Skip to main content

FÜNFZEHNTES KAPITEL

Der Yoga der Höchsten Person

Text

śrī-bhagavān uvāca
ūrdhva-mūlam adhaḥ-śākham
aśvatthaṁ prāhur avyayam
chandāṁsi yasya parṇāni
yas taṁ veda sa veda-vit

Synonyms

śrī-bhagavān uvāca — die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach; ūrdhva- mūlam — mit den Wurzeln nach oben; adhaḥ — nach unten; śākham — Äste; aśvattham — ein Banyanbaum; prāhuḥ — man sagt; avyayam — ewig; chandāṁsi — die vedischen Hymnen; yasya — von welchem; parṇāni — die Blätter; yaḥ — jeder, der; tam — diesen; veda — kennt; saḥ — er; veda-vit — der Kenner der Veden.

Translation

Die Höchste Persönlichkeit Gottes sprach: Es wird gesagt, daß es einen unzerstörbaren Banyanbaum gibt, dessen Wurzeln nach oben und dessen Äste nach unten gerichtet sind und dessen Blätter die vedischen Hymnen sind. Jemand, der diesen Baum kennt, kennt die Veden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Nachdem die Wichtigkeit von bhakti-yoga erörtert worden ist, könnte man sich fragen, welche Bedeutung den Veden zukommt. In diesem Kapitel wird erklärt, daß das Ziel des Studiums der Veden darin besteht, Kṛṣṇa zu verstehen. Wer daher im Kṛṣṇa-Bewußtsein gründet und im hingebungsvollen Dienst tätig ist, kennt die Veden bereits.

Die Verstrickung in der materiellen Welt wird hier mit einem Banyanbaum verglichen. Für jemanden, der fruchtbringenden Tätigkeiten nachgeht, hat der Banyanbaum kein Ende. Er irrt unaufhörlich von einem Ast zum anderen. Der Baum der materiellen Welt hat kein Ende, und für jemanden, der an diesen Baum angehaftet ist, besteht keine Möglichkeit zur Befreiung. Die vedischen Hymnen, die dazu bestimmt sind, den Menschen zu erheben, werden mit den Blättern dieses Baumes verglichen. Die Wurzeln des Baumes wachsen nach oben, weil sie vom höchsten Planeten des Universums, der Residenz Brahmās, ausgehen. Wenn man diesen unzerstörbaren Baum der Illusion versteht, kann man aus ihm herausgelangen.

Es ist wichtig, diesen Vorgang der Befreiung zu verstehen. In den vorangegangenen Kapiteln wurde erklärt, daß es viele Vorgänge gibt, durch die man aus der materiellen Verstrickung herausgelangen kann, und wie wir bis hin zum Dreizehnten Kapitel gesehen haben, ist hingebungsvoller Dienst zum Höchsten Herrn der beste Weg. Das grundlegende Prinzip des hingebungsvollen Dienstes ist Loslösung von materiellen Tätigkeiten und Anhaftung an den transzendentalen Dienst des Herrn. Der Vorgang, die Anhaftung an die materielle Welt zu brechen, wird zu Beginn des vorliegenden Kapitels erklärt. Die Wurzel der materiellen Existenz wächst nach oben. Das bedeutet, daß sie von der gesamten materiellen Substanz, vom höchsten Planeten des Universums, ausgeht. Von dort erweitert sich das Universum in zahlreiche Äste, die den verschiedenen Planetensystemen entsprechen. Die Früchte entsprechen den Ergebnissen der Tätigkeiten der Lebewesen, nämlich Religion, wirtschaftliche Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung.

Zwar haben wir hier in dieser Welt keine direkte Erfahrung von einem Baum, dessen Äste nach unten und dessen Wurzeln nach oben zeigen, aber einen solchen Baum gibt es tatsächlich. Wir können ihn am Ufer eines Gewässers finden, nämlich dort, wo sich Bäume im Wasser spiegeln. Im Spiegelbild zeigen die Äste nach unten und die Wurzeln nach oben. Mit anderen Worten, der Baum der materiellen Welt ist nur eine Reflexion des wirklichen Baumes der spirituellen Welt. Diese Reflexion der spirituellen Welt beruht auf Wünschen, so wie die Reflexion des Baumes auf dem Wasser ruht. Wünsche sind die Ursache aller Dinge, die sich in diesem reflektierten, materiellen Licht manifestieren. Wer das materielle Dasein hinter sich lassen möchte, muß diesen Baum durch ein analytisches Studium gründlich verstehen lernen. Dann ist es möglich, die Verbindung mit ihm zu durchtrennen.

Da der Baum der materiellen Welt eine Spiegelung des wirklichen Baumes ist, ist er dessen genaues Ebenbild. In der spirituellen Welt ist alles vorhanden. Die Unpersönlichkeitsphilosophen halten das Brahman für die Wurzel des materiellen Baumes, und nach den Lehren der sāṅkhya-Philosophie entspringen dieser Wurzel prakṛti, puruṣa, die drei guṇas, die fünf grobstofflichen Elemente (pañca-mahā-bhūta), die zehn Sinne (daśendriya), der Verstand usw. Auf diese Weise teilen sie die gesamte materielle Welt in vierundzwanzig Elemente auf. Wenn nun das Brahman das Zentrum aller Manifestationen ist, dann ist die materielle Welt eine Manifestation vom Zentrum aus in einem Winkelausschnitt von 180 Grad, und die anderen 180 Grad bilden die spirituelle Welt. Da die materielle Welt eine pervertierte Reflexion der spirituellen Welt ist, muß die spirituelle Welt die gleiche Vielfalt aufweisen, doch dort ist alles Wirklichkeit. Die prakṛti ist die äußere Energie des Höchsten Herrn, und der puruṣa ist der Höchste Herr Selbst. Dies wird in der Bhagavad- gītā erklärt. Da diese Manifestation materiell ist, ist sie zeitweilig. Eine Reflexion ist zeitweilig, denn manchmal kann man sie sehen und manchmal nicht. Der Ursprung jedoch, von dem die Reflexion ausgeht, ist ewig, und deshalb muß die Verbindung zur materiellen Reflexion des wirklichen Baumes durchtrennt werden. Ein Kenner der Veden zu sein setzt voraus, daß man weiß, wie man die Anhaftung an die materielle Welt durchtrennt. Wenn jemand diesen Vorgang kennt, kennt er die Veden tatsächlich. Wer sich zu den rituellen Zeremonien der Veden hingezogen fühlt, wird von den schönen grünen Blättern des Baumes betört. Er kennt das eigentliche Ziel der Veden nicht. Das Ziel der Veden, wie es von der Persönlichkeit Gottes Selbst erklärt wird, besteht darin, diesen gespiegelten Baum zu fällen und den wirklichen Baum der spirituellen Welt zu erreichen.

Text

adhaś cordhvaṁ prasṛtās tasya śākhā
guṇa-pravṛddhā viṣaya-pravālāḥ
adhaś ca mūlāny anusantatāni
karmānubandhīni manuṣya-loke

Synonyms

adhaḥ — abwärts; ca — und; ūrdhvam — aufwärts; prasṛtāḥ — ausgebreitet; tasya — seine; śākhāḥ — Äste; guṇa — durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur; pravṛddhāḥ — entwickelt; viṣaya — Sinnesobjekte; pravālāḥ — Zweige; adhaḥ — abwärts; ca — und; mūlāni — Wurzeln; anusantatāni — ausgebreitet; karma — zu arbeiten; anubandhīni — gebunden; manuṣya-loke — in der Welt der menschlichen Gesellschaft.

Translation

Die Äste dieses Baumes, der durch die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur genährt wird, erstrecken sich nach oben und nach unten. Die Zweige sind die Objekte der Sinne. Der Baum hat auch Wurzeln, die nach unten weisen, und diese sind an die fruchtbringenden Tätigkeiten der menschlichen Gesellschaft gebunden.

Purport

ERLÄUTERUNG: In diesem Vers wird die Beschreibung des Banyanbaumes fortgesetzt. Seine Äste erstrecken sich in alle Richtungen, und in seinen unteren Bereichen existieren mannigfaltige Lebensformen – Menschen, Tiere, Pferde, Kühe, Hunde, Katzen usw. Sie befinden sich auf den unteren Ästen, und in den oberen Bereichen existieren höhere Lebensformen wie Halbgötter, Gandharvas und viele andere mehr. Wie ein Baum von Wasser genährt wird, so wird dieser Baum von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur genährt. Manchmal sehen wir einen Landstrich, der aufgrund von Wassermangel unfruchtbar ist, und ein anderer Landstrich ist sehr grün. In ähnlicher Weise sind dort, wo bestimmte Erscheinungsweisen der materiellen Natur vorherrschen, die entsprechenden Lebensformen vorzufinden.

Die Zweige des Baumes werden mit den Sinnesobjekten verglichen. Indem wir bestimmte Erscheinungsweisen der Natur entwickeln, entwickeln wir bestimmte Sinne, und mit den Sinnen genießen wir unterschiedliche Arten von Sinnesobjekten. Die Spitzen der Äste repräsentieren die Sinne – die Ohren, die Nase, die Augen usw. –, die am Genuß verschiedener Sinnesobjekte haften. Die Zweige repräsentieren Klang, Form, Berührung usw., das heißt die Sinnesobjekte. Die Nebenwurzeln sind Anhaftungen und Abneigungen, welche Nebenprodukte verschiedener Arten von Leid und Sinnengenuß sind. Die Neigung zu Frömmigkeit bzw. Gottlosigkeit entwickelt sich aus diesen Nebenwurzeln, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Die Hauptwurzel geht von Brahmaloka aus, und die anderen Wurzeln gründen in den Planetensystemen der Menschen. Nachdem man die Ergebnisse tugendhafter Werke auf den oberen Planetensystemen genossen hat, kommt man zur Erde herab und erneuert sein karma, das heißt, man geht wieder fruchtbringenden Tätigkeiten nach, um erhoben zu werden. Daher gilt der Planet der Menschen als das Feld der Tätigkeiten.

Text

na rūpam asyeha tathopalabhyate
nānto na cādir na ca sampratiṣṭhā
aśvattham enaṁ su-virūḍha-mūlam
asaṅga-śastreṇa dṛḍhena chittvā
tataḥ padaṁ tat parimārgitavyaṁ
yasmin gatā na nivartanti bhūyaḥ
tam eva cādyaṁ puruṣaṁ prapadye
yataḥ pravṛttiḥ prasṛtā purāṇī

Synonyms

na — nicht; rūpam — die Form; asya — dieses Baumes; iha — in dieser Welt; tathā — auch; upalabhyate — kann wahrgenommen werden; na — niemals; antaḥ — Ende; na — niemals; ca — auch; ādiḥ — Anfang; na — niemals; ca — auch; sampratiṣṭhā — die Grundlage; aśvattham — Banyanbaum; enam — dieser; su-virūḍha — fest; mūlam — verwurzelt; asaṅga-śastreṇa — mit der Waffe der Loslösung; dṛḍhena — stark; chittvā — schneidend; tataḥ — danach; padam — Situation; tat — diese; parimārgitavyam — muß gesucht werden; yasmin — wo; gatāḥ — gehend; na — niemals; nivartanti — sie kehren zurück; bhūyaḥ — wieder; tam — zu Ihm; eva — gewiß; ca — auch; ādyam — ursprünglich; puruṣam — die Persönlichkeit Gottes; prapadye — sich ergeben; yataḥ — von dem; pravṛttiḥ — der Anfang; prasṛtā — erweiterte sich; purāṇī — sehr alt.

Translation

Die wirkliche Form dieses Baumes kann nicht in dieser Welt wahrgenommen werden. Niemand kann verstehen, wo er endet, wo er beginnt und wo sein Ursprung liegt. Doch mit Entschlossenheit muß man diesen fest verwurzelten Baum mit der Waffe der Loslösung fällen. Dann muß man den Ort suchen, von dem man, wenn man ihn erreicht, nie wieder zurückkehrt, und sich dort der Höchsten Persönlichkeit Gottes ergeben, dem Anfang von allem, von dem alles seit unvordenklichen Zeiten ausgeht.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hier wird eindeutig erklärt, daß es in der materiellen Welt nicht möglich ist, die wirkliche Form dieses Banyanbaumes zu verstehen. Die Wurzel des materiellen Baumes ist nach oben gerichtet, und jenseits davon befindet sich der wirkliche Baum. Wenn man mit der materiellen Ausweitung des Baumes verstrickt ist, ist man nicht imstande zu sehen, wie weit sich der Baum erstreckt und wo er beginnt. Man muß jedoch seinen Ursprung ausfindig machen. „Ich bin der Sohn meines Vaters, mein Vater ist der Sohn seines Vaters, usw.“ Wenn man auf diese Weise forscht, kommt man zu Brahmā, der von Garbhodaka-śāyī Viṣṇu geschaffen wurde. Wenn man auf diese Weise schließlich zur Höchsten Persönlichkeit Gottes gelangt, hat man das Ziel seiner Suche erreicht. Man muß den Ursprung des Baumes, die Höchste Persönlichkeit Gottes, mit Hilfe der Gemeinschaft von Menschen suchen, die Wissen über diese Höchste Persönlichkeit Gottes haben. So beginnt man, ein richtiges Verständnis zu entwickeln, und löst sich allmählich von der falschen Spiegelung der Realität, und durch Wissen kann man die Verbindung durchtrennen und den wirklichen Baum erreichen.

Das Wort asaṅga ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, denn die Anhaftung an Sinnengenuß und das Verlangen, die materielle Natur zu beherrschen, sind sehr stark. Deshalb muß man lernen, sich von diesen Fesseln zu lösen, indem man die spirituelle Wissenschaft auf der Grundlage autoritativer Schriften erörtert, und man muß von Menschen hören, die tatsächlich im Wissen gründen. Als Ergebnis solcher Gespräche in der Gemeinschaft von Gottgeweihten gelangt man zur Höchsten Persönlichkeit Gottes. Das erste, was man dann zu tun hat, ist, sich dem Herrn zu ergeben. Hier wird die Beschreibung desjenigen Ortes gegeben, von dem man, wenn man ihn einmal erreicht hat, nie wieder zu dem falschen, gespiegelten Baum zurückkehren muß. Die Höchste Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, ist die ursprüngliche Wurzel, von der alles ausgegangen ist. Um die Gunst dieser Persönlichkeit Gottes zu erlangen, braucht man sich nur zu ergeben, und diese Ergebung ist ein Ergebnis der Ausübung hingebungsvollen Dienstes, der aus Hören, Chanten usw. besteht. Der Herr ist die Ursache der Ausdehnung der materiellen Welt. Dies wurde bereits vom Herrn Selbst erklärt: ahaṁ sarvasya prabhavaḥ. „Ich bin der Ursprung von allem.“ Um daher der Verstrickung in den starken Banyanbaum des materiellen Lebens zu entkommen, muß man sich Kṛṣṇa ergeben. Sobald man sich Kṛṣṇa ergibt, löst man sich automatisch von der materiellen Welt.

Text

nirmāna-mohā jita-saṅga-doṣā
adhyātma-nityā vinivṛtta-kāmāḥ
dvandvair vimuktāḥ sukha-duḥkha-saṁjñair
gacchanty amūḍhāḥ padam avyayaṁ tat

Synonyms

niḥ — ohne; māna — Geltungssucht; mohāḥ — und Illusion; jita — bezwungen habend; saṅga — der Gemeinschaft; doṣāḥ — die Fehler; adhyātma — im spirituellen Wissen; nityāḥ — in Ewigkeit; vinivṛtta — losgelöst; kāmāḥ — von Lust; dvandvaiḥ — von den Dualitäten; vimuktāḥ — befreit; sukha-duḥkha — Glück und Leid; saṁjñaiḥ — genannt; gacchanti — erreichen; amūḍhāḥ — nicht verwirrt; padam — Situation; avyayam — ewig; tat — diese.

Translation

Diejenigen, die frei sind von Geltungssucht, Illusion und falscher Gemeinschaft, die das Ewige verstehen, die nichts mehr mit materieller Lust zu tun haben wollen, die befreit sind von der Dualität von Glück und Leid und die, frei von Verwirrung, wissen, wie man sich der Höchsten Person ergibt, gelangen in dieses ewige Königreich.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Vorgang der Ergebung wird hier sehr schön erklärt. Die erste Qualifikation besteht darin, daß man nicht von Stolz getäuscht werden sollte. Weil die bedingte Seele hochmütig ist und sich für den Herrn der materiellen Natur hält, fällt es ihr sehr schwer, sich der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu ergeben. Durch die Kultivierung echten Wissens sollte man verstehen, daß man nicht der Herr der materiellen Natur ist. Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist der Herr. Wenn man von dieser durch Stolz hervorgerufenen Täuschung frei ist, kann man sich dem Vorgang der Ergebung zuwenden. Wer fortwährend in der materiellen Welt Ehre erwartet, ist nicht imstande, sich der Höchsten Person zu ergeben. Stolz beruht auf Illusion, denn obwohl man hierherkommt, für kurze Zeit bleibt und dann wieder geht, hält man sich törichterweise für den Herrn der Welt. So machen die Menschen alles sehr kompliziert, und sie befinden sich ständig in Schwierigkeiten. Die ganze Welt bewegt sich unter dieser Auffassung. Die Menschen glauben, das Land, die Erde, gehöre der menschlichen Gesellschaft, und unter dem falschen Eindruck, sie seien die Eigentümer, haben sie das Land aufgeteilt. Man muß sich von der falschen Vorstellung lösen, daß die Menschheit der Besitzer der Welt sei. Wenn man von dieser falschen Auffassung befreit ist, wird man auch von aller falschen Gemeinschaft frei, die auf familiären, sozialen und nationalen Gefühlen der Zuneigung beruht, denn solche falsche Gemeinschaft bindet einen an die materielle Welt. Wenn man diese Stufe erreicht hat, muß man spirituelles Wissen entwickeln. Man muß Wissen darüber entwickeln, was man sein eigen nennen darf und was nicht. Und wenn man dies alles in Wahrheit versteht, wird man von allen dualistischen Vorstellungen wie Glück und Leid oder Freude und Schmerz frei. Auf diese Weise erlangt man vollkommenes Wissen, und dann ist es einem möglich, sich der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu ergeben.

Text

na tad bhāsayate sūryo
na śaśāṅko na pāvakaḥ
yad gatvā na nivartante
tad dhāma paramaṁ mama

Synonyms

na — nicht; tat — dieses; bhāsayate — erleuchtet; sūryaḥ — die Sonne; na — nicht; śaśāṅkaḥ — der Mond; na — nicht; pāvakaḥ — Feuer, Elektrizität; yat — wohin; gatvā — gehend; na — niemals; nivartante — sie kommen zurück; tad dhāma — dieses Reich; paramam — höchstes; mama — Mein.

Translation

Dieses Mein höchstes Reich wird weder von der Sonne noch vom Mond, noch von Feuer oder Elektrizität erleuchtet. Diejenigen, die es erreichen, kehren nie wieder in die materielle Welt zurück.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hier wird die spirituelle Welt, das Reich der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, beschrieben, das als Kṛṣṇaloka oder Goloka Vṛndāvana bekannt ist. Im spirituellen Himmel sind weder Sonnenschein, Mondschein, Feuer noch Elektrizität erforderlich, denn alle Planeten dort sind selbstleuchtend. In unserem Universum gibt es nur einen selbstleuchtenden Planeten, nämlich die Sonne; im spirituellen Himmel hingegen sind alle Planeten selbstleuchtend. Die leuchtende Ausstrahlung aller spirituellen Planeten (Vaikuṇṭhas) zusammen ergibt den leuchtenden Himmel, der als brahmajyoti bezeichnet wird. Letztlich geht diese Ausstrahlung von Kṛṣṇas Planeten, Goloka Vṛndāvana, aus. Diese leuchtende Ausstrahlung wird teilweise vom mahat-tattva, der materiellen Welt, bedeckt, doch der größte Teil dieses leuchtenden Himmels – jenseits der materiellen Bedeckung – ist mit spirituellen Planeten, den Vaikuṇṭhas, übersät, von denen Goloka Vṛndāvana der höchste ist.

Solange sich ein Lebewesen in der dunklen materiellen Welt aufhält, führt es ein bedingtes Leben, doch sobald es den spirituellen Himmel erreicht, indem es den falschen, verzerrten Baum der materiellen Welt fällt, ist es befreit. Dann besteht keine Gefahr mehr, daß es hierher zurückkehren muß. Im bedingten Leben hält sich das Lebewesen für den Herrn der materiellen Welt, doch in seinem befreiten Zustand tritt es in das spirituelle Königreich ein und wird ein Beigesellter des Höchsten Herrn. Dort genießt es ewige Glückseligkeit, ewiges Leben und vollkommenes Wissen.

Man sollte von dieser Information fasziniert sein. Man sollte den Wunsch entwickeln, sich zu dieser ewigen Welt zu erheben und sich aus der falschen Spiegelung der Realität zu befreien. Für einen Menschen, der zu sehr an der materiellen Welt haftet, ist es sehr schwer, diese Anhaftung zu durchtrennen, doch wenn er sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet, besteht für ihn die Möglichkeit, sich allmählich zu lösen. Man muß Gemeinschaft mit Gottgeweihten haben, das heißt mit Menschen, die Kṛṣṇa-bewußt sind. Man sollte eine Gesellschaft ausfindig machen, die sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein widmet, und lernen, wie man hingebungsvollen Dienst ausführt. Auf diese Weise kann man seine Anhaftung an die materielle Welt durchtrennen. Man kann sich von der Anziehung zur materiellen Welt nicht lösen, indem man sich einfach in safranfarbene Gewänder kleidet. Man muß Zuneigung zum hingebungsvollen Dienst des Herrn entwickeln. Deshalb sollte man es sehr ernst nehmen, wenn es heißt, daß hingebungsvoller Dienst, wie er im Zwölften Kapitel beschrieben wird, der einzige Weg ist, um der falschen Repräsentation des echten Baumes zu entkommen. Das Vierzehnte Kapitel beschreibt, wie verschiedene Arten von Pfaden von der materiellen Natur verunreinigt sind. Allein hingebungsvoller Dienst wird als rein transzendental beschrieben.

Die Worte paramaṁ mama sind hier sehr wichtig. Im Grunde ist alles Existierende, sowohl in der materiellen als auch in der spirituellen Welt, das Eigentum des Höchsten Herrn, aber die spirituelle Welt ist paramam, von sechs Reichtümern erfüllt. Die Kaṭha Upaniṣad (2.2.15) bestätigt ebenfalls, daß in der spirituellen Welt weder Sonnenschein noch Mondschein, noch Sterne notwendig sind (na tatra sūryo bhāti na candra-tārakam), da der gesamte spirituelle Himmel von der inneren Energie des Höchsten Herrn erleuchtet wird. Dieses höchste Reich kann nur durch Hingabe, und durch kein anderes Mittel, erreicht werden.

Text

mamaivāṁśo jīva-loke
jīva-bhūtaḥ sanātanaḥ
manaḥ-ṣaṣṭhānīndriyāṇi
prakṛti-sthāni karṣati

Synonyms

mama — Mein; eva — gewiß; aṁśaḥ — fragmentarisches Teilchen; jīva- loke — in der Welt des bedingten Lebens; jīva-bhūtaḥ — das bedingte Lebewesen; sanātanaḥ — ewig; manaḥ — mit dem Geist; ṣaṣṭhāni — die sechs; indriyāṇi — Sinne; prakṛti — in der materiellen Natur; sthāni — befindlich; karṣati — kämpft schwer.

Translation

Die Lebewesen in der bedingten Welt sind Meine ewigen fragmentarischen Teile. Aufgrund ihres bedingten Lebens kämpfen sie sehr schwer mit den sechs Sinnen, zu denen auch der Geist gehört.

Purport

ERLÄUTERUNG: In diesem Vers wird die Identität des Lebewesens eindeutig definiert. Das Lebewesen ist ein fragmentarisches Teilchen des Höchsten Herrn, und zwar ewiglich. Es nimmt nicht etwa bloß in seinem bedingten Leben Individualität an, um dann auf der Stufe der Befreiung mit dem Höchsten Herrn eins zu werden. Nein, es ist ewiglich ein fragmentarisches Teilchen, wie es das Wort sanātanaḥ hier ausdrücklich bestätigt. Nach vedischer Darstellung manifestiert und erweitert Sich der Höchste Herr in unzählige Erweiterungen, von denen die Haupterweiterungen als viṣṇu-tattva und die untergeordneten Erweiterungen als die Lebewesen bezeichnet werden. Mit anderen Worten, das viṣṇu-tattva ist Seine persönliche Erweiterung, und die Lebewesen sind Seine abgesonderten Erweiterungen. In Form Seiner persönlichen Erweiterungen manifestiert Er Sich zum Beispiel als Rāma, Nṛsiṁha-deva, Viṣṇumūrti und all die herrschenden Gottheiten auf den Vaikuṇṭha-Planeten. Die abgesonderten Erweiterungen, die Lebewesen, sind ewiglich Diener. Die persönlichen Erweiterungen der Höchsten Persönlichkeit Gottes, die individuellen Identitäten Gottes, existieren ewig. In ähnlicher Weise haben die abgesonderten Erweiterungen, die Lebewesen, eine individuelle Identität. Als fragmentarische Teilchen des Höchsten Herrn besitzen die Lebewesen ein fragmentarisches Ausmaß Seiner Eigenschaften, von denen Unabhängigkeit eine ist. Als individuelle Seele hat jedes Lebewesen seine persönliche Individualität und ein winziges Maß an Unabhängigkeit. Durch den Mißbrauch dieser Unabhängigkeit wird man zu einer bedingten Seele, und wenn man die Unabhängigkeit richtig nutzt, ist man ewig befreit. In jedem Fall aber ist das Lebewesen, wie der Höchste Herr, der Eigenschaft nach ewig. Im befreiten Zustand ist es von der materiellen Bedingtheit frei und beschäftigt sich im transzendentalen Dienst des Herrn; im bedingten Leben untersteht es der Kontrolle der materiellen Erscheinungsweisen der Natur und vergißt den transzendentalen liebenden Dienst des Herrn. Als Folge davon muß es sehr schwer kämpfen, um sein Dasein in der materiellen Welt zu erhalten.

Alle Lebewesen – nicht nur die Menschen und die Katzen und Hunde, sondern auch die mächtigen Herrscher der materiellen Welt, wie Brahmā, Śiva und selbst Viṣṇu – sind Teile des Höchsten Herrn. Sie alle sind ewige und nicht zeitweilige Manifestationen. Das Wort karṣati („sich abmühen“ oder „hart kämpfen“) ist sehr bedeutsam. Die bedingte Seele ist gebunden, als läge sie in eisernen Ketten. Sie ist gebunden durch das falsche Ego, und der Geist ist die Hauptkraft, von der sie im materiellen Dasein umhergetrieben wird. Wenn sich der Geist in der Erscheinungsweise der Tugend befindet, sind seine Tätigkeiten gut; wenn sich der Geist in der Erscheinungsweise der Leidenschaft befindet, sind seine Tätigkeiten leidbringend, und wenn sich der Geist in der Erscheinungsweise der Unwissenheit befindet, durchwandert das Lebewesen die niederen Lebensformen. Aus diesem Vers geht hervor, daß die bedingte Seele vom materiellen Körper, einschließlich des Geistes und der Sinne, bedeckt ist. Wenn sie jedoch befreit wird, verschwindet diese materielle Bedeckung, und der spirituelle Körper manifestiert sich gemäß seiner individuellen Eigenart. In diesem Zusammenhang findet man in der Mādhyandināyana-śruti die folgende Aussage: sa vā eṣa brahma- niṣṭha idaṁ śarīraṁ martyam atisṛjya brahmābhisampadya brahmaṇā paśyati brahmaṇā śṛṇoti brahmaṇaivedaṁ sarvam anubhavati. Hier wird erklärt, daß ein Lebewesen zum Zeitpunkt, wenn es den materiellen Körper aufgibt und in die spirituelle Welt eintritt, seinen spirituellen Körper wiederbelebt und daß es in diesem Körper die Höchste Persönlichkeit Gottes von Angesicht zu Angesicht sehen kann. Das Lebewesen kann den Höchsten Herrn direkt hören, von Angesicht zu Angesicht mit Ihm sprechen und Ihn so verstehen, wie Er ist. Weiterhin heißt es in der smṛti: vasanti yatra puruṣāḥ sarve vaikuṇṭha-mūrtayaḥ: Auf den spirituellen Planeten gleichen die Körper aller Lebewesen vom Aussehen her dem Körper der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Hinsichtlich des Körperbaus besteht zwischen den fragmentarischen Lebewesen und den viṣṇu-mūrti-Erweiterungen kein Unterschied. Mit anderen Worten, wenn das Lebewesen Befreiung erlangt, bekommt es durch die Gnade der Höchsten Persönlichkeit Gottes einen spirituellen Körper.

Die Worte mamaivāṁśaḥ („fragmentarische Bestandteile des Höchsten Herrn“) sind ebenfalls sehr bedeutsam. Der fragmentarische Teil des Höchsten Herrn ist nicht mit einem materiellen Bruchstück zu vergleichen. Aus dem Zweiten Kapitel wissen wir bereits, daß die spirituelle Seele nicht zerteilt werden kann. Man kann die fragmentarische Seele nicht auf materielle Weise verstehen. Sie ist nicht wie Materie, die zerteilt und wieder zusammengesetzt werden kann. Diese Vorstellung ist hier nicht anwendbar, denn es wird das Sanskritwort sanātana („ewig“) gebraucht. Der fragmentarische Teil ist ewig. Auch zu Beginn des Zweiten Kapitels wird gesagt, daß in jedem einzelnen individuellen Körper der fragmentarische Teil des Höchsten Herrn anwesend ist (dehino ’smin yathā dehe). Wenn der fragmentarische Teil von den Verstrickungen des Körpers befreit wird, erlangt er seinen ursprünglichen spirituellen Körper im spirituellen Himmel auf einem spirituellen Planeten und genießt dort die Gemeinschaft des Höchsten Herrn. Aus dem vorliegenden Vers geht hervor, daß das Lebewesen als fragmentarischer Teil des Höchsten Herrn qualitativ mit dem Herrn eins ist, genau wie Goldkörnchen ebenfalls Gold sind.

Text

śarīraṁ yad avāpnoti
yac cāpy utkrāmatīśvaraḥ
gṛhītvaitāni saṁyāti
vāyur gandhān ivāśayāt

Synonyms

śarīram — der Körper; yat — wie; avāpnoti — bekommt; yat — wie; ca api — auch; utkrāmati — gibt auf; īśvaraḥ — der Herr des Körpers; gṛhītvā — annehmend; etāni — all diese; saṁyāti — geht weg; vāyuḥ — die Luft; gandhān — riecht; iva — wie; āśayāt — von ihrer Quelle.

Translation

Das Lebewesen in der materiellen Welt trägt seine verschiedenen Lebensauffassungen von einem Körper zum anderen, so wie die Luft Düfte mit sich trägt. So nimmt es eine Art von Körper an und gibt ihn wieder auf, um einen anderen anzunehmen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hier wird das Lebewesen als īśvara, der Beherrscher seines eigenen Körpers, beschrieben. Wenn es möchte, kann es einen Körper auf einer höheren Stufe bekommen, und wenn es möchte, kann es auch auf eine niedere Stufe hinabgleiten. Das Lebewesen hat eine winzige Unabhängigkeit. Der Wandel, dem sein Körper unterworfen ist, ist von ihm selbst abhängig. Zum Zeitpunkt des Todes wird es von dem Bewußtsein, das es entwickelt hat, zu einem entsprechenden Körper getragen. Wenn es das Bewußtsein einer Katze oder eines Hundes angenommen hat, wird es mit Sicherheit den Körper einer Katze oder eines Hundes annehmen müssen. Wenn es sein Bewußtsein auf göttliche Eigenschaften gerichtet hat, wird es zur Form eines Halbgottes überwechseln. Und wenn es Kṛṣṇa-bewußt ist, wird es zur spirituellen Welt, nach Kṛṣṇaloka, erhoben und wird dort mit Kṛṣṇa zusammensein. Die Behauptung, nach der Vernichtung des Körpers sei alles zu Ende, ist falsch. Die individuelle Seele wandert von einem Körper zum nächsten, und ihr gegenwärtiger Körper sowie ihre gegenwärtigen Handlungen sind die Grundlage ihres nächsten Körpers. Je nach seinem karma bekommt man einen anderen Körper, und zur gegebenen Zeit muß man ihn wieder aufgeben. Hier wird gesagt, daß der feinstoffliche Körper, der die Anlagen des nächsten Körpers mit sich trägt, im nächsten Leben einen anderen Körper entwickelt. Dieser Vorgang, von einem Körper zum anderen zu wandern, und die damit verbundenen Beschwerlichkeiten werden karṣati, der Kampf ums Dasein, genannt.

Text

śrotraṁ cakṣuḥ sparśanaṁ ca
rasanaṁ ghrāṇam eva ca
adhiṣṭhāya manaś cāyaṁ
viṣayān upasevate

Synonyms

śrotram — Ohren; cakṣuḥ — Augen; sparśanam — Berührung; ca — auch; rasanam — Zunge; ghrāṇam — Geruchssinn; eva — auch; ca — und; adhiṣṭhāya — sich befindend in; manaḥ — Geist; ca — auch; ayam — er; viṣayān — Sinnesobjekte; upasevate — genießt.

Translation

Das Lebewesen, das auf diese Weise einen weiteren materiellen Körper annimmt, erhält eine bestimmte Art von Ohren, Augen, Zunge, Nase und Tastsinn, die um den Geist gruppiert sind. So genießt es eine bestimmte Auswahl von Sinnesobjekten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Mit anderen Worten, wenn das Lebewesen sein Bewußtsein verfälscht, indem es die Eigenschaften von Katzen und Hunden annimmt, bekommt es im nächsten Leben den Körper einer Katze oder eines Hundes und genießt dementsprechend. Bewußtsein ist ursprünglich rein, so wie Wasser. Doch wenn wir Wasser mit einer bestimmten Farbe vermischen, verändert es sich. In ähnlicher Weise ist das Bewußtsein des Lebewesens rein, denn die spirituelle Seele ist rein; aber es verändert sich je nach der Berührung mit den materiellen Erscheinungsweisen. Wahres Bewußtsein ist Kṛṣṇa-Bewußtsein. Wenn daher jemand im Kṛṣṇa-Bewußtsein gründet, ist sein Leben rein. Wenn aber das Bewußtsein durch irgendeine materielle Geisteshaltung getrübt ist, bekommt man im nächsten Leben einen entsprechenden Körper. Es ist nicht sicher, daß man erneut einen menschlichen Körper erhält; es kann auch sein, daß man den Körper einer Katze, eines Hundes, eines Schweines, eines Halbgottes oder eine der vielen anderen Lebensformen annimmt, von denen es 8400000 verschiedene gibt.

Text

utkrāmantaṁ sthitaṁ vāpi
bhuñjānaṁ vā guṇānvitam
vimūḍhā nānupaśyanti
paśyanti jñāna-cakṣuṣaḥ

Synonyms

utkrāmantam — den Körper aufgebend; sthitam — im Körper weilend; api — entweder; bhuñjānam — genießend; — oder; guṇa-anvitam — im Bann der Erscheinungsweisen der materiellen Natur; vimūḍhāḥ — törichte Personen; na — niemals; anupaśyanti — können sehen; paśyanti — können sehen; jñāna-cakṣuṣaḥ — diejenigen, die die Augen des Wissens haben.

Translation

Törichte Menschen können nicht verstehen, wie ein Lebewesen seinen Körper verläßt, und sie können nicht verstehen, welche Art von Körper es im Banne der Erscheinungsweisen der Natur genießt. Doch jemand, dessen Augen im Wissen geschult sind, kann all dies sehen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Das Wort jñāna-cakṣuṣaḥ ist sehr bedeutsam. Ohne Wissen kann man nicht verstehen, wie ein Lebewesen seinen gegenwärtigen Körper verläßt oder welche Körperform es im nächsten Leben annehmen wird, ja nicht einmal warum es gegenwärtig gerade in dieser oder jener Art von Körper lebt. Um all dies zu verstehen, braucht man umfangreiches Wissen aus der Bhagavad-gītā und ähnlichen Schriften, die man von einem echten spirituellen Meister gehört haben muß. Wer gelernt hat, all diese Dinge zu verstehen, kann sich glücklich schätzen. Jedes Lebewesen gibt seinen Körper unter bestimmten Umständen auf, es lebt in bestimmten Umständen, und es genießt unter bestimmten Umständen im Banne der materiellen Natur. Als Folge davon erleidet es, in der Illusion, seine Sinne zu genießen, verschiedene Arten von Glück und Leid. Menschen, die sich fortwährend von Lust und Begierden verleiten lassen, verlieren jede Fähigkeit zu verstehen, wie sie ihren Körper wechseln und warum sie sich in einem bestimmten Körper befinden. Sie können es nicht begreifen. Diejenigen hingegen, die spirituelles Wissen entwickelt haben, verstehen, daß die Seele vom Körper verschieden ist, daß sie den Körper wechselt und daß sie auf verschiedene Weise genießt. Wer über solches Wissen verfügt, kann verstehen, wie das bedingte Lebewesen im materiellen Dasein leidet. Deshalb versuchen diejenigen, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein weit fortgeschritten sind, ihr Bestes, den Menschen dieses Wissen zu vermitteln, denn das bedingte Leben dieser Menschen ist sehr beschwerlich. Sie sollten ihr bedingtes Leben hinter sich lassen, Kṛṣṇa-bewußt werden und sich befreien, um in die spirituelle Welt zurückzukehren.

Text

yatanto yoginaś cainaṁ
paśyanty ātmany avasthitam
yatanto ’py akṛtātmāno
nainaṁ paśyanty acetasaḥ

Synonyms

yatantaḥ — sich bemühend; yoginaḥ — Transzendentalisten; ca — auch; enam — dies; paśyanti — können sehen; ātmani — im Selbst; avasthitam — verankert; yatantaḥ — sich bemühend; api — obwohl; akṛta-ātmānaḥ — diejenigen ohne Selbstverwirklichung; na — nicht; enam — dies; paśyanti — sehen; acetasaḥ — unentwickeltes Bewußtsein habend.

Translation

Die strebenden Transzendentalisten, die in Selbstverwirklichung verankert sind, können all dies deutlich erkennen. Doch diejenigen, deren Bewußtsein nicht fortgeschritten ist und die nicht selbstverwirklicht sind, können nicht sehen, was vor sich geht, auch wenn sie sich darum bemühen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt viele Transzendentalisten auf dem Pfad der spirituellen Selbstverwirklichung, doch jemand, der nicht tatsächlich selbstverwirklicht ist, kann nicht verstehen, wie sich der Körper des Lebewesens wandelt. Das Wort yoginaḥ ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Heutzutage gibt es viele sogenannte yogīs und viele sogenannte yoga-Gesellschaften, doch in bezug auf Selbstverwirklichung sind sie eigentlich blind. Sie sind nur an irgendwelchen gymnastischen Übungen interessiert und sind zufrieden, wenn ihr Körper gut gebaut und gesund ist. Weiter reicht ihr Wissen nicht. Sie werden als yatanto ’py akṛtātmānaḥ bezeichnet. Obwohl sie sich bemühen, in einem sogenannten yoga-System Fortschritt zu machen, sind sie nicht selbstverwirklicht. Solche Menschen können den Vorgang der Seelenwanderung nicht verstehen. Nur diejenigen, die tatsächlich im yoga-System verankert sind und das Selbst, die Welt und den Höchsten Herrn verstanden haben, mit anderen Worten, die bhakti-yogīs oder diejenigen, die im reinen hingebungsvollen Dienst, im Kṛṣṇa-Bewußtsein, beschäftigt sind, können diesen Vorgang richtig verstehen.

Text

yad āditya-gataṁ tejo
jagad bhāsayate ’khilam
yac candramasi yac cāgnau
tat tejo viddhi māmakam

Synonyms

yat — das, was; āditya-gatam — im Sonnenschein; tejaḥ — Glanz; jagat — die ganze Welt; bhāsayate — erleuchtet; akhilam — völlig; yat — das, was; candramasi — im Mond; yat — das, was; ca — auch; agnau — im Feuer; tat — das; tejaḥ — Licht; viddhi — verstehe; māmakam — von Mir.

Translation

Das Licht der Sonne, das die Dunkelheit der ganzen Welt vertreibt, kommt von Mir. Auch das Licht des Mondes und das Licht des Feuers kommen von Mir.

Purport

ERLÄUTERUNG: Unintelligente Menschen können nicht verstehen, wie alles vor sich geht. Man kann jedoch beginnen, im Wissen Fortschritt zu machen, wenn man versteht, was der Herr hier erklärt. Jeder sieht die Sonne, den Mond, das Feuer und die Elektrizität. Man sollte einfach versuchen zu verstehen, daß das Licht der Sonne, das Licht des Mondes wie auch das Licht der Elektrizität oder des Feuers von der Höchsten Persönlichkeit Gottes kommen. Eine solche Lebensauffassung, die den Beginn des Kṛṣṇa-Bewußtseins bildet, stellt einen beträchtlichen Fortschritt für die bedingte Seele in der materiellen Welt dar. Die Lebewesen sind dem Wesen nach Teile des Höchsten Herrn, und Er gibt ihnen hiermit den Hinweis, wie sie nach Hause, zu Gott, zurückkehren können.

Aus diesem Vers geht hervor, daß die Sonne das gesamte Sonnensystem erleuchtet. Es gibt verschiedene Universen und Sonnensysteme, und es gibt auch verschiedene Sonnen, Monde und Planeten, doch in jedem Universum gibt es nur eine Sonne. Nach Aussage der Bhagavad- gītā (10.21) gehört der Mond zu den Sternen (nakṣatrāṇām ahaṁ śaśī). Das Sonnenlicht hat seinen Ursprung in der spirituellen Ausstrahlung des Höchsten Herrn, die sich im spirituellen Himmel ausbreitet. Mit dem Sonnenaufgang beginnen die Tätigkeiten der Menschen. Sie entfachen Feuer, um ihr Essen zuzubereiten, sie entfachen Feuer in ihren Fabriken, usw. So viele Dinge geschehen mit Hilfe des Feuers. Deshalb sind der Sonnenaufgang, das Feuer und das Mondlicht den Lebewesen so angenehm. Ohne ihre Hilfe kann kein Lebewesen leben. Wenn jemand also versteht, daß das Licht und die Ausstrahlung der Sonne, des Mondes und des Feuers von der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, ausgehen, wird sein Kṛṣṇa-Bewußtsein beginnen. Durch das Mondlicht wird alles Gemüse genährt. Das Mondlicht ist so wohltuend, daß die Menschen leicht verstehen können, daß sie nur durch die Gnade der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, leben. Ohne Seine Gnade kann es keine Sonne geben, ohne Seine Gnade kann es keinen Mond geben, und ohne Seine Gnade kann es kein Feuer geben; und ohne die Hilfe der Sonne, des Mondes und des Feuers kann niemand leben. Dies sind einige Gedanken, um das Kṛṣṇa-Bewußtsein in der bedingten Seele zu erwecken.

Text

gām āviśya ca bhūtāni
dhārayāmy aham ojasā
puṣṇāmi cauṣadhīḥ sarvāḥ
somo bhūtvā rasātmakaḥ

Synonyms

gām — die Planeten; āviśya — eingehend; ca — auch; bhūtāni — die Lebewesen; dhārayāmi — erhalte; aham — Ich; ojasā — durch Meine Energie; puṣṇāmi — nähre; ca — und; auṣadhīḥ — Gemüse; sarvāḥ — alles; somaḥ — der Mond; bhūtvā — werdend; rasa-ātmakaḥ — sorge für den Saft.

Translation

Ich gehe in alle Planeten ein, und durch Meine Energie bleiben sie in ihren Bahnen. Ich werde der Mond und versorge dadurch alles Gemüse mit dem Saft des Lebens.

Purport

ERLÄUTERUNG: Aus diesem Vers geht hervor, daß die Planeten allein durch die Energie des Herrn im All schweben. Der Herr geht in jedes Atom, in jeden Planeten und in jedes Lebewesen ein. Dies wird in der Brahma-saṁhitā beschrieben, wo es heißt, daß eine vollständige Teilerweiterung der Höchsten Persönlichkeit Gottes, der Paramātmā, in die Planeten, das Universum, das Lebewesen und sogar in das Atom eingeht. Aufgrund Seines Eingehens in die materielle Welt nimmt alles eine geordnete Form an. Solange die spirituelle Seele anwesend ist, kann ein lebendiger Mensch im Wasser schwimmen, doch sowie der lebendige Funke den Körper verläßt und der Körper stirbt, geht er unter. Wenn die Verwesung einsetzt, treibt der Körper natürlich wieder an der Wasseroberfläche, so wie Stroh und andere Dinge, doch sobald der Mensch stirbt, geht er unter. In ähnlicher Weise treiben die Planeten im All, und dies ist möglich, weil die höchste Energie der Höchsten Persönlichkeit Gottes in sie eingegangen ist. Diese Energie hält alle Planeten, als wären sie eine Handvoll Staub. Wenn man Staub in der Hand hält, ist es nicht möglich, daß er herunterfällt, doch wenn man den Staub in die Luft wirft, wird er zu Boden fallen. In ähnlicher Weise werden die Planeten, die im All schweben, eigentlich in der Faust der universalen Form des Höchsten Herrn gehalten. Durch Seine Kraft und Energie bleiben alle beweglichen und unbeweglichen Dinge an ihrem Ort. In den vedischen Hymnen heißt es, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes die Ursache dafür ist, daß die Sonne scheint und die Planeten in ihrer Bahn bleiben. Ohne den Herrn würden alle Planeten wie Staub in der Luft umhergewirbelt werden und vergehen. Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist auch die Ursache dafür, daß der Mond alles Gemüse nährt. Durch den Einfluß des Mondes erhält das Gemüse einen köstlichen Geschmack. Ohne den Mondschein könnte das Gemüse weder wachsen noch saftig schmecken. Die menschliche Gesellschaft arbeitet, führt ein bequemes Leben und ernährt sich von wohlschmeckenden Speisen, weil der Höchste Herr sie versorgt. Ohne Ihn könnte die Menschheit nicht überleben. Das Wort rasātmakaḥ in diesem Vers ist von Bedeutung, denn alles bekommt seinen Geschmack durch den Einfluß des Herrn in Form des Mondscheins.

Text

ahaṁ vaiśvānaro bhūtvā
prāṇināṁ deham āśritaḥ
prāṇāpāna-samāyuktaḥ
pacāmy annaṁ catur-vidham

Synonyms

aham — Ich; vaiśvānaraḥ — Meine vollständige Erweiterung als das Verdauungsfeuer; bhūtvā — werdend; prāṇinām — aller Lebewesen; deham — in den Körpern; āśritaḥ — befindlich; prāṇa — die ausströmende Luft; apāna — die abwärtsströmende Luft; samāyuktaḥ — im Gleichgewicht haltend; pacāmi — Ich verdaue; annam — Nahrung; catuḥ-vidham — die vier Arten.

Translation

Ich bin das Verdauungsfeuer in den Körpern aller Lebewesen, und Ich vereinige Mich mit der Lebensluft, der ausströmenden und der einströmenden, um die vier Arten von Nahrung zu verdauen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Aus der Āyur-vedischen śāstra erfahren wir, daß im Magen ein Feuer brennt, das alle Nahrung verdaut. Wenn das Feuer ruhig ist, verspürt man keinen Hunger, und wenn es lodert, werden wir hungrig. Manchmal, wenn das Feuer nicht richtig brennt, ist eine Behandlung erforderlich. Auf jeden Fall repräsentiert dieses Feuer die Höchste Persönlichkeit Gottes. Die vedischen mantras (Bṛhad-āraṇyaka Upaniṣad 5.9.1) bestätigen ebenfalls, daß der Höchste Herr, das Höchste Brahman, in Form des Feuers im Magen gegenwärtig ist und alle Arten von Nahrung verdaut (ayam agnir vaiśvānaro yo ’yam antaḥ puruṣe yenedam annaṁ pacyate). Und da der Herr dem Lebewesen bei der Verdauung der Nahrung behilflich ist, ist es beim Vorgang des Essens nicht unabhängig. Wäre der Höchste Herr dem Lebewesen bei der Verdauung nicht behilflich, so wäre es nicht in der Lage zu essen. Es ist also der Höchste Herr, der die Nahrung erzeugt und verdaut, und durch Seine Gnade genießen wir das Leben. Im Vedānta-sūtra (1.2.27) wird dies ebenfalls bestätigt. Śabdādibhyo ’ntaḥ pratiṣṭhānāc ca: Der Herr ist im Klang, im Körper, in der Luft und sogar im Magen gegenwärtig, wo Er als Verdauungskraft wirkt. Es gibt vier Arten von Nahrung – solche, die geschluckt, gekaut, aufgeleckt und geschlürft wird –, und Er ist die verdauende Kraft für sie alle.

Text

sarvasya cāhaṁ hṛdi sanniviṣṭo
mattaḥ smṛtir jñānam apohanaṁ ca
vedaiś ca sarvair aham eva vedyo
vedānta-kṛd veda-vid eva cāham

Synonyms

sarvasya — aller Lebewesen; ca — und; aham — Ich; hṛdi — im Herzen; sanniviṣṭaḥ — befindlich; mattaḥ — von Mir; smṛtiḥ — Erinnerung; jñānam — Wissen; apohanam — Vergessen; ca — und; vedaiḥ — von den Veden; ca — auch; sarvaiḥ — alle; aham — Ich bin; eva — gewiß; vedyaḥ — das zu Erkennende; vedānta-kṛt — der Verfasser des Vedānta; veda-vit — der Kenner der Veden; eva — gewiß; ca — und; aham — Ich.

Translation

Ich weile im Herzen eines jeden, und von Mir kommen Erinnerung, Wissen und Vergessen. Das Ziel aller Veden ist es, Mich zu erkennen. Wahrlich, Ich bin der Verfasser des Vedānta, und Ich bin der Kenner der Veden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Höchste Herr weilt im Herzen eines jeden als Paramātmā, und Er ist es, der alle Handlungen ermöglicht. Das Lebewesen vergißt alles, was in seinem letzten Leben geschehen ist, aber weil der Höchste Herr der Zeuge all seiner Handlungen ist, muß es gemäß Seiner Führung handeln. Deshalb beginnt es seine Tätigkeiten entsprechend seinen vergangenen Handlungen. Es bekommt vom Herrn das erforderliche Wissen und die Erinnerung, und durch Ihn vergißt es auch sein vergangenes Leben. Der Herr ist also nicht nur alldurchdringend, sondern Er befindet Sich auch, in Seinem lokalisierten Aspekt, in jedem individuellen Herzen. Er gewährt die verschiedenen fruchtbringenden Ergebnisse. Er ist nicht nur als das unpersönliche Brahman, die Höchste Persönlichkeit und der lokalisierte Paramātmā verehrenswert, sondern auch in Form der Inkarnation der Veden. Die Veden geben den Menschen Führung, damit sie ihr Leben richtig gestalten können, um nach Hause, zu Gott, zurückzukehren. Die Veden vermitteln Wissen von der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, und in Seiner Inkarnation als Vyāsadeva ist Kṛṣṇa der Verfasser des Vedānta- sūtra. Der Kommentar zum Vedānta-sūtra, den Vyāsadeva in Form des Śrīmad-Bhāgavatam verfaßte, vermittelt das wahre Verständnis vom Vedānta-sūtra. Der Höchste Herr ist so allumfassend, daß Er zum Zwecke der Befreiung der bedingten Seele für Nahrung und Verdauung sorgt, der Zeuge ihrer Tätigkeiten ist, Wissen in Form der Veden gibt und als die Höchste Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa, die Bhagavad-gītā lehrt. Er ist für die bedingte Seele verehrenswert. Somit ist Gott allgut; Gott ist allbarmherzig.

Antaḥ-praviṣṭaḥ śāstā janānām. Das Lebewesen vergißt, sobald es seinen gegenwärtigen Körper aufgibt, doch veranlaßt vom Höchsten Herrn, beginnt es seine Betätigung von neuem. Obwohl es vergißt, kann es seine Beschäftigung dort wieder aufnehmen, wo es in seinem letzten Leben aufgehört hat, weil ihm der Herr die Intelligenz dazu gibt. Nicht nur leidet oder genießt das Lebewesen in dieser Welt nach der Weisung des Höchsten Herrn, der in seinem Herzen weilt, sondern es bekommt von Ihm auch die Möglichkeit, die Veden zu verstehen. Wenn es einem ernst damit ist, das vedische Wissen zu verstehen, gibt Kṛṣṇa die erforderliche Intelligenz. Warum offenbart Er das vedische Wissen? Weil es für das Lebewesen wichtig ist, Kṛṣṇa zu verstehen. Dies wird in den vedischen Schriften bestätigt: yo ’sau sarvair vedair gīyate. In allen vedischen Schriften, angefangen mit den vier Veden sowie dem Vedānta-sūtra, den Upaniṣaden und den Purāṇas, wird die Herrlichkeit des Höchsten Herrn gepriesen. Indem man vedische Rituale vollzieht, die vedische Philosophie erörtert und den Herrn im hingebungsvollen Dienst verehrt, gelangt man zu Ihm. Deshalb ist es das Ziel der Veden, Kṛṣṇa zu verstehen. Die Veden zeigen uns, wie wir Kṛṣṇa verstehen und erkennen können. Das letztliche Ziel ist die Höchste Persönlichkeit Gottes. Dies wird im Vedānta-sūtra (1.1.4) mit den folgenden Worten bestätigt: tat tu samanvayāt. Man kann die Vollkommenheit in drei Stufen erlangen. Indem man die vedischen Schriften versteht, kann man seine Beziehung zur Höchsten Persönlichkeit Gottes verstehen; indem man die verschiedenen Vorgänge befolgt, kann man sich Ihm nähern, und schließlich kann man das höchste Ziel erreichen, das niemand anderes ist als die Höchste Persönlichkeit Gottes. Im vorliegenden Vers werden der Zweck, das richtige Verständnis und das Ziel der Veden klar definiert.

Text

dvāv imau puruṣau loke
kṣaraś cākṣara eva ca
kṣaraḥ sarvāṇi bhūtāni
kūṭa-stho ’kṣara ucyate

Synonyms

dvau — zwei; imau — diese; puruṣau — Lebewesen; loke — in der Welt; kṣaraḥ — fehlbar; ca — und; akṣaraḥ — unfehlbar; eva — gewiß; ca — und; kṣaraḥ — fehlbar; sarvāṇi — alle; bhūtāni — Lebewesen; kūṭa-sthaḥ — in Einheit; akṣaraḥ — unfehlbar; ucyate — wird genannt.

Translation

Es gibt zwei Arten von Lebewesen, die unfehlbaren und die fehlbaren. Jedes Lebewesen in der materiellen Welt ist fehlbar, und jedes Lebewesen in der spirituellen Welt wird unfehlbar genannt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wie bereits erklärt wurde, verfaßte der Herr in Seiner Inkarnation als Vyāsadeva das Vedānta-sūtra. Hier gibt der Herr eine Zusammenfassung des Inhalts des Vedānta-sūtra. Er sagt, daß die Lebewesen, von denen es zahllose gibt, in zwei Gruppen eingeteilt werden können – die fehlbaren und die unfehlbaren. Die Lebewesen sind ewig abgesonderte Teile der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Wenn sie mit der materiellen Welt in Berührung sind, nennt man sie jīva-bhūta, und die Sanskritworte, die hier benutzt werden (kṣaraḥ sarvāṇi bhūtāni), bedeuten, daß sie fehlbar sind. Doch diejenigen, die in Einheit mit der Höchsten Persönlichkeit Gottes sind, werden unfehlbar genannt. Einheit bedeutet nicht, daß sie keine Individualität haben, sondern daß keine Uneinigkeit herrscht. Sie alle leben in Übereinstimmung mit dem Zweck der Schöpfung. Natürlich gibt es in der spirituellen Welt eigentlich keine Schöpfung, aber da die Höchste Persönlichkeit Gottes, wie im Vedānta- sūtra erklärt wird, die Quelle aller Emanationen ist, wird in diesem Zusammenhang manchmal ebenfalls von einer Schöpfung gesprochen.

Gemäß der Aussage der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa, gibt es zwei Arten von Lebewesen. Dies wird in den Veden bestätigt, und daran kann es keinen Zweifel geben. Diejenigen Lebewesen, die in dieser Welt mit dem Geist und den fünf Sinnen kämpfen, haben einen materiellen Körper, der sich ständig wandelt. Solange ein Lebewesen bedingt ist, ist sein Körper aufgrund des Kontaktes mit der Materie Wandlungen unterworfen; da sich die Materie wandelt, scheint sich auch das Lebewesen zu wandeln. In der spirituellen Welt jedoch besteht der Körper nicht aus Materie, und folglich ist er dort auch keinen Wandlungen unterworfen. In der materiellen Welt unterliegt das Lebewesen sechs Wandlungen – Geburt, Wachstum, Reife, Fortpflanzung, Verfall und Tod. Dies sind die Wandlungen des materiellen Körpers. In der spirituellen Welt jedoch wandelt sich der Körper nicht. Dort gibt es kein Alter, keine Geburt und keinen Tod. Alles dort befindet sich in Einheit. Kṣaraḥ sarvāṇi bhūtāni: Jedes Lebewesen, das mit Materie in Berührung gekommen ist, angefangen mit Brahmā, dem ersterschaffenen Lebewesen, bis hinunter zur kleinen Ameise, wechselt seinen Körper, und daher sind sie alle fehlbar. In der spirituellen Welt jedoch sind alle Lebewesen immer in Einheit befreit.

Text

uttamaḥ puruṣas tv anyaḥ
paramātmety udāhṛtaḥ
yo loka-trayam āviśya
bibharty avyaya īśvaraḥ

Synonyms

uttamaḥ — die beste; puruṣaḥ — Persönlichkeit; tu — aber; anyaḥ — eine andere; parama-ātmā — das Höchste Selbst; iti — so; udāhṛtaḥ — wird gesagt; yaḥ — der; loka — des Universums; trayam — die drei Unterteilungen; āviśya — eingehend; bibharti — erhält; avyayaḥ — unerschöpflich; īśvaraḥ — der Herr.

Translation

Über diesen beiden steht die größte Persönlichkeit, die Höchste Seele, der unvergängliche Herr Selbst, der in die drei Welten eingegangen ist und sie erhält.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der gleiche Gedanke, der in diesem Vers zum Ausdruck gebracht wird, wird auch in der Kaṭha Upaniṣad (2.2.13) und der Śvetāśvatara Upaniṣad (6.13) sehr schön erklärt. Dort wird unmißverständlich gesagt, daß über den unzähligen Lebewesen, von denen einige bedingt und einige befreit sind, die Höchste Persönlichkeit, der Paramātmā, steht. Der Vers in den Upaniṣaden lautet wie folgt: nityo nityānāṁ cetanaś cetanānām. Dieser Vers besagt, daß es unter allen Lebewesen, den bedingten und den befreiten zusammengenommen, eine höchste lebendige Persönlichkeit gibt, die Höchste Persönlichkeit Gottes, die alle anderen erhält und ihnen je nach ihren Tätigkeiten die verschiedensten Möglichkeiten zum Genuß zur Verfügung stellt. Diese Höchste Persönlichkeit Gottes befindet Sich als Paramātmā im Herzen eines jeden. Ein weiser Mensch, der Ihn versteht, ist geeignet, vollkommenen Frieden zu erlangen, andere nicht.

Text

yasmāt kṣaram atīto ’ham
akṣarād api cottamaḥ
ato ’smi loke vede ca
prathitaḥ puruṣottamaḥ

Synonyms

yasmāt — weil; kṣaram — zu den Fehlbaren; atītaḥ — transzendental; aham — Ich bin; akṣarāt — jenseits der Unfehlbaren; api — auch; ca — und; uttamaḥ — der Beste; ataḥ — deshalb; asmi — Ich bin; loke — in der Welt; vede — in der vedischen Literatur; ca — und; prathitaḥ — berühmt; puruṣa-uttamaḥ — als die Höchste Persönlichkeit.

Translation

Weil Ich transzendental bin zu den Fehlbaren und Unfehlbaren und weil Ich der Größte bin, bin Ich sowohl in der Welt als auch in den Veden als die Höchste Person berühmt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Niemand kann die Höchste Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, übertreffen – weder die bedingte Seele noch die befreite Seele. Folglich ist Er die größte aller Persönlichkeiten. Aus diesem Vers geht nun eindeutig hervor, daß die Lebewesen und die Höchste Persönlichkeit Gottes Individuen sind. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß die Lebewesen, sowohl im bedingten als auch im befreiten Zustand, die unermeßlichen Energien der Höchsten Persönlichkeit Gottes niemals quantitativ übertreffen können. Es ist falsch anzunehmen, der Höchste Herr und die Lebewesen befänden sich auf der gleichen Ebene oder seien in jeder Hinsicht gleich. Was ihre Persönlichkeit betrifft, so muß man immer zwischen ihrer übergeordneten und untergeordneten Stellung unterscheiden. Das Wort uttama ist hier von großer Bedeutung. Niemand kann die Höchste Persönlichkeit Gottes übertreffen.

Das Wort loke bedeutet „in der pauruṣa āgama (den smṛti-Schriften)“. Im Nirukti-Wörterbuch wird bestätigt: lokyate vedārtho ’nena. „Der Sinn der Veden wird von den smṛti-Schriften erklärt.“

Der Höchste Herr wird in Seinem lokalisierten Paramātmā-Aspekt ebenfalls direkt in den Veden beschrieben. Der folgende Vers erscheint in den Veden (Chāndogya Upaniṣad 8.12.3): tāvad eṣa sampra-sādo ’smāc charīrāt samutthāya paraṁ jyoti-rūpaṁ sampadya svena rūpeṇābhiniṣpadyate sa uttamaḥ puruṣaḥ. „Wenn die Überseele aus dem Körper kommt, geht Sie in das unpersönliche brahmajyoti ein; dann behält Sie in Ihrer Form Ihre spirituelle Identität bei. Dieser Höchste wird als die Höchste Persönlichkeit bezeichnet.“ Dies bedeutet, daß die Höchste Persönlichkeit Ihre spirituelle Ausstrahlung aussendet und verbreitet, die die höchste Quelle allen Lichts darstellt. Diese Höchste Persönlichkeit hat auch einen lokalisierten Aspekt, den Paramātmā. In Seiner Inkarnation als Vyāsadeva, der Sohn Satyavatīs und Parāśaras, erklärt Er das vedische Wissen.

Text

yo mām evam asammūḍho
jānāti puruṣottamam
sa sarva-vid bhajati māṁ
sarva-bhāvena bhārata

Synonyms

yaḥ — jeder, der; mām — Mich; evam — also; asammūḍhaḥ — ohne Zweifel; jānāti — kennt; puruṣa-uttamam — die Höchste Persönlichkeit Gottes; saḥ — er; sarva-vit — der Kenner von allem; bhajati — bringt hingebungsvollen Dienst dar; mām — Mir; sarva-bhāvena — in jeder Hinsicht; bhārata — o Nachkomme Bharatas.

Translation

Jeder, der Mich als die Höchste Persönlichkeit Gottes kennt, ohne daran zu zweifeln, ist der Kenner aller Dinge. Daher beschäftigt er sich voll und ganz in Meinem hingebungsvollen Dienst, o Nachkomme Bharatas.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es gibt viele philosophische Spekulationen über die wesensgemäße Stellung der Lebewesen und der Absoluten Wahrheit. In diesem Vers nun erklärt die Höchste Persönlichkeit Gottes unmißverständlich, daß jeder, der weiß, daß Śrī Kṛṣṇa die Höchste Person ist, tatsächlich alles weiß. Wer nur über unvollkommenes Wissen verfügt, spekuliert einfach weiter über die Absolute Wahrheit; wer jedoch über vollkommenes Wissen verfügt, beschäftigt sich, ohne seine wertvolle Zeit zu verschwenden, direkt im Kṛṣṇa-Bewußtsein, im hingebungsvollen Dienst des Höchsten Herrn. Die ganze Bhagavad-gītā hindurch wird diese Tatsache immer wieder betont. Und trotzdem gibt es so viele uneinsichtige Kommentatoren der Bhagavad-gītā, die die Höchste Absolute Wahrheit und die Lebewesen für ein und dasselbe halten.

Vedisches Wissen wird śruti genannt, das, was man durch Hören lernt. Man sollte die vedische Botschaft von Autoritäten wie Kṛṣṇa und Seinen Repräsentanten empfangen. Hier trifft Kṛṣṇa klare Unterscheidungen, und man sollte von dieser Quelle hören. Einfach nur zu hören, wie die Schweine es tun, ist nicht genügend. Man muß von Autoritäten hören und auch in der Lage sein, das Gehörte zu verstehen. Bloße akademische Spekulationen können einem nicht weiterhelfen. Man sollte in ergebener Haltung aus der Bhagavad-gītā hören, die erklärt, daß die Lebewesen der Höchsten Persönlichkeit Gottes immer untergeordnet sind. Jeder, der imstande ist, diesen Punkt zu verstehen, versteht nach Aussage der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa, den Sinn der Veden; außer ihnen kennt niemand den wahren Sinn der Veden.

Das Wort bhajati ist sehr bedeutsam. An vielen Stellen wird das Wort bhajati im Zusammenhang mit dem Dienst für den Höchsten Herrn verwendet. Wenn jemand voll und ganz im Kṛṣṇa-Bewußtsein, im hingebungsvollen Dienst des Herrn, beschäftigt ist, kann man sagen, daß er das gesamte vedische Wissen verstanden hat. Die Vaiṣṇava-paramparā lehrt, daß jemand, der im hingebungsvollen Dienst Kṛṣṇas beschäftigt ist, keinen anderen spirituellen Vorgang mehr zu befolgen braucht, um die Höchste Absolute Wahrheit zu verstehen. Er hat diese Stufe der Erkenntnis bereits erreicht, da er im hingebungsvollen Dienst des Herrn beschäftigt ist. Er hat alle Vorstufen der Erkenntnis bereits hinter sich gelassen. Wenn hingegen jemand, der Hunderttausende von Leben spekuliert hat, nicht zu der Erkenntnis gelangt, daß Kṛṣṇa die Höchste Persönlichkeit Gottes ist und daß man sich Ihm ergeben muß, so ist seine ganze Spekulation in den vielen Jahren und Leben nichts als eine sinnlose Zeitverschwendung gewesen.

Text

iti guhya-tamaṁ śāstram
idam uktaṁ mayānagha
etad buddhvā buddhimān syāt
kṛta-kṛtyaś ca bhārata

Synonyms

iti — so; guhya-tamam — die vertraulichste; śāstram — offenbarte Schrift; idam — diese; uktam — enthüllt; mayā — von Mir; anagha — o Sündloser; etat — dieses; buddhvā — verstehend; buddhi-mān — intelligent; syāt — man wird; kṛta-kṛtyaḥ — der Vollkommenste in seinen Bemühungen; ca — und; bhārata — o Nachkomme Bharatas.

Translation

Dies ist der vertraulichste Teil der vedischen Schriften, o Sündloser, und er wurde nun von Mir offenbart. Wer dies versteht, wird weise werden, und seine Bemühungen werden zur Vollkommenheit gelangen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Herr erklärt hier eindeutig, daß dieses Wissen die Essenz aller offenbarten Schriften darstellt. Man sollte es so verstehen, wie es von der Höchsten Persönlichkeit Gottes gegeben wird. So wird man Intelligenz entwickeln und die vollkommene Stufe transzendentalen Wissens erlangen. Mit anderen Worten, jeder, der diese Philosophie der Höchsten Persönlichkeit Gottes versteht und sich im transzendentalen Dienst beschäftigt, kann von aller Verunreinigung durch die Erscheinungsweisen der Natur befreit werden. Hingebungsvoller Dienst ist ein Vorgang spiritueller Erkenntnis. Wo hingebungsvoller Dienst ist, kann die materielle Verunreinigung nicht bestehenbleiben. Hingebungsvoller Dienst zum Herrn und der Herr Selbst sind ein und dasselbe, da beide spirituell sind. Hingebungsvoller Dienst findet in der inneren Energie des Höchsten Herrn statt. Der Herr wird mit der Sonne verglichen und Unwissenheit mit Dunkelheit. Wo die Sonne scheint, kann es keine Dunkelheit geben. Ebenso kann es überall dort, wo hingebungsvoller Dienst unter der kundigen Leitung eines echten spirituellen Meisters ausgeführt wird, keine Unwissenheit geben.

Jeder muß sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden und sich im hingebungsvollen Dienst beschäftigen, um Intelligenz und Reinheit zu entwickeln. Ohne zu der Stufe zu kommen, auf der man Kṛṣṇa versteht und hingebungsvollen Dienst ausführt, kann man, ganz gleich wie intelligent man in den Augen gewöhnlicher Menschen erscheinen mag, keine vollkommene Intelligenz besitzen.

Das Wort anagha, mit dem Arjuna hier angesprochen wird, ist von Bedeutung. Anagha, „o Sündloser“, bedeutet, daß es sehr schwer ist, Kṛṣṇa zu verstehen, solange man nicht von allen sündhaften Reaktionen befreit ist. Man muß von aller Verunreinigung, von allem sündhaften Tun, frei werden; dann kann man Kṛṣṇa verstehen. Doch hingebungsvoller Dienst ist so rein und mächtig, daß man die Stufe der Sündlosigkeit automatisch erreicht, sobald man einmal im hingebungsvollen Dienst tätig ist.

Während man hingebungsvollen Dienst in der Gemeinschaft reiner Gottgeweihter in vollem Kṛṣṇa-Bewußtsein ausführt, muß man bestimmte Dinge vollständig überwinden. Das wichtigste, was man überwinden muß, ist die Schwäche des Herzens. Die erste Ursache des Zufallkommens ist das Verlangen, die materielle Natur zu beherrschen. Auf diese Weise gibt man den transzendentalen liebenden Dienst des Herrn auf. Die zweite Schwäche des Herzens besteht darin, daß man in dem Maße, wie das Verlangen, über die materielle Natur zu herrschen, zunimmt, eine wachsende Anhaftung an Materie und den Besitz von Materie entwickelt. Die Probleme des materiellen Daseins sind auf diese Schwächen des Herzens zurückzuführen. Die ersten fünf Verse des vorliegenden Kapitels beschreiben den Vorgang, wie man sich von diesen Schwächen des Herzens befreit, und der Rest des Kapitels, angefangen von Vers sechs, befaßt sich mit puruṣottama-yoga.

Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum Fünfzehnten Kapitel der Śrīmad Bhagavad-gītā mit dem Titel: „Der Yoga der Höchsten Person“, puruṣottama-yoga.