgut ist. Ein solches in Kṛṣṇa ruhendes Bewußtsein erhebt den Menschen auf eine vollkommene, transzendentale Stufe, die man in der Fachsprache samādhi nennt.

Text

yadā saṁharate cāyaṁ
kūrmo ’ṅgānīva sarvaśaḥ
indriyāṇīndriyārthebhyas
tasya prajñā pratiṣṭhitā

Synonyms

yadā — wenn; saṁharate — zieht zurück; ca — auch; ayam — er; kūrmaḥ — Schildkröte; aṅgāni — Gliedmaßen; iva — wie; sarvaśaḥ — alle zusammen; indriyāṇi — Sinne; indriya-arthebhyaḥ — von den Sinnesobjekten; tasya — sein; prajñā — Bewußtsein; pratiṣṭhitā — gefestigt.

Translation

Wer imstande ist, seine Sinne von den Sinnesobjekten zurückzuziehen, so wie die Schildkröte ihre Glieder in den Panzer einzieht, ist unerschütterlich im vollkommenen Bewußtsein verankert.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Prüfstein für einen yogī, einen Gottgeweihten oder eine selbstverwirklichte Seele ist seine Fähigkeit, die Sinne bewußt zu beherrschen. Die meisten Menschen jedoch sind Diener der Sinne und werden vom Diktat der Sinne gelenkt. Das ist die Antwort auf die Frage nach den Merkmalen eines yogī. Die Sinne werden mit Giftschlangen verglichen. Sie wollen zügellos und ohne Einschränkung tätig sein. Der yogī, der Gottgeweihte, muß daher sehr stark sein, um diese Schlangen – wie ein Schlangenbeschwörer – beherrschen zu können. Er gestattet ihnen niemals, unabhängig zu handeln. Die offenbarten Schriften beinhalten viele Unterweisungen: Einige davon sind Verbote, und andere sind Gebote. Solange man nicht fähig ist, diesen Geboten und Verboten zu folgen und sich von Sinnengenuß zurückzuhalten, ist es nicht möglich, fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert zu sein. Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Schildkröte. Die Schildkröte kann augenblicklich ihre Sinne zurückziehen und diese jederzeit für bestimmte Zwecke wieder nach außen richten. Ebenso benutzen Kṛṣṇa- bewußte Menschen ihre Sinne nur für bestimmte Zwecke im Dienste des Herrn, und außerhalb dieses Dienstes halten sie ihre Sinne zurückgezogen. Arjuna wird hier angewiesen, seine Sinne für den Dienst des Herrn zu benutzen, und nicht für seine eigene Befriedigung. Der Vergleich mit der Schildkröte, die ihre Sinne zurückziehen kann, macht deutlich, daß man die Sinne immer im Dienst des Herrn beschäftigen soll.

Text

viṣayā vinivartante
nirāhārasya dehinaḥ
rasa-varjaṁ raso ’py asya
paraṁ dṛṣṭvā nivartate

Synonyms

viṣayāḥ — Objekte für Sinnengenuß; vinivartante — werden geübt, sich zurückzuhalten von; nirāhārasya — durch negative Einschränkungen; dehinaḥ — für die verkörperte Seele; rasa-varjam — den Geschmack aufgebend; rasaḥ — der Sinn für Genuß; api — obwohl es gibt; asya — hier; param — weitaus höhere Dinge; dṛṣṭvā — durch Erfahren; nivartate — sie läßt ab von.

Translation

Die verkörperte Seele kann zwar von Sinnenfreuden zurückgehalten werden, doch der Geschmack für die Sinnesobjekte bleibt. Wenn sie jedoch solche Neigungen aufgibt, da sie einen höheren Geschmack erfährt, ist sie im Bewußtsein gefestigt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Solange man nicht in der Transzendenz verankert ist, ist es nicht möglich, von Sinnengenuß abzulassen. Den Genuß der Sinne durch Regeln und Regulierungen einzuschränken ist genauso, als wollte man einen Kranken im Genuß bestimmter Speisen einschränken. Der Patient jedoch liebt solche Einschränkungen nicht, weshalb er auch seinen Appetit auf diese Speisen nicht verliert. In ähnlicher Weise wird die Einschränkung der Sinne durch einen spirituellen Vorgang wie aṣṭāṅga- yoga – mit den dazugehörenden Stufen, genannt yama, niyama, āsana, prāṇāyāma, pratyāhāra, dhāraṇā, dhyāna usw. – Menschen mit geringerer Intelligenz empfohlen, die über kein besseres Wissen verfügen. Wer aber im Verlauf seines Fortschritts im Kṛṣṇa-Bewußtsein die Schönheit des Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa gekostet hat, findet keinen Geschmack mehr an toten, materiellen Dingen. Solche Einschränkungen sind daher für die weniger intelligenten Neulinge auf dem Pfad des spirituellen Lebens gedacht, aber wenn jemand tatsächlich einen Geschmack für Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt hat, sind sie für ihn nicht mehr von Wichtigkeit. Wenn man tatsächlich Kṛṣṇa-bewußt ist, verliert man von selbst den Geschmack an faden Dingen.

Text

yatato hy api kaunteya
puruṣasya vipaścitaḥ
indriyāṇi pramāthīni
haranti prasabhaṁ manaḥ

Synonyms

yatataḥ — sich bemühend; hi — gewiß; api — trotz; kaunteya — o Sohn Kuntīs; puruṣasya — eines Menschen; vipaścitaḥ — voll unterscheidenden Wissens; indriyāṇi — die Sinne; pramāthīni — erregend; haranti — werfen; prasabham — gewaltsam; manaḥ — der Geist.

Translation

Die Sinne sind so stark und ungestüm, o Arjuna, daß sie sogar den Geist eines Mannes gewaltsam fortreißen, der Unterscheidungsvermögen besitzt und bemüht ist, sie zu beherrschen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt viele gelehrte Weise, Philosophen und Transzendentalisten, die die Sinne zu beherrschen versuchen; doch trotz ihrer Bemühungen fallen selbst die größten von ihnen manchmal dem materiellen Sinnengenuß zum Opfer, da ihr Geist erregt wurde. Selbst Viśvāmitra, ein großer Weiser und vollkommener yogī, wurde von Menakā zu sexuellem Genuß verleitet, obwohl er sich bemühte, durch schwere tapasya und durch yoga-Übungen seine Sinne zu beherrschen. Natürlich gibt es noch viele ähnliche Beispiele in der Weltgeschichte. Es ist also sehr schwierig, den Geist und die Sinne zu beherrschen, wenn man nicht völlig Kṛṣṇa-bewußt ist. Ohne daß man seine Gedanken auf Kṛṣṇa richtet, kann man von solch materiellen Betätigungen nicht ablassen. Ein praktisches Beispiel wird von Śrī Yāmunācārya, einem großen Heiligen und Gottgeweihten, gegeben, der sagt:

yad-avadhi mama cetaḥ kṛṣṇa-pādāravinde
nava-nava-rasa-dhāmany udyataṁ rantum āsīt
tad-avadhi bata nārī-saṅgame smaryamāne
bhavati mukha-vikāraḥ suṣṭhu niṣṭhīvanaṁ ca

„Seitdem mein Geist im Dienst der Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas beschäftigt ist und ich dabei eine immer neue transzendentale Gemütsstimmung genieße, wende ich mich augenblicklich ab, sobald ich an sexuelle Beziehungen zu einer Frau denke, und ich speie auf den Gedanken.“

Kṛṣṇa-Bewußtsein ist so transzendental und wunderbar, daß materieller Genuß von selbst widerwärtig wird. Es ist so, als hätte ein Hungriger seinen Hunger mit einer ausreichenden Menge nahrhafter Speisen gestillt. Ein anderes Beispiel ist Mahārāja Ambarīṣa, der einen großen yogī, Durvāsā Muni, besiegte, einfach dadurch, daß sein Geist im Kṛṣṇa-Bewußtsein vertieft war (sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayor vacāṁsi vaikuṇṭha-guṇānuvarṇane).

Text

tāni sarvāṇi saṁyamya
yukta āsīta mat-paraḥ
vaśe hi yasyendriyāṇi
tasya prajñā pratiṣṭhitā

Synonyms

tāni — jene Sinne; sarvāṇi — alle; saṁyamya — unter Kontrolle haltend; yuktaḥ — beschäftigt; āsīta — sollte verankert sein; mat-paraḥ — in Beziehung zu Mir; vaśe — in völliger Unterordnung; hi — gewiß; yasya — jemand, dessen; indriyāṇi — Sinne; tasya — sein; prajñā — Bewußtsein; pratiṣṭhitā — gefestigt.

Translation

Wer seine Sinne zurückhält und sie vollkommen beherrscht und wer sein Bewußtsein auf Mich richtet, ist bekannt als ein Mensch von stetiger Intelligenz.

Purport

ERLÄUTERUNG: In diesem Vers wird deutlich erklärt, daß Kṛṣṇa- Bewußtsein die höchste Stufe in der Vollkommenheit des yoga ist. Und solange man nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, ist es völlig unmöglich, die Sinne zu beherrschen. Wie oben erwähnt wurde, fing der große Weise Durvāsā Muni mit Mahārāja Ambarīṣa einen Streit an, und weil Durvāsā Muni aus Stolz unnötigerweise zornig wurde, konnte er seine Sinne nicht mehr beherrschen. Der König dagegen, der kein so mächtiger yogī wie der Weise war, dafür aber ein Geweihter des Herrn, ertrug geduldig alle Ungerechtigkeiten des Weisen und ging dadurch letztlich siegreich aus dem Streit hervor. Der König vermochte seine Sinne zu beherrschen, weil er die folgenden Eigenschaften besaß, die im Śrīmad-Bhāgavatam (9.4.18–20) beschrieben werden:

sa vai manaḥ kṛṣṇa-padāravindayor
vacāṁsi vaikuṇṭha-guṇānuvarṇane
karau harer mandira-mārjanādiṣu
śrutiṁ cakārācyuta-sat-kathodaye
mukunda-liṅgālaya-darśane dṛśau
tad-bhṛtya-gātra-sparśe ’ṅga-saṅgamam
ghrāṇaṁ ca tat-pāda-saroja-saurabhe
śrīmat-tulasyā rasanāṁ tad-arpite
pādau hareḥ kṣetra-padānusarpaṇe
śiro hṛṣīkeśa-padābhivandane
kāmaṁ ca dāsye na tu kāma-kāmyayā
yathottama-śloka-janāśrayā ratiḥ

„König Ambarīṣa richtete seinen Geist auf die Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas; mit seinen Worten beschrieb er das Reich des Herrn; mit seinen Händen reinigte er den Tempel des Herrn; mit seinen Ohren hörte er über die Spiele des Herrn; mit seinen Augen betrachtete er die Gestalt des Herrn; mit seinem Körper berührte er die Körper der Gottgeweihten; mit seiner Nase atmete er den Duft der Blumen ein, die den Lotosfüßen des Herrn geopfert worden waren; mit seiner Zunge schmeckte er die tulasī-Blätter, die dem Herrn geopfert worden waren; mit seinen Beinen pilgerte er zu den heiligen Stätten, wo sich die Tempel des Herrn befinden; mit seinem Haupt brachte er dem Herrn Ehrerbietungen dar, und seine Wünsche richtete er darauf, die Wünsche des Herrn zu erfüllen... all dies qualifizierte ihn, ein mat-para-Geweihter des Herrn zu werden.“

Das Wort mat-para ist in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung. Wie man ein mat-para werden kann, wird am Leben Mahārāja Ambarīṣas deutlich. Śrīla Baladeva Vidyābhūṣaṇa, ein großer Gelehrter und ācārya in der Linie der mat-para-Gottgeweihten, bemerkt hierzu: mad-bhakti-prabhāvena sarvendriya-vijaya-pūrvikā svātma-dṛṣṭiḥ su-labheti bhāvaḥ. „Die Sinne können nur durch die Kraft des hingebungsvollen Dienstes für Śrī Kṛṣṇa vollständig beherrscht werden.“ Manchmal wird auch das Beispiel des Feuers angeführt: „So wie ein loderndes Feuer alles in einem Zimmer verbrennt, so verbrennt Śrī Viṣṇu im Herzen des yogī alle Arten von Unreinheiten.“ Auch das Yoga- sūtra schreibt Meditation über Viṣṇu vor, und nicht Meditation über die Leere. Die sogenannten yogīs, die über etwas anderes als die Form Viṣṇus meditieren, verschwenden nur ihre Zeit mit der vergeblichen Suche nach einem Trugbild. Wir müssen Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickeln und uns der Persönlichkeit Gottes hingeben. Das ist das Ziel des wirklichen yoga.

Text

dhyāyato viṣayān puṁsaḥ
saṅgas teṣūpajāyate
saṅgāt sañjāyate kāmaḥ
kāmāt krodho ’bhijāyate

Synonyms

dhyāyataḥ — während man betrachtet; viṣayān — Sinnesobjekte; puṁsaḥ — eines Menschen; saṅgaḥ — Anhaftung; teṣu — an die Sinnesobjekte; upajāyate — entwickelt; saṅgāt — aus Anhaftung; sañjāyate — entwickelt sich; kāmaḥ — Verlangen; kāmāt — vom Verlangen; krodhaḥ — Zorn; abhijāyate — entsteht.

Translation

Beim Betrachten der Sinnesobjekte entwickelt der Mensch Anhaftung an sie; aus solcher Anhaftung entwickelt sich Lust, und aus Lust geht Zorn hervor.

Purport

ERLÄUTERUNG: Jemand, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, wird beim Betrachten der Sinnesobjekte materielle Wünsche entwickeln. Die Sinne brauchen richtige Betätigung, und wenn sie nicht im transzendentalen liebenden Dienst des Herrn beschäftigt sind, werden sie sich mit Sicherheit eine Beschäftigung im Dienst des Materialismus suchen. In der materiellen Welt ist jeder, selbst Śiva und Brahmā – von anderen Halbgöttern auf den himmlischen Planeten ganz zu schweigen –, dem Einfluß der Sinnesobjekte unterworfen, und die einzige Möglichkeit, dieser Verwirrung des materiellen Daseins zu entkommen, besteht darin, Kṛṣṇa-bewußt zu werden. Śiva befand sich in tiefer Meditation, doch als Pārvatī ihn zu Sinnengenuß verführen wollte, war er mit ihrem Vorschlag einverstanden, und in der Folge wurde Kārtikeya geboren. Als Haridāsa Ṭhākura ein junger Gottgeweihter war, wurde er von der Inkarnation Māyā-devīs auf ähnliche Weise in Versuchung geführt, aber dank seiner unverfälschten Hingabe zu Śrī Kṛṣṇa bestand Haridāsa die Prüfung mit Leichtigkeit. Wie aus Śrī Yāmunācāryas zuvor zitiertem Vers deutlich hervorgeht, vermeidet ein aufrichtiger Geweihter des Herrn jeden materiellen Sinnengenuß, da er durch den spirituellen Genuß der Gemeinschaft mit dem Herrn einen höheren Geschmack erfährt. Das ist das Geheimnis des Erfolges. Mit anderen Worten, wer nicht Kṛṣṇa- bewußt ist, wird letztlich mit Sicherheit zu Fall kommen – gleichgültig wie sehr er seine Sinne durch künstliche Verdrängung zu beherrschen vermag –, denn schon der geringste Gedanke an Sinnenfreude wird ihn dazu treiben, seine Begierden zu befriedigen.

Text

krodhād bhavati sammohaḥ
sammohāt smṛti-vibhramaḥ
smṛti-bhraṁśād buddhi-nāśo
buddhi-nāśāt praṇaśyati

Synonyms

krodhāt — aus Zorn; bhavati — entsteht; sammohaḥ — völlige Illusion; sammohāt — aus Illusion; smṛti — der Erinnerung; vibhramaḥ — Verwirrung; smṛti-bhraṁśāt — nach Verwirrung der Erinnerung; buddhi- nāśaḥ — Verlust der Intelligenz; buddhi-nāśāt — und durch Verlust der Intelligenz; praṇaśyati — man kommt zu Fall.

Translation

Aus Zorn entsteht völlige Täuschung, und der Täuschung folgt die Verwirrung der Erinnerung. Wenn die Erinnerung verwirrt ist, geht die Intelligenz verloren, und wenn die Intelligenz verloren ist, fällt man wieder in den materiellen Sumpf zurück.

Purport

ERLÄUTERUNG: Śrīla Rūpa Gosvāmī gibt uns die folgende Unterweisung:

prāpañcikatayā buddhyā
hari-sambandhi-vastunaḥ
mumukṣubhiḥ parityāgo
vairāgyaṁ phalgu kathyate

(Bhakti-rasāmṛta-sindhu 1.2.258)

Durch die Entwicklung von Kṛṣṇa-Bewußtsein kann man erkennen, daß alles im Dienste des Herrn verwendet werden kann. Diejenigen, die kein Wissen über das Kṛṣṇa-Bewußtsein haben, versuchen auf künstliche Weise, materielle Objekte zu vermeiden, und erreichen daher trotz ihrer Bemühung um Befreiung aus der materiellen Knechtschaft nicht die vollkommene Stufe der Entsagung. Ihre sogenannte Entsagung wird phalgu, minderwertig, genannt. Im Gegensatz dazu weiß ein Kṛṣṇa- bewußter Mensch alles im Dienst Kṛṣṇas zu verwenden; deshalb fällt er niemals dem materiellen Bewußtsein zum Opfer. Ein Unpersönlichkeitsphilosoph glaubt zum Beispiel, der Herr oder das Absolute sei unpersönlich und könne deshalb nicht essen. Während ein Unpersönlichkeitsphilosoph bemüht ist, wohlschmeckende Speisen zu vermeiden, weiß der Gottgeweihte, daß Kṛṣṇa der höchste Genießer ist und daß Er alles ißt, was Ihm mit Hingabe geopfert wird. Nachdem also der Gottgeweihte dem Herrn schmackhafte Speisen geopfert hat, ißt er die Überreste, die man prasādam nennt. Auf diese Weise wird alles spiritualisiert, und es besteht nicht die Gefahr, zu Fall zu kommen. Der Gottgeweihte ißt prasādam im Kṛṣṇa-Bewußtsein, während der Nichtgottgeweihte es ablehnt und denkt, es sei materiell. Der Unpersönlichkeitsanhänger kann daher wegen seiner künstlichen Entsagung das Leben nicht genießen, und aus diesem Grund zieht ihn schon die geringste Erregung des Geistes wieder in den Sumpf des materiellen Daseins hinab. Es heißt, daß eine solche Seele, obwohl sie sogar bis zur Stufe der Befreiung aufsteigen mag, wieder zu Fall kommt, da sie nicht durch hingebungsvollen Dienst gestützt wird.

Text

rāga-dveṣa-vimuktais tu
viṣayān indriyaiś caran
ātma-vaśyair vidheyātmā
prasādam adhigacchati

Synonyms

rāga — Anhaftung; dveṣa — und Loslösung; vimuktaiḥ — von jenem, der frei wurde von; tu — aber; viṣayān — Sinnesobjekte; indriyaiḥ — durch die Sinne; caran — sich richtend nach; ātma-vaśyaiḥ — unter seiner Herrschaft; vidheya-ātmā — jemand, der geregelter Freiheit folgt; prasādam — die Barmherzigkeit des Herrn; adhigacchati — erlangt.

Translation

Wer aber von aller Anhaftung und Ablehnung frei ist und seine Sinne durch die regulierenden Prinzipien der Freiheit zu beherrschen vermag, erlangt die volle Barmherzigkeit des Herrn.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es wurde bereits erklärt, daß man die Sinne durch einen künstlichen Vorgang vielleicht oberflächlich zu beherrschen vermag, daß aber immer die Möglichkeit besteht, wieder zu Fall zu kommen, solange die Sinne nicht im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigt sind. Auch wenn es so erscheinen mag, als sei ein völlig Kṛṣṇa-bewußter Mensch auf der Ebene der Sinne tätig, ist er dank seines Kṛṣṇa-Bewußtseins den Tätigkeiten der Sinne nicht verhaftet. Dem Kṛṣṇa-bewußten Menschen geht es um nichts anderes als darum, Kṛṣṇa zufriedenzustellen. Deshalb steht er zu aller Anhaftung und Loslösung in transzendentaler Stellung. Wenn Kṛṣṇa es wünscht, kann der Gottgeweihte alles tun, was gewöhnlich unangenehm wäre, und wenn Kṛṣṇa etwas nicht wünscht, so wird er es nicht tun, selbst wenn er es normalerweise zu seiner eigenen Befriedigung getan hätte. Deshalb steht es unter seiner Herrschaft, etwas zu tun oder nicht zu tun, denn er handelt nur gemäß den Anweisungen Kṛṣṇas. Dieses Bewußtsein ist die grundlose Barmherzigkeit des Herrn, die der Gottgeweihte trotz seiner Anhaftung an die Ebene der Sinne haben mag.

Text

prasāde sarva-duḥkhānāṁ
hānir asyopajāyate
prasanna-cetaso hy āśu
buddhiḥ paryavatiṣṭhate

Synonyms

prasāde — wenn man die grundlose Barmherzigkeit des Herrn erlangt hat; sarva — aller; duḥkhānām — materieller Leiden; hāniḥ — Zerstörung; asya — seine; upajāyate — findet statt; prasanna-cetasaḥ — des im Geiste Glücklichen; hi — gewiß; āśu — sehr bald; buddhiḥ — Intelligenz; pari — ausreichend; avatiṣṭhate — wird gefestigt.

Translation

Für jemanden, der auf diese Weise [im Kṛṣṇa-Bewußtsein] zufrieden ist, existieren die dreifachen Leiden des materiellen Daseins nicht mehr; in einem solch zufriedenen Zustand wird seine Intelligenz sehr bald gefestigt.

Text

nāsti buddhir ayuktasya
na cāyuktasya bhāvanā
na cābhāvayataḥ śāntir
aśāntasya kutaḥ sukham

Synonyms

na asti — es kann nicht geben; buddhiḥ — transzendentale Intelligenz; ayuktasya — von jemandem, der nicht verbunden ist (mit Kṛṣṇa- Bewußtsein); na — nicht; ca — und; ayuktasya — von jemandem, der kein Kṛṣṇa-Bewußtsein hat; bhāvanā — (in Glück) gefestigter Geist; na — nicht; ca — und; abhāvayataḥ — von jemandem, der nicht gefestigt ist; śāntiḥ — Friede; aśāntasya — desjenigen, der keinen Frieden hat; kutaḥ — wo ist; sukham — Glück.

Translation

Wer nicht mit dem Höchsten [im Kṛṣṇa-Bewußtsein] verbunden ist, kann weder transzendentale Intelligenz noch einen gefestigten Geist haben, ohne die keine Möglichkeit zum Frieden besteht. Und wie kann es Glück ohne Frieden geben?

Purport

ERLÄUTERUNG: Solange man nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, besteht keine Möglichkeit, Frieden zu finden. Im Fünften Kapitel (5.29) wird bestätigt, daß man nur dann wirklichen Frieden finden kann, wenn man versteht, daß Kṛṣṇa der einzige Genießer aller guten Ergebnisse von Opfern und Entsagung, der Eigentümer aller universalen Manifestationen und der wirkliche Freund aller Lebewesen ist. Wenn man also nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, kann es für den Geist kein endgültiges Ziel geben. Störung ist auf das Fehlen eines endgültigen Ziels zurückzuführen, und wenn man überzeugt ist, daß Kṛṣṇa der Genießer, Eigentümer und Freund aller Wesen und aller Dinge ist, kann man mit stetigem Geist Frieden finden. Daher ist es jemandem, der seine Beziehung zu Kṛṣṇa außer acht läßt, zweifelsohne bestimmt, immerzu zu leiden und keinen Frieden zu finden, mag er auch noch so bemüht sein, Frieden und spirituellen Fortschritt zur Schau zu stellen. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist in sich selbst ein friedvoller Zustand, der nur in Beziehung zu Kṛṣṇa erreicht werden kann.

Text

indriyāṇāṁ hi caratāṁ
yan mano ’nuvidhīyate
tad asya harati prajñāṁ
vāyur nāvam ivāmbhasi

Synonyms

indriyāṇām — der Sinne; hi — gewiß; caratām — während sie zerren; yat — mit dem; manaḥ — der Geist; anuvidhīyate — wird ständig beschäftigt; tat — dies; asya — seine; harati — trägt fort; prajñām — Intelligenz; vāyuḥ — Wind; nāvam — ein Boot; iva — wie; ambhasi — auf dem Wasser.

Translation

Gleich einem Boot auf dem Wasser, das von einem Sturm weggerissen wird, kann schon einer der ungezügelten Sinne, auf den sich der Geist richtet, die Intelligenz des Menschen forttragen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Solange nicht alle Sinne im Dienst des Herrn beschäftigt sind, kann schon ein einziger von ihnen, der nach eigener Befriedigung trachtet, den Gottgeweihten vom Pfad des transzendentalen Fortschritts abbringen. Wie am Leben Mahārāja Ambarīṣas deutlich wurde, müssen alle Sinne im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt sein, denn das ist die richtige Methode, den Geist zu beherrschen.

Text

tasmād yasya mahā-bāho
nigṛhītāni sarvaśaḥ
indriyāṇīndriyārthebhyas
tasya prajñā pratiṣṭhitā

Synonyms

tasmāt — deshalb; yasya — wessen; mahā-bāho — o Starkarmiger; nigṛhītāni — so bezwungen; sarvaśaḥ — alle zusammen; indriyāṇi — die Sinne; indriya-arthebhyaḥ — von den Sinnesobjekten; tasya — seine; prajñā — Intelligenz; pratiṣṭhitā — gefestigt.

Translation

Daher, o Starkarmiger, verfügt jemand, dessen Sinne von den Sinnesobjekten zurückgezogen sind, zweifelsohne über gefestigte Intelligenz.

Purport

ERLÄUTERUNG: Man kann die Dränge der Sinnenbefriedigung nur mit Hilfe des Kṛṣṇa-Bewußtseins bezwingen, das heißt nur dann, wenn man alle Sinne in den transzendentalen liebenden Dienst des Herrn stellt. So wie Feinde nur durch überlegene Stärke bezwungen werden können, so können auch die Sinne bezwungen werden, aber nicht durch menschliche Bemühung, sondern nur, indem man sie ständig im Dienst des Herrn beschäftigt. Wer dies verstanden hat, daß man nämlich nur durch Kṛṣṇa-Bewußtsein auf der Ebene der Intelligenz wirklich gefestigt sein kann und daß man diese Kunst unter der Führung eines echten spirituellen Meisters erlernen sollte, wird als sādhaka (ein geeigneter Anwärter für Befreiung) bezeichnet.

Text

yā niśā sarva-bhūtānāṁ
tasyāṁ jāgarti saṁyamī
yasyāṁ jāgrati bhūtāni
sā niśā paśyato muneḥ

Synonyms

— was; niśā — Nacht ist; sarva — alle; bhūtānām — der Lebewesen; tasyām — in diesem; jāgarti — ist wach; saṁyamī — der Selbstbeherrschte; yasyām — in welchem; jāgrati — sind wach; bhūtāni — alle Wesen; — das ist; niśā — Nacht; paśyataḥ — für den nach innen gekehrten; muneḥ — Weisen.

Translation

Was Nacht ist für alle Wesen, ist die Zeit des Erwachens für den Selbstbeherrschten, und die Zeit des Erwachens für alle Wesen ist Nacht für den nach innen gekehrten Weisen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt zwei Arten von intelligenten Menschen. Der eine ist intelligent, solange es um materielle Tätigkeiten für Sinnenbefriedigung geht, und der andere ist nach innen gekehrt und sich der Notwendigkeit bewußt, nach Selbstverwirklichung zu streben. Die Tätigkeiten des nach innen gekehrten Weisen, des nachdenklichen Menschen, sind Nacht für Menschen, die nur an materielle Dinge denken. Materialistische Menschen schlafen in ihrer Nacht, da sie nichts von Selbstverwirklichung wissen. Der nach innen gekehrte Weise bleibt in der „Nacht“ der materialistischen Menschen wach. Der Weise empfindet bei seinem allmählichen Fortschritt auf dem spirituellen Pfad transzendentale Freude, wohingegen jemand, der materialistischen Tätigkeiten nachgeht und seine Selbstverwirklichung verschläft, von Sinnenfreuden aller Art träumt und sich in diesem Schlafzustand manchmal glücklich und manchmal unglücklich fühlt. Der nach innen gekehrte Weise steht materialistischem Glück und Leid immer gleichgültig gegenüber. Er fährt fort mit seinen Tätigkeiten der Selbstverwirklichung, ohne sich von materiellen Reaktionen stören zu lassen.

Text

āpūryamāṇam acala-pratiṣṭhaṁ
samudram āpaḥ praviśanti yadvat
tadvat kāmā yaṁ praviśanti sarve
sa śāntim āpnoti na kāma-kāmī

Synonyms

āpūryamāṇam — ständig gefüllt werdend; acala-pratiṣṭham — immer ausgeglichen; samudram — der Ozean; āpaḥ — Wasser; praviśanti — mündet; yadvat — wie; tadvat — so; kāmāḥ — Wünsche; yam — in den; praviśanti — münden; sarve — alle; saḥ — dieser Mensch; śāntim — Frieden; āpnoti — erreicht; na — nicht; kāma-kāmī — jemand, der den Wunsch hat, sich Wünsche zu erfüllen.

Translation

Nur wer durch die unaufhörliche Flut von Wünschen nicht gestört ist – die wie Flüsse in den Ozean münden, der ständig gefüllt wird, doch immer ausgeglichen bleibt –, kann Frieden erlangen, und nicht derjenige, der danach trachtet, solche Wünsche zu befriedigen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Obwohl der weite Ozean immer voller Wasser ist, wird er, vor allem während der Regenzeit, mit noch mehr Wasser gefüllt. Aber der Ozean bleibt der gleiche – unbewegt; er wird nicht aufgewühlt, und er tritt nicht über seine Ufer. Das gleiche gilt auch für einen Menschen, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist. Solange man den materiellen Körper hat, werden die Forderungen des Körpers nach Sinnenbefriedigung bestehen bleiben. Ein Gottgeweihter jedoch wird durch solche Wünsche nicht gestört, da er mit allem ausgestattet ist. Ein Kṛṣṇa- bewußter Mensch kennt keinen Mangel, denn der Herr sorgt für all seine materiellen Bedürfnisse. Daher ist er wie der Ozean – immer in sich selbst erfüllt. Wünsche mögen zu ihm kommen, so wie das Wasser der Flüsse, das in den Ozean strömt, doch er bleibt in seinen Tätigkeiten stetig und wird von Wünschen nach Sinnenbefriedigung nicht im geringsten gestört. Das ist der Beweis dafür, daß jemand Kṛṣṇa-bewußt ist: Er hat alle Neigungen zu materieller Sinnenbefriedigung verloren, obwohl die Wünsche vorhanden sind. Da er im transzendentalen liebenden Dienst des Herrn zufrieden ist, kann er stetig bleiben wie der Ozean und daher vollständigen Frieden genießen. Andere jedoch, die Wünsche nach Befreiung haben, ganz zu schweigen von denen, die nach materiellem Erfolg streben, können niemals Frieden erlangen. Diejenigen, die fruchtbringenden Tätigkeiten nachgehen oder nach Erlösung streben, und auch die yogīs, die mystische Kräfte begehren, sind aufgrund ihrer unerfüllten Wünsche alle unglücklich. Der Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein hingegen ist im Dienst des Herrn glücklich, und er hat keine Wünsche, die zu erfüllen wären, ja er wünscht sich nicht einmal Befreiung aus der sogenannten materiellen Knechtschaft. Die Geweihten Kṛṣṇas haben keine materiellen Wünsche, und daher leben sie in vollkommenem Frieden.

Text

vihāya kāmān yaḥ sarvān
pumāṁś carati niḥspṛhaḥ
nirmamo nirahaṅkāraḥ
sa śāntim adhigacchati

Synonyms

vihāya — aufgebend; kāmān — materielle Wünsche nach Sinnenbefriedigung; yaḥ — derjenige, der; sarvān — alle; pumān — ein Mensch; carati — lebt; niḥspṛhaḥ — wunschlos; nirmamaḥ — ohne einen Anspruch auf Eigentum; nirahaṅkāraḥ — ohne falsches Ego; saḥ — er; śāntim — vollkommenen Frieden; adhigacchati — erreicht.

Translation

Jemand, der alle Wünsche nach Sinnenbefriedigung aufgegeben hat, der frei von Wünschen ist, der allen Anspruch auf Besitz aufgegeben hat und frei von falschem Ego ist – er allein kann wirklichen Frieden erlangen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wunschlos zu werden bedeutet, nichts für die Befriedigung der eigenen Sinne zu begehren. Mit anderen Worten, der Wunsch, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, ist wahre Wunschlosigkeit. Seine eigentliche Stellung als ewiger Diener Kṛṣṇas zu verstehen, ohne sich irrtümlich für den materiellen Körper zu halten und ohne fälschlich auf irgend etwas in der Welt Besitzanspruch zu erheben, ist die vollkommene Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Wer auf dieser vollkommenen Stufe verankert ist, weiß, daß Kṛṣṇa der Besitzer aller Dinge ist und daß daher alles verwendet werden muß, um Kṛṣṇa zufriedenzustellen. Arjuna wollte nicht für seine eigene Sinnenbefriedigung kämpfen, aber als er völlig Kṛṣṇa-bewußt wurde, kämpfte er, weil Kṛṣṇa es von ihm verlangte. Für sich selbst hatte er kein Verlangen zu kämpfen, aber für Kṛṣṇa kämpfte der gleiche Arjuna nach besten Kräften. Wahre Wunschlosigkeit bedeutet, die Zufriedenheit Kṛṣṇas zu wünschen, und nicht, künstlich zu versuchen, die Wünsche an sich zu vernichten. Das Lebewesen kann nicht frei von Wünschen oder frei von Sinnen sein, aber es muß die Eigenschaft seiner Wünsche ändern. Jemand, der keine materiellen Wünsche hat, weiß genau, daß alles Kṛṣṇa gehört (īśāvāsyam idaṁ sarvam), und erhebt daher nicht fälschlich auf irgend etwas Besitzanspruch. Dieses transzendentale Wissen gründet auf Selbsterkenntnis, nämlich der vollkommenen Einsicht, daß jedes Lebewesen seiner spirituellen Identität nach ein ewiges Teilchen Kṛṣṇas ist und daß daher das Lebewesen in seiner ewigen Stellung Kṛṣṇa niemals gleichkommen oder Ihn übertreffen kann. Dieses Verständnis vom Kṛṣṇa-Bewußtsein ist das grundlegende Prinzip wahren Friedens.

Text

eṣā brāhmī sthitiḥ pārtha
naināṁ prāpya vimuhyati
sthitvāsyām anta-kāle ’pi
brahma-nirvāṇam ṛcchati

Synonyms

eṣā — diese; brāhmī — spirituelle; sthitiḥ — Stellung; pārtha — o Sohn Pṛthās; na — nie; enām — dies; prāpya — erreichend; vimuhyati — man ist verwirrt; sthitvā — sich befindend; asyām — in diesem; anta-kāle — am Ende des Lebens; api — auch; brahma-nirvāṇam — das spirituelle Königreich Gottes; ṛcchati — man erreicht.

Translation

Das ist der Weg des spirituellen und gottgefälligen Lebens. Nachdem man es erreicht hat, ist man nicht mehr verwirrt. Ist man selbst zur Stunde des Todes in diesem Bewußtsein verankert, kann man in das Königreich Gottes eintreten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Man kann die Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins, des göttlichen Lebens, augenblicklich erlangen – innerhalb einer Sekunde – oder nicht einmal nach Millionen von Geburten. Es hängt nur davon ab, ob man es versteht und annimmt. Khaṭvāṅga Mahārāja erreichte diese Stufe des Lebens erst kurz vor seinem Tod, innerhalb weniger Minuten, indem er sich Kṛṣṇa ergab. Nirvāṇa bedeutet, das materielle Leben zu beenden. Der buddhistischen Philosophie gemäß gibt es nach Beendigung des materiellen Lebens nur Leere, aber die Bhagavad-gītā sagt etwas anderes. Nach Beendigung des materiellen Lebens beginnt erst das wirkliche Leben. Für den groben Materialisten genügt es zu wissen, daß man die materialistische Lebensweise beenden muß, doch diejenigen, die spirituell fortgeschritten sind, wissen, daß nach diesem materialistischen Leben ein anderes Leben beginnt. Wenn man vor Beendigung seines Lebens das Glück hat, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, erreicht man sogleich die Stufe des brahma-nirvāṇa. Es besteht kein Unterschied zwischen dem Königreich Gottes und dem hingebungsvollen Dienst des Herrn. Da sich beide auf der absoluten Ebene befinden, hat man das spirituelle Königreich bereits erreicht, wenn man im transzendentalen liebenden Dienst des Herrn tätig ist. In der materiellen Welt führt man Tätigkeiten der Sinnenbefriedigung aus, wohingegen in der spirituellen Welt alle Tätigkeiten Kṛṣṇa-bewußt sind. Wenn man Kṛṣṇa-Bewußtsein erreicht, erreicht man sogleich das Brahman, und dies ist sogar im gegenwärtigen Leben möglich; wer im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, ist zweifellos bereits in das Königreich Gottes eingetreten.

Brahman ist genau das Gegenteil von Materie. Daher bedeutet brāhmī sthiti „nicht auf der Ebene materieller Tätigkeiten“. Die Bhagavad-gītā bestätigt, daß der hingebungsvolle Dienst des Herrn die Stufe der Befreiung darstellt (sa guṇān samatītyaitān brahma-bhūyāya kalpate). Folglich bedeutet brāhmī sthiti Befreiung aus der materiellen Knechtschaft.

Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura hat erklärt, daß das Zweite Kapitel der Bhagavad-gītā die Zusammenfassung des gesamten Textes ist. In der Bhagavad-gītā werden karma-yoga, jñāna-yoga und bhakti-yoga behandelt. Im Zweiten Kapitel sind karma-yoga und jñāna-yoga ausführlich besprochen worden, und als Zusammenfassung des gesamten Textes wurde auch bhakti-yoga kurz erwähnt.

Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum Zweiten Kapitel der Śrīmad Bhagavad-gītā mit dem Titel: „Zusammenfassung des Inhalts der Gītā“.