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ERSTES KAPITEL

Die Heere auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra

Text

dhṛtarāṣṭra uvāca
dharma-kṣetre kuru-kṣetre
samavetā yuyutsavaḥ
māmakāḥ pāṇḍavāś caiva
kim akurvata sañjaya

Synonyms

dhṛtarāṣṭraḥ uvāca — König Dhṛtarāṣṭra sprach; dharma-kṣetre — an der Pilgerstätte; kuru-kṣetre — am Ort namens Kurukṣetra; samavetāḥ — versammelt; yuyutsavaḥ — voller Kampflust; māmakāḥ — meine Partei (meine Söhne); pāṇḍavāḥ — die Söhne Pāṇḍus; ca — und; eva — gewiß; kim — was; akurvata — taten sie; sañjaya — o Sañjaya.

Translation

Dhṛtarāṣṭra sprach: O Sañjaya, was taten meine Söhne und die Söhne Pāṇḍus, als sie sich an der Pilgerstätte von Kurukṣetra voller Kampflust versammelt hatten?

Purport

ERLÄUTERUNG: Die Bhagavad-gītā ist das vielgelesene Buch der theistischen Wissenschaft. Sie wird in der Gītā-māhātmya, der „Ruhmpreisung der Gītā“, zusammengefaßt, und dort heißt es, man solle die Bhagavad-gītā mit der Hilfe eines Lehrers, der ein Geweihter Śrī Kṛṣṇas ist, eingehend studieren und man solle versuchen, sie frei von subjektiv motivierten Interpretationen zu verstehen. Das Beispiel für jemanden, der diese Lehren richtig verstanden hat, findet man in der Bhagavad-gītā selbst, nämlich in der Person Arjunas, der die Gītā direkt vom Herrn hörte. Wenn jemand das Glück hat, die Bhagavad-gītā in dieser Linie der Schülernachfolge, ohne motivierte Interpretation, zu verstehen, erhebt er sich über alle Studien vedischer Weisheit und alle Schriften der Welt. Man wird in der Bhagavad-gītā alles finden, was in anderen Schriften enthalten ist, doch der Leser wird auch Punkte finden, die anderswo nicht zu finden sind. Das ist die besondere Erhabenheit der Gītā. Sie ist die vollkommene theistische Wissenschaft, weil sie unmittelbar von der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa, gesprochen wurde.

Das im Mahābhārata beschriebene Gespräch zwischen Dhṛtarāṣṭra und Sañjaya bildet die Grundlage dieser erhabenen Philosophie. Aber wie bereits gesagt, wurde diese Philosophie ursprünglich auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra offenbart, einer heiligen Pilgerstätte, die in der vedischen Kultur schon seit unvordenklichen Zeiten verehrt wird. Der Sprecher war Śrī Kṛṣṇa, der persönlich auf der Erde erschienen war, um der Menschheit Führung zu geben.

Das Wort dharma-kṣetra (ein Ort, an dem religiöse Rituale vollzogen werden) ist bedeutsam, weil auf diesem Schlachtfeld von Kurukṣetra die Höchste Persönlichkeit Gottes gegenwärtig war und auf der Seite Arjunas stand. Dhṛtarāṣṭra, der Vater der Kurus, hatte am endgültigen Sieg seiner Söhne starke Zweifel, und so fragte er Sañjaya, seinen Sekretär: „Was taten sie?“ Er war überzeugt, daß sich sowohl seine Söhne als auch die Söhne seines jüngeren Bruders Pāṇḍu auf diesem Feld von Kurukṣetra versammelt hatten, um ihren Krieg mit Entschlossenheit auszutragen. Dennoch ist seine Frage von Bedeutung. Er wünschte keinen Kompromiß zwischen den Vettern und Brüdern, und so wollte er sich über das Schicksal seiner Söhne auf dem Schlachtfeld Gewißheit verschaffen. Weil die Schlacht gemäß den Vorkehrungen in Kurukṣetra stattfinden sollte, das an einer anderen Stelle in den Veden als eine Stätte der Verehrung – selbst für die Bewohner der himmlischen Planeten – bezeichnet wird, befürchtete Dhṛtarāṣṭra sehr, daß dieser heilige Ort den Ausgang der Schlacht beeinflussen könnte. Er wußte sehr wohl, daß dies ein Vorteil für Arjuna und die anderen Söhne Pāṇḍus war, da sie alle von Natur aus tugendhaft waren. Sañjaya war ein Schüler Vyāsas, und daher war er durch die Barmherzigkeit Vyāsas befähigt, das Schlachtfeld von Kurukṣetra visionär wahrzunehmen, obwohl er sich in Dhṛtarāṣṭras Gemach aufhielt. Und so befragte ihn Dhṛtarāṣṭra über die Lage auf dem Schlachtfeld.

Die Pāṇḍavas und die Söhne Dhṛtarāṣṭras gehören zur selben Familie, doch hier wird Dhṛtarāṣṭras Gesinnung enthüllt. Er erhob bewußt den Anspruch, nur seine Söhne seien Kurus, und schloß die Söhne Pāṇḍus vom Familienerbe aus. Man kann somit die besondere Stellung Dhṛtarāṣṭras in Beziehung zu seinen Neffen, den Söhnen Pāṇḍus, verstehen. So wie in einem Reisfeld die nutzlosen Pflanzen ausgerissen werden, so kann man schon jetzt, zu Beginn dieser Beschreibungen, erwarten, daß auf dem religiösen Feld von Kurukṣetra, wo der Vater der Religion, Śrī Kṛṣṇa, anwesend war, die unerwünschten Pflanzen, wie Dhṛtarāṣṭras Sohn Duryodhana und andere, vernichtet werden und daß den wahrhaft religiösen Menschen unter der Führung Yudhiṣṭhiras vom Herrn die Herrschaft übertragen wird. Dies ist die Aussage der Worte dharma- kṣetre und kuru-kṣetre, abgesehen von ihrer historischen und vedischen Bedeutung.

Text

sañjaya uvāca
dṛṣṭvā tu pāṇḍavānīkaṁ
vyūḍhaṁ duryodhanas tadā
ācāryam upasaṅgamya
rājā vacanam abravīt

Synonyms

sañjayaḥ uvāca — Sañjaya sagte; dṛṣṭvā — nachdem er gesehen hatte; tu — jedoch; pāṇḍava-anīkam — die Soldaten der Pāṇḍavas; vyūḍham — in militärischer Ordnung aufgestellt; duryodhanaḥ — König Duryodhana; tadā — zu dieser Zeit; ācāryam — dem Lehrer; upasaṅgamya — sich nähernd; rājā — der König; vacanam — Worte; abravīt — sprach.

Translation

Sañjaya sagte: O König, nachdem König Duryodhana über die Armee geblickt hatte, die von den Söhnen Pāṇḍus in Schlachtordnung aufgestellt worden war, ging er zu seinem Lehrer und sprach die folgenden Worte.

Purport

ERLÄUTERUNG: Dhṛtarāṣṭra war von Geburt an blind, und unglücklicherweise mangelte es ihm auch an spiritueller Sicht. Er wußte sehr wohl, daß seine Söhne in bezug auf Religion gleichermaßen blind waren, und er war sicher, daß sie sich niemals mit den Pāṇḍavas einigen konnten, die alle von Geburt an fromm waren. Dennoch hegte er Zweifel, als er an den Einfluß der Pilgerstätte dachte, und Sañjaya verstand, aus welchem Grund er nach der Lage auf dem Schlachtfeld fragte. Sañjaya wollte daher den verzagten König ermutigen und versicherte ihm, daß seine Söhne nicht daran dachten, unter dem Einfluß der heiligen Stätte irgendeinen Kompromiß einzugehen. Sañjaya teilte dem König weiter mit, daß sein Sohn Duryodhana, gleich nachdem er die Streitkräfte der Pāṇḍavas betrachtet hatte, zu seinem Oberbefehlshaber Droṇācārya ging, um ihn über die Lage auf dem Schlachtfeld zu unterrichten. Obwohl Duryodhana hier als König bezeichnet wird, mußte er dennoch, aufgrund des Ernstes der Lage, zu seinem Befehlshaber gehen. Er war daher durchaus geeignet, Politiker zu sein. Aber Duryodhanas äußerliches diplomatisches Verhalten konnte nicht die Furcht verbergen, die er verspürte, als er die militärische Aufstellung der Pāṇḍavas sah.

Text

paśyaitāṁ pāṇḍu-putrānām
ācārya mahatīṁ camūm
vyūḍhāṁ drupada-putreṇa
tava śiṣyeṇa dhīmatā

Synonyms

paśya — betrachte; etām — diese; pāṇḍu-putrāṇām — der Söhne Pāṇḍus; ācārya — o Lehrer; mahatīm — große; camūm — Streitmacht; vyūḍhām — aufgestellt; drupada-putreṇa — vom Sohne Drupadas; tava — deinem; śiṣyeṇa — Schüler; dhī-matā — sehr intelligent.

Translation

O mein Lehrer, betrachte das gewaltige Heer der Söhne Pāṇḍus, das dein intelligenter Schüler, der Sohn Drupadas, auf solch geschickte Weise aufgestellt hat.

Purport

ERLÄUTERUNG: Duryodhana, ein geschickter Diplomat, wollte auf die Fehler Droṇācāryas, des großen Oberbefehlshabers und brāhmaṇa, aufmerksam machen. Droṇācārya hatte mit König Drupada, dem Vater Draupadīs, die Arjunas Gattin war, politische Streitigkeiten gehabt. Als Folge dieser Auseinandersetzung vollzog Drupada ein großes Opfer, durch das er die Segnung empfing, einen Sohn zu haben, der fähig sein würde, Droṇācārya zu töten. Droṇācārya wußte dies sehr wohl; doch als ihm der Sohn Drupadas, Dhṛṣṭadyumna, zur militärischen Ausbildung übergeben wurde, zögerte er als großmütiger brāhmaṇa nicht, ihm alle seine militärischen Geheimnisse anzuvertrauen. Auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra wählte Dhṛṣṭadyumna die Seite der Pāṇḍavas, und er war es, der ihre Schlachtordnung aufstellte, nachdem er die Kunst von Droṇācārya erlernt hatte. Duryodhana machte Droṇācārya auf diesen Fehler aufmerksam, damit er während des Kampfes wachsam und unnachgiebig sei. Außerdem wollte er darauf hinweisen, daß Droṇācārya in der Schlacht gegen die Pāṇḍavas, die ebenfalls seine ergebenen Schüler waren, nicht ähnlich milde sein solle. Besonders Arjuna war sein liebster und hervorragendster Schüler. Duryodhana warnte vor solcher Nachsicht, da sie im Kampf zu einer Niederlage führen würde.

Text

atra śūrā maheṣv-āsā
bhīmārjuna-samā yudhi
yuyudhāno virāṭaś ca
drupadaś ca mahā-rathaḥ

Synonyms

atra — hier; śūrāḥ — Helden; mahā-iṣu-āsāḥ — mächtige Bogenschützen; bhīma-arjuna — Bhīma und Arjuna; samāḥ — ebenbürtig; yudhi — im Kampf; yuyudhānaḥ — Yuyudhāna; virāṭaḥ — Virāṭa; ca — auch; drupadaḥ — Drupada; ca — auch; mahā-rathaḥ — großer Kämpfer.

Translation

Hier in diesem Heer gibt es viele heldenhafte Bogenschützen, die Bhīma und Arjuna im Kampf ebenbürtig sind – große Kämpfer wie Yuyudhāna, Virāṭa und Drupada.

Purport

ERLÄUTERUNG: Angesichts von Droṇācāryas hervorragenden Fähigkeiten in der Kunst der Kriegsführung stellte Dhṛṣṭadyumna kein sehr großes Hindernis dar, aber viele andere, die anwesend waren, gaben Anlaß zu Befürchtungen. Sie werden von Duryodhana als große Hürden auf dem Weg zum Sieg bezeichnet, denn jeder einzelne von ihnen war ebenso furchterregend wie Bhīma und Arjuna. Er kannte die Stärke Bhīmas und Arjunas und verglich daher die anderen mit ihnen.

Text

dhṛṣṭaketuś cekitānaḥ
kāśirājaś ca vīryavān
purujit kuntibhojaś ca
śaibyaś ca nara-puṅgavaḥ

Synonyms

dhṛṣṭaketuḥ — Dhṛṣṭaketu; cekitānaḥ — Cekitāna; kāśirājaḥ — Kāśirāja; ca — auch; vīrya-vān — sehr mächtig; purujit — Purujit; kuntibhojaḥ — Kuntibhoja; ca — und; śaibyaḥ — Śaibya; ca — und; narapuṅgavaḥ — Held in der menschlichen Gesellschaft.

Translation

Es sind auch andere große, heldenhafte und mächtige Kämpfer anwesend, wie Dhṛṣṭaketu, Cekitāna, Kāśirāja, Purujit, Kuntibhoja und Śaibya.

Text

yudhāmanyuś ca vikrānta
uttamaujāś ca vīryavān
saubhadro draupadeyāś ca
sarva eva mahā-rathāḥ

Synonyms

yudhāmanyuḥ — Yudhāmanyu; ca — und; vikrāntaḥ — mächtig; uttamaujāḥ — Uttamaujā; ca — und; vīrya-vān — sehr stark; saubhadraḥ — der Sohn Subhadrās; draupadeyāḥ — die Söhne Draupadīs; ca — und; sarve — alle; eva — gewiß; mahā-rathāḥ — große Wagenkämpfer.

Translation

Dort stehen der gewaltige Yudhāmanyu, der äußerst mächtige Uttamaujā, der Sohn Subhadrās und die Söhne Draupadīs. All diese Krieger sind große Wagenkämpfer.

Text

asmākaṁ tu viśiṣṭā ye
tān nibodha dvijottama
nāyakā mama sainyasya
saṁjñārthaṁ tān bravīmi te

Synonyms

asmākam — unsere; tu — aber; viśiṣṭāḥ — besonders mächtig; ye — diejenigen; tān — ihnen; nibodha — beachte bitte, sei unterrichtet; dvija- uttama — o bester der brāhmaṇas; nāyakāḥ — Hauptleute; mama — meine; sainyasya — der Soldaten; saṁjñā-artham — zur Information; tān — ihnen; bravīmi — ich teile mit; te — dir.

Translation

O bester der brāhmaṇas, ich möchte dir zu deiner Information aber auch mitteilen, welches die mächtigsten Anführer meiner Streitmacht sind.

Text

bhavān bhīṣmaś ca karṇaś ca
kṛpaś ca samitiṁ-jayaḥ
aśvatthāmā vikarṇaś ca
saumadattis tathaiva ca

Synonyms

bhavān — du selbst; bhīṣmaḥ — Großvater Bhīṣma; ca — auch; karṇaḥ — Karṇa; ca — und; kṛpaḥ — Kṛpa; ca — und; samitim-jayaḥ — in der Schlacht immer siegreich; aśvatthāmā — Aśvatthāmā; vikarṇaḥ — Vikarṇa; ca — und auch; saumadattiḥ — der Sohn Somadattas; tathā — wie auch; eva — gewiß; ca — auch.

Translation

Es sind dies Persönlichkeiten wie du selbst, Bhīṣma, Karṇa, Kṛpa, Aśvatthāmā, Vikarṇa und der Sohn Somadattas mit Namen Bhūriśravā, die alle in der Schlacht immer siegreich sind.

Purport

ERLÄUTERUNG: Duryodhana erwähnt die herausragenden Helden der Schlacht, die alle immer siegreich sind. Vikarṇa ist der Bruder Duryodhanas; Aśvatthāmā ist der Sohn Droṇācāryas, und Saumadatti, auch Bhūriśravā genannt, ist der Sohn des Königs der Bāhlīkas. Karṇa ist der Halbbruder Arjunas, weil er von Kuntī noch vor ihrer Heirat mit König Pāṇḍu geboren wurde. Kṛpācāryas Zwillingsschwester war die Frau von Droṇācārya.

Text

anye ca bahavaḥ śūrā
mad-arthe tyakta-jīvitāḥ
nānā-śastra-praharaṇāḥ
sarve yuddha-viśāradāḥ

Synonyms

anye — andere; ca — auch; bahavaḥ — in großer Zahl; śūrāḥ — Helden; mat-arthe — um meinetwillen; tyakta-jīvitāḥ — bereit, das Leben zu wagen; nānā — viele; śastra — Waffen; praharaṇāḥ — ausgerüstet mit; sarve — sie alle; yuddha-viśāradāḥ — in der militärischen Wissenschaft erfahren.

Translation

Und noch viele andere Helden sind bereit, für mich ihr Leben hinzugeben. Sie alle sind mit den verschiedensten Waffen ausgerüstet, und alle sind in der militärischen Wissenschaft erfahren.

Purport

ERLÄUTERUNG: Was die anderen betrifft – wie Jayadratha, Kṛtavarmā und Śalya –, so waren sie alle entschlossen, für Duryodhana ihr Leben zu opfern. Mit anderen Worten, es stand bereits fest, daß sie alle in der Schlacht von Kurukṣetra sterben würden, weil sie sich der Partei des sündhaften Duryodhana angeschlossen hatten. Was Duryodhana betraf, so war er natürlich aufgrund der obenerwähnten vereinigten Kräfte seiner Freunde von seinem Sieg überzeugt.

Text

aparyāptaṁ tad asmākaṁ
balaṁ bhīṣmābhirakṣitam
paryāptaṁ tv idam eteṣāṁ
balaṁ bhīmābhirakṣitam

Synonyms

aparyāptam — unermeßlich; tat — diese; asmākam — unsere; balam — Stärke; bhīṣma — von Großvater Bhīṣma; abhirakṣitam — vollkommen beschützt; paryāptam — begrenzt; tu — aber; idam — all diese; eteṣām — der Pāṇḍavas; balam — Stärke; bhīma — von Bhīma; abhirakṣitam — sorgfältig beschützt.

Translation

Unsere Stärke ist unermeßlich, und wir werden von Großvater Bhīṣma vollkommen beschützt, wohingegen die Stärke der Pāṇḍavas, die von Bhīma sorgfältig beschützt werden, begrenzt ist.

Purport

ERLÄUTERUNG: Hier wird von Duryodhana das Stärkeverhältnis abgeschätzt. Er glaubt, die Stärke seiner Streitkräfte sei unermeßlich, insbesondere weil sie von dem erfahrensten aller Generäle, Großvater Bhīṣma, beschützt wurde. Demgegenüber seien die Streitkräfte der Pāṇḍavas begrenzt, da diese ein weniger erfahrener General, nämlich Bhīma, beschütze, der in der Gegenwart Bhīṣmas wie ein Zwerg erscheine. Duryodhana hatte Bhīma immer schon beneidet, da er sehr genau wußte, daß er, falls er jemals sterben sollte, nur von Bhīma getötet werden konnte. Gleichzeitig jedoch war er aufgrund der Gegenwart Bhīṣmas, der ein weitaus überlegenerer Feldherr war, von seinem Sieg überzeugt. Seine Schlußfolgerung, daß er aus der Schlacht siegreich hervorgehen würde, war also nicht unbegründet.

Text

ayaneṣu ca sarveṣu
yathā-bhāgam avasthitāḥ
bhīṣmam evābhirakṣantu
bhavantaḥ sarva eva hi

Synonyms

ayaneṣu — an den strategischen Punkten; ca — auch; sarveṣu — überall; yathā-bhāgam — wie sie auf verschiedene Weise aufgestellt sind; avasthitāḥ — befindlich; bhīṣmam — Großvater Bhīṣma; eva — gewiß; abhirakṣantu — solltet Unterstützung gewähren; bhavantaḥ — ihr; sarve — alle; eva hi — gewiß.

Translation

Jetzt, wenn ihr eure strategischen Schlüsselstellungen in der Heeresfront einnehmt, müßt ihr alle Großvater Bhīṣma volle Unterstützung gewähren.

Purport

ERLÄUTERUNG: Nachdem Duryodhana die Tapferkeit Bhīṣmas gepriesen hatte, bedachte er, daß andere glauben könnten, sie seien als weniger wichtig angesehen worden, und so versuchte er in seiner üblichen diplomatischen Art, die Lage mit den obigen Worten zu bereinigen. Er betonte, Bhīṣmadeva sei zweifellos der größte Held, aber er sei ein alter Mann und daher solle jeder besonders darauf achten, ihm von allen Seiten Deckung zu geben. Es sei gut möglich, daß Bhīṣma sehr in den Kampf verwickelt werde, und wenn er auf der einen Seite völlig in Anspruch genommen sei, könnte der Feind dies unter Umständen ausnutzen. Daher sei es wichtig, daß die anderen Helden ihre strategischen Stellungen nicht verließen, denn dies würde es dem Feind gestatten, die Schlachtreihe zu durchbrechen. Duryodhana spürte deutlich, daß der Sieg der Kurus von der Gegenwart Bhīṣmadevas abhing. Er war sich der vollen Unterstützung Bhīṣmadevas und Droṇācāryas in der Schlacht gewiß, da er sehr wohl wußte, daß sie in der Versammlung der großen Generäle nicht ein einziges Wort gesagt hatten, als man versuchte, Arjunas Gattin Draupadī gewaltsam zu entkleiden, und Draupadī sich in ihrer hilflosen Lage an sie wandte und um Gerechtigkeit flehte. Obwohl Duryodhana wußte, daß die beiden Feldherren eine gewisse Zuneigung zu den Pāṇḍavas hegten, hoffte er, sie würden jetzt ihre Zuneigung vollständig aufgeben, ebenso wie sie es während dieser Glücksspielversammlung getan hatten.

Text

tasya sañjanayan harṣaṁ
kuru-vṛddhaḥ pitāmahaḥ
siṁha-nādaṁ vinadyoccaiḥ
śaṅkhaṁ dadhmau pratāpavān

Synonyms

tasya — seine; sañjanayan — vergrößernd; harṣam — Freude; kuruvṛddhaḥ — der Ahnherr der Kuru-Dynastie (Bhīṣma); pitāmahaḥ — der Großvater; siṁha-nādam — Dröhnen, wie das Brüllen eines Löwen; vinadya — ertönen lassend; uccaiḥ — sehr laut; śaṅkham — Muschelhorn; dadhmau — blies; pratāpa-vān — der heldenhafte.

Translation

Bhīṣma, der große, heldenhafte Ahnherr der Kuru-Dynastie, der Großvater der Kämpfer, blies darauf laut in sein Muschelhorn. Es dröhnte wie das Brüllen eines Löwen und erfüllte Duryodhana mit Freude.

Purport

ERLÄUTERUNG: Der Ahnherr der Kuru-Dynastie wußte, was im Herzen seines Enkels Duryodhana vorging, und aus natürlichem Mitgefühl versuchte er, ihn anzuspornen, indem er sehr laut in sein Muschelhorn blies, was seiner löwengleichen Stellung angemessen war. Durch die Symbolik des Muschelhorns gab er seinem niedergeschlagenen Enkel indirekt zu verstehen, daß er keine Chance habe, in der Schlacht siegreich zu sein, da der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, auf der anderen Seite stand. Nichtsdestoweniger war es seine Pflicht, den Kampf durchzuführen, und er würde dabei keine Mühen scheuen.

Text

tataḥ śaṅkhāś ca bheryaś ca
paṇavānaka-gomukhāḥ
sahasaivābhyahanyanta
sa śabdas tumulo ’bhavat

Synonyms

tataḥ — danach; śaṅkhāḥ — Muschelhörner; ca — auch; bheryaḥ — große Trommeln; ca — und; paṇava-ānaka — kleine Trommeln und Kesselpauken; go-mukhāḥ — Hörner; sahasā — plötzlich; eva — gewiß; abhyahanyanta — ertönten gleichzeitig; saḥ — dieser; śabdaḥ — gemeinsamer Klang; tumulaḥ — tumultartig; abhavat — wurde.

Translation

Da ertönten plötzlich alle Muschelhörner, Trommeln, Signalhörner, Trompeten und Fanfaren, und der gemeinsame Klang war tosend.

Text

tataḥ śvetair hayair yukte
mahati syandane sthitau
mādhavaḥ pāṇḍavaś caiva
divyau śaṅkhau pradadhmatuḥ

Synonyms

tataḥ — danach; śvetaiḥ — von weißen; hayaiḥ — Pferden; yukte — gespannt vor; mahati — in einem großen; syandane — Streitwagen; sthitau — sich befindend; mādhavaḥ — Kṛṣṇa (der Gemahl der Glücksgöttin); pāṇḍavaḥ — Arjuna (der Sohn Pāṇḍus); ca — auch; eva — gewiß; divyau — transzendentalen; śaṅkhau — Muschelhörner; pradadhmatuḥ — ließen erschallen.

Translation

Auf der anderen Seite ließen sowohl Śrī Kṛṣṇa als auch Arjuna, die auf einem großen, von weißen Pferden gezogenen Streitwagen standen, ihre transzendentalen Muschelhörner erschallen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Im Gegensatz zu dem von Bhīṣmadeva geblasenen Muschelhorn werden die Muschelhörner in den Händen von Kṛṣṇa und Arjuna als transzendental bezeichnet. Das Erschallen der transzendentalen Muschelhörner deutet an, daß es für die andere Seite keine Hoffnung auf Sieg gab, da Kṛṣṇa auf der Seite der Pāṇḍavas stand. Jayas tu pāṇḍu-putrāṇāṁ yeṣāṁ pakṣe janārdanaḥ. Gottgeweihte wie die Söhne Pāṇḍus sind immer siegreich, weil Kṛṣṇa bei ihnen ist. Und wann immer und wo immer der Herr gegenwärtig ist, dort findet man auch die Glücksgöttin, denn die Glücksgöttin ist niemals von ihrem Gemahl getrennt. Daher erwarteten Arjuna Sieg und Glück, wie der transzendentale Klang, der aus dem Muschelhorn Viṣṇus, oder Śrī Kṛṣṇas, erschallte, andeutete. Außerdem war der Streitwagen, auf dem die beiden Freunde saßen, ein Geschenk Agnis, des Feuergottes, an Arjuna, was bedeutete, daß man überall in den drei Welten, wo man mit diesem Streitwagen hinfuhr, alle Himmelsrichtungen erobern konnte.

Text

pāñcajanyaṁ hṛṣīkeśo
devadattaṁ dhanañ-jayaḥ
pauṇḍraṁ dadhmau mahā-śaṅkhaṁ
bhīma-karmā vṛkodaraḥ

Synonyms

pāñcajanyam — das Muschelhorn namens Pāñcajanya; hṛṣīka-īśaḥ — Hṛṣīkeśa (Kṛṣṇa, der Herr, der die Sinne der Gottgeweihten lenkt); devadattam — das Muschelhorn namens Devadatta; dhanam-jayaḥ — Dhanañjaya (Arjuna, der Gewinner von Reichtum); pauṇḍram — das Muschelhorn namens Pauṇḍra; dadhmau — blies; māha-śaṅkham — das furchterregende Muschelhorn; bhīma-karmā — jemand, der herkulische Taten vollbringt; vṛka-udaraḥ — der unersättliche Esser (Bhīma).

Translation

Śrī Kṛṣṇa ließ Sein Muschelhorn namens Pāñcajanya erschallen; Arjuna blies in das seine namens Devadatta, und Bhīma, der unersättliche Esser und Vollbringer herkulischer Taten, blies in sein furchterregendes Muschelhorn namens Pauṇḍra.

Purport

ERLÄUTERUNG: Śrī Kṛṣṇa wird in diesem Vers als Hṛṣīkeśa bezeichnet, weil Er der Eigentümer aller Sinne ist. Die Lebewesen sind winzige Bestandteile von Ihm, und daher sind die Sinne der Lebewesen ebenfalls Bestandteile Seiner Sinne. Die Unpersönlichkeitsanhänger sind unfähig, für die Gegenwart der Sinne des Lebewesens eine befriedigende Erklärung zu geben, und deswegen sind sie immer bestrebt zu behaupten, die Lebewesen besäßen weder Sinne noch Persönlichkeit. Der Herr, der Sich im Herzen aller Lebewesen befindet, lenkt ihre Sinne, aber Er lenkt sie je nach dem Grad ihrer Hingabe. Im Falle eines reinen Gottgeweihten lenkt der Herr die Sinne direkt. Hier auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra lenkt der Herr die transzendentalen Sinne Arjunas direkt, und so erklärt es sich, daß Er in diesem Vers als Hṛṣīkeśa bezeichnet wird. Der Herr hat verschiedene Namen, je nach Seinen Taten. Zum Beispiel trägt Er den Namen Madhusūdana, weil Er den Dämon Madhu tötete; Sein Name ist Govinda, weil Er den Kühen und den Sinnen Freude schenkt; Sein Name ist Vāsudeva, weil Er als der Sohn Vasudevas erschien; Sein Name ist Devakī-nandana, weil Er Devakī als Seine Mutter annahm; Sein Name ist Yaśodā- nandana, weil Er in Vṛndāvana Yaśodā mit Seinen Kindheitsspielen beglückte, und Sein Name lautet Pārtha-sārathi, weil Er der Wagenlenker Seines Freundes Arjuna war. In ähnlicher Weise trägt Er den Namen Hṛṣīkeśa, weil Er Arjuna auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra Führung gab.

Arjuna wird in diesem Vers als Dhanañjaya bezeichnet, weil er seinem älteren Bruder, der König war, dabei half, Reichtum zusammenzutragen, als dieser mit großem Aufwand verschiedene Opfer durchführen wollte. Was Bhīma betrifft, so ist er als Vṛkodara bekannt, weil er Mengen essen konnte, die ebenso erstaunlich waren wie seine herkulischen Taten, wie zum Beispiel das Töten des Dämons Hiḍimba. So war der Klang der Muschelhörner, die die verschiedenen Persönlichkeiten auf seiten der Pāṇḍavas bliesen, angefangen mit dem Muschelhorn des Herrn, für die kampfbereiten Soldaten sehr ermutigend. Die Gegenseite erfreute sich keiner solcher Begünstigungen, auch nicht der Gegenwart Śrī Kṛṣṇas, des höchsten Lenkers, und auch nicht der Gegenwart der Glücksgöttin. So war es den Kurus vorherbestimmt, die Schlacht zu verlieren – das war die Botschaft, die der Klang der Muschelhörner verkündete.

Text

anantavijayaṁ rājā
kuntī-putro yudhiṣṭhiraḥ
nakulaḥ sahadevaś ca
sughoṣa-maṇipuṣpakau
kāśyaś ca parameṣv-āsaḥ
śikhaṇḍī ca mahā-rathaḥ
dhṛṣṭadyumno virāṭaś ca
sātyakiś cāparājitaḥ
drupado draupadeyāś ca
sarvaśaḥ pṛthivī-pate
saubhadraś ca mahā-bāhuḥ
śaṅkhān dadhmuḥ pṛthak pṛthak

Synonyms

ananta-vijayam — das Muschelhorn namens Anantavijaya; rājā — der König; kuntī-putraḥ — der Sohn Kuntīs; yudhiṣṭhiraḥ — Yudhiṣṭhira; nakulaḥ — Nakula; sahadevaḥ — Sahadeva; ca — und; sughoṣa- maṇipuṣpakau — die Muschelhörner namens Sughoṣa und Maṇipuṣpaka; kāśyaḥ — der König von Kāśī (Vārāṇasī); ca — und; parama-iṣu-āsaḥ — der große Bogenschütze; śikhaṇḍī — Śikhaṇḍī; ca — auch; mahā-rathaḥ — jemand, der allein gegen Tausende kämpfen kann; dhṛṣṭadyumnaḥ — Dhṛṣṭadyumna (der Sohn Drupadas); virāṭaḥ — Virāṭa (der König, der den Pāṇḍavas Zuflucht gewährte, als sie sich verbergen mußten); ca — auch; sātyakiḥ — Sātyaki (auch Yuyudhāna genannt, der Wagenlenker Śrī Kṛṣṇas); ca — und; aparājitaḥ — die niemals zuvor besiegt worden waren; drupadaḥ — Drupada, der König von Pāñcāla; draupadeyāḥ — die Söhne Draupadīs; ca — auch; sarvaśaḥ — alle; pṛthivī-pate — o König; saubhadraḥ — Abhimanyu, der Sohn Subhadrās; ca — auch; mahā- bāhuḥ — starkarmig; śaṅkhān — Muschelhörner; dadhmuḥ — bliesen; pṛthak pṛthak — jeder für sich.

Translation

König Yudhiṣṭhira, der Sohn Kuntīs, ließ sein Muschelhorn, das Anantavijaya, ertönen, und Nakula und Sahadeva bliesen das Sughoṣa und das Maṇipuṣpaka. Der König von Kāśī, ein großer Bogenschütze, der große Kämpfer Śikhaṇḍī, Dhṛṣṭadyumna, Virāṭa und der unbezwingbare Sātyaki, Drupada, die Söhne Draupadīs, und die anderen, o König, wie der starkarmige Sohn Subhadrās, ließen ebenfalls ihre Muschelhörner erschallen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Sañjaya gab König Dhṛtarāṣṭra auf sehr taktvolle Weise zu verstehen, daß seine unkluge Politik, die Söhne Pāṇḍus zu betrügen und sich darum zu bemühen, die eigenen Söhne auf den Thron des Königreichs zu bringen, nicht sehr lobenswert war. Die Vorzeichen deuteten schon jetzt klar darauf hin, daß in dieser großen Schlacht die gesamte Kuru-Dynastie vernichtet werden würde. Angefangen mit dem Ahnherrn, Bhīṣma, bis hinab zu den Enkeln, wie Abhimanyu und anderen – einschließlich der Könige aus vielen Reichen der Welt –, waren alle dort Anwesenden dem Untergang geweiht. Die ganze Katastrophe war die Schuld König Dhṛtarāṣṭras, weil er die Pläne seiner Söhne unterstützte.

Text

sa ghoṣo dhārtarāṣṭrāṇāṁ
hṛdayāni vyadārayat
nabhaś ca pṛthivīṁ caiva
tumulo ’bhyanunādayan

Synonyms

saḥ — diese; ghoṣaḥ — Klangschwingung; dhārtarāṣṭrāṇām — der Söhne Dhṛtarāṣṭras; hṛdayāni — Herzen; vyadārayat — zerriß; nabhaḥ — der Himmel; ca — auch; pṛthivīm — die Oberfläche der Erde; ca — auch; eva — gewiß; tumulaḥ — gewaltig; abhyanunādayan — widerhallend.

Translation

Der Klang der Muschelhörner war gewaltig, und da er sowohl im Himmel als auch auf der Erde widerhallte, zerriß er die Herzen der Söhne Dhṛtarāṣṭras.

Purport

ERLÄUTERUNG: Als Bhīṣma und die anderen Krieger auf der Seite Duryodhanas ihre Muschelhörner ertönen ließen, erstarrten die Herzen der Pāṇḍavas nicht. An keiner Stelle wird so etwas erwähnt; im Gegenteil, in ebendiesem Vers heißt es, daß es das Herz der Söhne Dhṛtarāṣṭras zerriß, als sie den Klang vernahmen, den die Partei der Pāṇḍavas erzeugte. Daß den Pāṇḍavas dies gelang, war auf ihr Vertrauen in Śrī Kṛṣṇa zurückzuführen. Jemand, der beim Höchsten Herrn Zuflucht sucht, hat selbst inmitten des größten Unheils nichts zu befürchten.

Text

atha vyavasthitān dṛṣṭvā
dhārtarāṣṭrān kapi-dhvajaḥ
pravṛtte śastra-sampāte
dhanur udyamya pāṇḍavaḥ
hṛṣīkeśaṁ tadā vākyam
idam āha mahī-pate

Synonyms

atha — darauf; vyavasthitān — sich befindend; dṛṣṭvā — betrachtend; dhārtarāṣṭrān — die Söhne Dhṛtarāṣṭras; kapi-dhvajaḥ — derjenige, dessen Fahne mit dem Zeichen Hanumāns versehen ist; pravṛtte — während er sich anschickte; śastra-sampāte — die Pfeile abzuschießen; dhanuḥ — Bogen; udyamya — aufnehmend; pāṇḍavaḥ — der Sohn Pāṇḍus (Arjuna); hṛṣīkeśam — zu Śrī Kṛṣṇa; tadā — zu diesem Zeitpunkt; vākyam — Worte; idam — diese; āha — sprach; mahī-pate — o König.

Translation

Da nahm Arjuna, der Sohn Pāṇḍus, auf dessen Streitwagen sich die Fahne mit dem Zeichen Hanumāns befand, seinen Bogen auf und machte sich bereit, seine Pfeile abzuschießen. Er blickte über die Schlachtreihe der Söhne Dhṛtarāṣṭras, und dann, o König, sprach er zu Śrī Kṛṣṇa die folgenden Worte.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die Schlacht sollte jeden Augenblick beginnen. Man kann der obigen Darstellung entnehmen, daß die Söhne Dhṛtarāṣṭras mehr oder weniger entmutigt waren, als sie die unerwartete Aufstellung der Streitkräfte der Pāṇḍavas sahen, die auf dem Schlachtfeld durch die direkten Unterweisungen Śrī Kṛṣṇas geführt wurden. Das Emblem Hanumāns auf der Fahne Arjunas ist ein weiteres Zeichen des Sieges, denn Hanumān stellte sich in der Schlacht zwischen Rāma und Rāvaṇa auf die Seite Śrī Rāmas, und am Ende war Śrī Rāma siegreich. Jetzt waren sowohl Rāma als auch Hanumān auf dem Streitwagen Arjunas anwesend, um Arjuna beizustehen. Śrī Kṛṣṇa ist Rāma Selbst, und wo immer Sich Śrī Rāma aufhält, dort befindet sich auch Sein ewiger Diener Hanumān und Seine ewige Gemahlin Sītā, die Glücksgöttin. Es gab daher für Arjuna keinen Grund, irgendwelche Feinde zu fürchten. Und vor allem war der Herr der Sinne, Śrī Kṛṣṇa, persönlich gegenwärtig, um ihm Weisungen zu erteilen. Was also die Durchführung der Schlacht betraf, so standen Arjuna alle guten Ratschläge zur Verfügung. In solch glückverheißenden Umständen, die vom Herrn für Seinen ewigen Geweihten geschaffen werden, liegen die Zeichen sicheren Sieges.

Text

arjuna uvāca
senayor ubhayor madhye
rathaṁ sthāpaya me ’cyuta
yāvad etān nirīkṣe ’haṁ
yoddhu-kāmān avasthitān
kair mayā saha yoddhavyam
asmin raṇa-samudyame

Synonyms

arjunaḥ uvāca — Arjuna sagte; senayoḥ — der Heere; ubhayoḥ — beider; madhye — zwischen; ratham — den Streitwagen; sthāpaya — bitte lenke; me — meinen; acyuta — o Unfehlbarer; yāvat — solange wie; etān — all diese; nirīkṣe — kann betrachten; aham — ich; yoddhu-kāmān — kampfbegierig; avasthitān — auf dem Schlachtfeld aufgestellt; kaiḥ — mit wem; mayā — von mir; saha — mit; yoddhavyam — muß kämpfen; asmin — in diesem; raṇa — Kampf; samudyame — bei dem Versuch.

Translation

Arjuna sagte: O Unfehlbarer, bitte lenke meinen Streitwagen zwischen die beiden Heere, damit ich all diejenigen sehen kann, die sich hier voller Kampfbegierde versammelt haben und gegen die ich in dieser großen Schlacht meine Waffen richten muß.

Purport

ERLÄUTERUNG: Obwohl Śrī Kṛṣṇa die Höchste Persönlichkeit Gottes ist, betätigte Er Sich aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit im Dienst Seines Freundes. Er verfehlt es nie, Seine Geweihten zuneigungsvoll zu behandeln, und deshalb wird Er hier als unfehlbar bezeichnet. Als Wagenlenker mußte Er Arjunas Befehle ausführen, und da Er nicht zögerte, dies zu tun, wird Er als unfehlbar bezeichnet. Obwohl Er die Rolle des Wagenlenkers Seines Geweihten angenommen hatte, wurde Seine Stellung als der Höchste nicht in Frage gestellt. Unabhängig von allen Umständen, ist Er die Höchste Persönlichkeit Gottes, Hṛṣīkeśa, der Herr der Gesamtheit aller Sinne. Die Beziehung zwischen dem Herrn und Seinem Diener ist sehr süß und transzendental. Der Diener ist immer bereit, dem Herrn einen Dienst zu leisten, und in ähnlicher Weise sucht auch der Herr immer nach einer Gelegenheit, Seinem Geweihten irgendeinen Dienst zu erweisen. Er findet größere Freude daran, wenn Sein reiner Geweihter die übergeordnete Stellung einnimmt, Ihm zu befehlen, als wenn Er es ist, der Befehle erteilt. Da Er der Meister ist, muß jeder Seinen Anordnungen nachkommen – niemand steht über Ihm, der Ihm Befehle geben könnte –, doch wenn Er sieht, daß ein reiner Gottgeweihter Ihm befiehlt, erfährt Er transzendentale Freude, obwohl Er unter allen Umständen der unfehlbare Herr ist.

Als reiner Geweihter des Herrn hatte Arjuna kein Verlangen, mit Seinen Vettern und Brüdern zu kämpfen, doch aufgrund des Starrsinns von Duryodhana, der niemals irgendeinem Friedensangebot zugestimmt hatte, war er gezwungen, auf das Schlachtfeld zu kommen. Deshalb war er sehr bestrebt zu sehen, wer die auf dem Schlachtfeld versammelten führenden Persönlichkeiten waren. Obwohl eine Friedensbemühung auf dem Schlachtfeld ausgeschlossen war, wollte er sie dennoch wiedersehen, und er wollte wissen, wie sehr sie darauf drängten, diesen unerwünschten Krieg zu führen.

Text

yotsyamānān avekṣe ’haṁ
ya ete ’tra samāgatāḥ
dhārtarāṣṭrasya durbuddher
yuddhe priya-cikīrṣavaḥ

Synonyms

yotsyamānān — diejenigen, die kämpfen werden; avekṣe — laß mich sehen; aham — ich; ye — die; ete — diejenigen; atra — hier; samāgatāḥ — versammelt; dhārtarāṣṭrasya — für den Sohn Dhṛtarāṣṭras; durbuddheḥ — niederträchtig; yuddhe — im Kampf; priya — gut; cikīrṣavaḥ — wünschend.

Translation

Laß mich diejenigen sehen, die hierher zum Kampf gekommen sind, um den niederträchtigen Sohn Dhṛtarāṣṭras zu erfreuen.

Purport

ERLÄUTERUNG: Es war ein offenes Geheimnis, daß Duryodhana, in Zusammenarbeit mit seinem Vater Dhṛtarāṣṭra, durch üble Machenschaften das Königreich der Pāṇḍavas an sich reißen wollte. Daher mußten all diejenigen, die sich Duryodhana angeschlossen hatten, von gleicher Gesinnung sein. Arjuna wollte sie vor Beginn des Kampfes auf dem Schlachtfeld nur sehen, um zu erfahren, um wen es sich handelte; er hatte nicht die Absicht, ihnen Friedensverhandlungen vorzuschlagen. Außerdem wollte er sie auch sehen, um die Stärke abzuschätzen, der er zu begegnen hatte, obgleich er sich des Sieges völlig sicher war, da Kṛṣṇa an seiner Seite saß.

Text

sañjaya uvāca
evam ukto hṛṣīkeśo
guḍākeśena bhārata
senayor ubhayor madhye
sthāpayitvā rathottamam

Synonyms

sañjayaḥ uvāca — Sañjaya sprach; evam — so; uktaḥ — angesprochen; hṛṣīkeśaḥ — Śrī Kṛṣṇa; guḍākeśena — von Arjuna; bhārata — o Nachkomme Bharatas; senayoḥ — der Heere; ubhayoḥ — beider; madhye — in der Mitte von; sthāpayitvā — indem Er führte; ratha-uttamam — den höchst vortrefflichen Streitwagen.

Translation

Sañjaya sprach: O Nachkomme Bharatas, so von Arjuna angesprochen, lenkte Śrī Kṛṣṇa den vortrefflichen Streitwagen zwischen die Heere beider Parteien.

Purport

ERLÄUTERUNG: In diesem Vers wird Arjuna als Guḍākeśa bezeichnet. Guḍākā bedeutet „Schlaf“, und jemand, der den Schlaf bezwungen hat, wird guḍākeśa genannt. Schlaf bedeutet auch Unwissenheit, und so bezwang Arjuna dank seiner Freundschaft mit Kṛṣṇa sowohl Schlaf als auch Unwissenheit. Als großer Gottgeweihter konnte er Kṛṣṇa nicht einmal für einen Augenblick vergessen, denn dies ist das Wesen eines Gottgeweihten. Ob im Wach- oder im Schlafzustand – ein Gottgeweihter kann niemals aufhören, an Kṛṣṇas Namen, Gestalt, Eigenschaften und Spiele zu denken. So kann ein Geweihter Kṛṣṇas sowohl Schlaf als auch Unwissenheit bezwingen, indem er einfach unablässig an Kṛṣṇa denkt. Das nennt man Kṛṣṇa-Bewußtsein oder samādhi. Als Hṛṣīkeśa, der Lenker der Sinne und des Geistes eines jeden Lebewesens, konnte Kṛṣṇa Arjunas Absicht verstehen, als dieser Ihm befahl, den Streitwagen zwischen beide Heere zu lenken. Er folgte also dieser Anweisung und sprach dann wie folgt.

Text

bhīṣma-droṇa-pramukhataḥ
sarveṣāṁ ca mahī-kṣitām
uvāca pārtha paśyaitān
samavetān kurūn iti

Synonyms

bhīṣma — Großvater Bhīṣma; droṇa — Droṇa, der Lehrer; pramukhataḥ — angesichts von; sarveṣām — allen; ca — auch; mahī-kṣitām — Herrscher der Welt; uvāca — sagte; pārtha — o Sohn Pṛthās; paśya — sieh nur; etān — sie alle; samavetān — versammelt; kurūn — die Angehörigen der Kuru-Dynastie; iti — so.

Translation

In der Gegenwart von Bhīṣma, Droṇa und allen anderen Herrschern der Welt sprach der Herr: O Pārtha, sieh nur all die Kurus, die sich hier versammelt haben.

Purport

ERLÄUTERUNG: Weil Śrī Kṛṣṇa die Überseele aller Lebewesen ist, konnte Er verstehen, was in Arjunas Geist vorging. Der Gebrauch des Wortes Hṛṣīkeśa in diesem Zusammenhang weist darauf hin, daß Er alles wußte. Ebenso ist es bedeutsam, daß Arjuna hier als Pārtha angesprochen wird, was soviel bedeutet wie „der Sohn Kuntīs oder Pṛthās“. Als Freund wollte Kṛṣṇa Arjuna zu verstehen geben, daß Er eingewilligt hatte, Sein Wagenlenker zu sein, weil Arjuna der Sohn Pṛthās, der Schwester Seines Vaters Vasudeva, war. Was aber meinte Kṛṣṇa nun, als Er zu Arjuna sagte: „Sieh nur all die Kurus“? Wollte Arjuna jetzt etwa innehalten und nicht kämpfen? Kṛṣṇa hätte so etwas vom Sohn Seiner Tante Pṛthā niemals erwartet. Es war eine freundschaftliche, scherzende Bemerkung, mit welcher der Herr Arjunas Geisteshaltung vorhersagte.

Text

tatrāpaśyat sthitān pārthaḥ
pitṝn atha pitāmahān
ācāryān mātulān bhrātṝn
putrān pautrān sakhīṁs tathā
śvaśurān suhṛdaś caiva
senayor ubhayor api

Synonyms

tatra — dort; apaśyat — er konnte sehen; sthitān — stehend; pārthaḥ — Arjuna; pitṛn — Väter; atha — auch; pitāmahān — Großväter; ācāryān — Lehrer; mātulān — Onkel mütterlicherseits; bhrātṛn — Brüder; putrān — Söhne; pautrān — Enkel; sakhīn — Freunde; tathā — auch; śvaśurān — Schwiegerväter; suhṛdaḥ — Gönner; ca — auch; eva — gewiß; senayoḥ — der Heere; ubhayoḥ — beider Parteien; api — einschließlich.

Translation

Da erkannte Arjuna, der mitten zwischen den Heeren beider Parteien stand, seine Väter, Großväter, Lehrer, Onkel mütterlicherseits, Brüder, Söhne, Enkel, Freunde und auch seine Schwiegerväter und seine Gönner.

Purport

ERLÄUTERUNG: Auf dem Schlachtfeld sah Arjuna alle möglichen Verwandten. Er erkannte Persönlichkeiten wie Bhūriśravā, die Altersgenossen seines Vaters waren, sowie seine Großväter Bhīṣma und Somadatta, Lehrer wie Droṇācārya und Kṛpācārya, Onkel mütterlicherseits wie Śalya und Śakuni, Brüder wie Duryodhana, Söhne wie Lakṣmaṇa, Freunde wie Aśvatthāmā, Gönner wie Kṛtavarmā usw. Ebenso konnte er in den Heeren viele seiner Freunde erkennen.

Text

tān samīkṣya sa kaunteyaḥ
sarvān bandhūn avasthitān
kṛpayā parayāviṣṭo
viṣīdann idam abravīt

Synonyms

tān — sie alle; samīkṣya — nachdem er gesehen hatte; saḥ — er; kaunteyaḥ — der Sohn Kuntīs; sarvān — alle Arten von; bandhūn — Verwandten; avasthitān — sich befindend; kṛpayā — von Mitleid; parayā — hohen Grades; āviṣṭaḥ — überwältigt von; viṣīdan — während er klagte; idam — so; abravīt — sprach.

Translation

Als der Sohn Kuntīs, Arjuna, all diese verschiedenen Freunde und Verwandten sah, wurde er von Mitleid überwältigt und sprach wie folgt.

Text

arjuna uvāca
dṛṣṭvemaṁ sva-janaṁ kṛṣṇa
yuyutsuṁ samupasthitam
sīdanti mama gātrāṇi
mukhaṁ ca pariśuṣyati

Synonyms

arjunaḥ uvāca — Arjuna sagte; dṛṣṭvā — nachdem ich gesehen habe; imam — all diese; sva-janam — Verwandten; kṛṣṇa — o Kṛṣṇa; yuyutsum — alle voller Kampfbegierde; samupasthitam — anwesend; sīdanti — zittern; mama — meine; gātrāṇi — Glieder des Körpers; mukham — Mund; ca — auch; pariśuṣyati — trocknet aus.

Translation

Arjuna sagte: Mein lieber Kṛṣṇa, beim Anblick meiner Freunde und Verwandten, die mit solcher Kampfbegierde vor mir stehen, beginne ich am ganzen Körper zu zittern, und mein Mund trocknet aus.

Purport

ERLÄUTERUNG: Jeder, der echte Hingabe zum Herrn besitzt, birgt in sich alle guten Eigenschaften, die man bei heiligen Menschen und Halbgöttern findet, wohingegen ein Nichtgottgeweihter keine göttlichen Eigenschaften aufweist, mag er durch Bildung und Kultur auch noch so viel materiellen Fortschritt gemacht haben. Als Arjuna daher seine Familienangehörigen, seine Freunde und Verwandten auf dem Schlachtfeld sah, die sich entschieden hatten, gegeneinander zu kämpfen, wurde er sogleich von Mitleid überwältigt. Schon von Anfang an hatte in ihm der Gedanke an seine eigenen Soldaten Mitgefühl erweckt, doch jetzt bemitleidete er sogar die Soldaten der gegnerischen Partei, da er ihren unausweichlichen Tod voraussah. Bei diesem Gedanken begann er am ganzen Körper zu zittern, und sein Mund wurde trocken. Es verwunderte ihn eigentlich, sie so voller Kampfbegierde zu sehen. Nahezu die gesamte Dynastie, das heißt alle Blutsverwandten Arjunas, waren gekommen, um gegen ihn zu kämpfen. Dies überwältigte einen gutherzigen Gottgeweihten wie Arjuna. Obwohl es hier nicht erwähnt wird, kann man es sich leicht vorstellen, daß Arjuna nicht nur zitterte und daß nicht nur sein Mund ausgetrocknet war, sondern daß er auch aus Mitleid weinte. Daß Arjuna so reagierte, beruhte nicht auf Schwäche, sondern auf Weichherzigkeit, einem der Merkmale eines reinen Gottgeweihten. Deshalb heißt es:

yasyāsti bhaktir bhagavaty akiñcanā
sarvair guṇais tatra samāsate surāḥ
harāv abhaktasya kuto mahad-guṇā
mano-rathenāsati dhāvato bahiḥ

„Wer unerschütterliche Hingabe an die Höchste Persönlichkeit Gottes hat, besitzt alle guten Eigenschaften der Halbgötter. Wer aber kein Geweihter des Herrn ist, verfügt nur über materielle Fähigkeiten, die von geringem Wert sind. Dies ist so, weil er sich auf der Ebene des Geistes bewegt und mit Sicherheit von der flimmernden materiellen Energie betört wird.“ (Śrīmad-Bhāgavatam 5.18.12)

Text

vepathuś ca śarīre me
roma-harṣaś ca jāyate
gāṇḍīvaṁ sraṁsate hastāt
tvak caiva paridahyate

Synonyms

vepathuḥ — Zittern des Körpers; ca — auch; śarīre — auf dem Körper; me — meinem; roma-harṣaḥ — Sträuben der Haare; ca — auch; jāyate — geschieht; gāṇḍīvam — der Bogen Arjunas; sraṁsate — gleitet; hastāt — aus der Hand; tvak — Haut; ca — auch; eva — gewiß; paridahyate — brennt.

Translation

Mein ganzer Körper zittert, und meine Haare sträuben sich. Mein Bogen Gāṇḍīva gleitet mir aus der Hand, und meine Haut brennt.

Purport

ERLÄUTERUNG: Das Phänomen, daß der Körper zu zittern beginnt und daß sich die Haare sträuben, tritt in zwei bestimmten Fällen auf, entweder in großer spiritueller Ekstase oder aus großer Angst unter materiellen Bedingungen. Im Falle transzendentaler Erkenntnis gibt es keine Angst. Arjunas Merkmale in dieser Lage entspringen materieller Angst, nämlich der Befürchtung, das Leben zu verlieren. Diese Tatsache geht auch aus anderen Merkmalen hervor; er war so verstört, daß ihm sein berühmter Bogen Gāṇḍīva aus den Händen glitt, und weil sein Herz im Innern brannte, spürte er ein Brennen auf der Haut. All dies rührt von einer materiellen Lebensauffassung her.

Text

na ca śaknomy avasthātuṁ
bhramatīva ca me manaḥ
nimittāni ca paśyāmi
viparītāni keśava

Synonyms

na — nicht; ca — auch; śaknomi — bin ich imstande; avasthātum — zu bleiben; bhramati — vergessend; iva — wie; ca — und; me — mein; manaḥ — Geist; nimittāni — verursacht; ca — auch; paśyāmi — ich sehe; viparītāni — genau das Gegenteil; keśava — o Töter des Dämons Keśī (Kṛṣṇa).

Translation

Ich bin nicht imstande, hier noch länger stehenzubleiben. Mein Geist ist verwirrt, und mir schwindelt. Ich sehe nur Unheil drohen, o Kṛṣṇa, Töter des Dämons Keśī.

Purport

ERLÄUTERUNG: Aufgrund seiner Verstörtheit war es Arjuna nicht möglich, länger auf dem Schlachtfeld zu bleiben, und wegen dieser inneren Schwäche war er sehr verwirrt. Daß man in einen solch verwirrten Daseinszustand gerät, ist auf übermäßige Anhaftung an materielle Dinge zurückzuführen. Bhayaṁ dvitīyābhiniveśataḥ syāt (Bhāgavatam 11.2.37): Solche Furcht und der Verlust der Ausgeglichenheit des Geistes treten bei Menschen auf, die zu sehr von materiellen Umständen beeinflußt werden. Arjuna sah in dieser Schlacht nur Leid und Unglück voraus – selbst wenn er den Feind besiegen würde, könnte er nicht glücklich sein. Die Worte nimittāni viparītāni sind von Bedeutung. Wenn ein Mensch in seinen Erwartungen nur Enttäuschung sieht, denkt er: „Warum bin ich überhaupt hier?“ Jeder ist an sich selbst und seinem eigenen Wohl interessiert. Niemand interessiert sich für das Höchste Selbst. Durch Kṛṣṇas Willen befindet sich hier auch Arjuna in Unwissenheit über das wahre Selbstinteresse. Das wahre Selbstinteresse liegt in Viṣṇu, oder Kṛṣṇa, doch die bedingte Seele vergißt dies und erfährt deshalb materielles Leid. Arjuna dachte, sein Sieg in der Schlacht werde für ihn nur ein Grund zum Klagen sein.

Text

na ca śreyo ’nupaśyāmi
hatvā sva-janam āhave
na kāṅkṣe vijayaṁ kṛṣṇa
na ca rājyaṁ sukhāni ca

Synonyms

na — weder; ca — auch; śreyaḥ — Gutes; anupaśyāmi — sehe ich voraus; hatvā — durch Töten; sva-janam — eigene Verwandte; āhave — im Kampf; na — noch; kāṅkṣe — ich wünsche; vijayam — Sieg; kṛṣṇa — o Kṛṣṇa; na — noch; ca — auch; rājyam — Königreich; sukhāni — darauf folgendes Glück; ca — auch.

Translation

Ich sehe nicht, wie etwas Gutes entstehen kann, wenn ich in dieser Schlacht meine eigenen Verwandten töte; mein lieber Kṛṣṇa, ebensowenig begehre ich die Folgen dieses Tötens, wie Sieg, Besitz des Königreichs oder Glück.

Purport

ERLÄUTERUNG: Ohne zu wissen, daß Viṣṇu (Kṛṣṇa) ihr wahres Selbstinteresse ist, fühlen sich die bedingten Seelen zu körperlichen Beziehungen hingezogen, in der Hoffnung, auf diese Weise glücklich zu werden. In ihrer Verblendung vergessen sie sogar, was die Ursachen materiellen Glücks sind. Arjuna scheint sogar die für einen kṣatriya geltenden Moralgesetze vergessen zu haben. Es wird gesagt, daß zwei Arten von Menschen befähigt sind, auf den mächtigen, gleißenden Sonnenplaneten erhoben zu werden, nämlich der kṣatriya, der an der Schlachtfront direkt unter Kṛṣṇas Befehlen fällt, und der Mensch im Lebensstand der Entsagung, der sich völlig dem spirituellen Pfad geweiht hat. Arjuna widerstrebt es, seine Feinde zu töten, von seinen Verwandten also ganz zu schweigen. Er dachte, es gäbe kein Glück in seinem Leben, wenn er seine Verwandten tötete, und deswegen wollte er nicht kämpfen, ebenso wie jemand, der keinen Hunger verspürt, nichts kochen möchte. Zu diesem Zeitpunkt entschloß er sich, in den Wald zu gehen und ein einsames Leben der Resignation zu verbringen. Doch als kṣatriya brauchte er ein Königreich für seinen Unterhalt, denn kṣatriyas können nicht einer anderen Beschäftigung nachgehen. Aber Arjuna besaß kein Königreich. Arjunas einzige Möglichkeit, ein Königreich zu gewinnen, bestand darin, mit seinen Vettern und Brüdern zu kämpfen und das Königreich zurückzufordern, das er von seinem Vater geerbt hatte. Aber das will er nicht tun. Deshalb hält er es für das beste, in den Wald zu gehen, um dort ein zurückgezogenes Leben der Resignation zu fristen.

Text

kiṁ no rājyena govinda
kiṁ bhogair jīvitena vā
yeṣām arthe kāṅkṣitaṁ no
rājyaṁ bhogāḥ sukhāni ca
ta ime ’vasthitā yuddhe
prāṇāṁs tyaktvā dhanāni ca
ācāryāḥ pitaraḥ putrās
tathaiva ca pitāmahāḥ
mātulāḥ śvaśurāḥ pautrāḥ
śyālāḥ sambandhinas tathā
etān na hantum icchāmi
ghnato ’pi madhusūdana
api trailokya-rājyasya
hetoḥ kiṁ nu mahī-kṛte
nihatya dhārtarāṣṭrān naḥ
kā prītiḥ syāj janārdana

Synonyms

kim — welchen Nutzen; naḥ — für uns; rājyena — hat das Königreich; govinda — o Kṛṣṇa; kim — welchen; bhogaiḥ — Genuß; jīvitena — lebend; — entweder; yeṣām — für diejenigen; arthe — im Interesse von; kāṅkṣitam — wird begehrt; naḥ — von uns; rājyam — Königreich; bhogāḥ — materieller Genuß; sukhāni — alles Glück; ca — auch; te — sie alle; ime — diese; avasthitāḥ — sich befindend; yuddhe — auf diesem Schlachtfeld; prāṇān — Leben; tyaktvā — aufgebend; dhanāni — Reichtümer; ca — ebenfalls; ācāryāḥ — Lehrer; pitaraḥ — Väter; putrāḥ — Söhne; tathā — ebenso wie; eva — gewiß; ca — auch; pitāmahāḥ — Großväter; mātulāḥ — Onkel mütterlicherseits; śvaśurāḥ — Schwiegerväter; pautrāḥ — Enkel; śyālāḥ — Schwäger; sambandhinaḥ — Verwandte; tathā — ebenso wie; etān — all diese; na — niemals; hantum — zu töten; icchāmi — ich wünsche; ghnataḥ — getötet werdend; api — sogar; madhusūdana — o Töter des Dämons Madhu (Kṛṣṇa); api — sogar wenn; trai-lokya — der drei Welten; rājyasya — für das Königreich; hetoḥ — im Austausch; kim nu — ganz zu schweigen von; mahī-kṛte — für die Erde; nihatya — indem ich töte; dhārtarāṣṭrān — die Söhne Dhṛtarāṣṭras; naḥ — unsere; — welche; prītiḥ — Freude; syāt — wird es geben; janārdana — o Erhalter aller Lebewesen.

Translation

O Govinda, was nützt uns ein Königreich, Glück oder sogar das bloße Leben, wenn all jene, für die wir dies begehren, jetzt in Reih und Glied vor uns auf dem Schlachtfeld stehen? O Madhusūdana, wenn Lehrer, Väter, Söhne, Großväter, Onkel mütterlicherseits, Schwiegerväter, Enkel, Schwäger und andere Verwandte bereit sind, ihr Leben und ihre Besitztümer aufzugeben, und vor mir stehen – warum sollte ich da den Wunsch haben, sie zu töten, selbst wenn sie sonst mich töten? O Erhalter aller Lebewesen, ich bin nicht bereit, mit ihnen zu kämpfen, nicht einmal wenn ich dafür die drei Welten bekäme, geschweige denn diese Erde. Welche Freude werden wir daraus ziehen, wenn wir die Söhne Dhṛtarāṣṭras töten?

Purport

ERLÄUTERUNG: Arjuna sprach Śrī Kṛṣṇa als Govinda an, weil Kṛṣṇa für die Kühe und die Sinne der Gegenstand aller Freude ist. Indem Arjuna dieses bedeutungsvolle Wort gebraucht, möchte er Kṛṣṇa zu verstehen geben, daß Er, Kṛṣṇa, für die Befriedigung seiner Sinne sorgen solle. Aber Govinda ist nicht dafür da, für die Befriedigung unserer Sinne zu sorgen. Wenn wir hingegen versuchen, die Sinne Govindas zufriedenzustellen, sind unsere eigenen Sinne automatisch ebenfalls zufrieden. Im materiellen Bewußtsein möchte jeder seine eigenen Sinne befriedigen, und Gott soll der Lieferant dieser Befriedigung sein. Der Herr wird die Sinne der Lebewesen in dem Maße befriedigen, wie sie es verdienen, und nicht, wie sie es begehren. Wenn man jedoch die entgegengesetzte Richtung einschlägt, das heißt, wenn man versucht, die Sinne Govindas zu erfreuen, ohne dabei nach eigener Sinnenbefriedigung zu trachten, gehen durch die Gnade Govindas alle Wünsche des Lebewesens in Erfüllung. Arjunas tiefe Zuneigung zu seinen Freunden, Lehrern und Verwandten zeigt sich hier teilweise darin, daß er aufgrund seines natürlichen Mitleids für sie nicht bereit ist zu kämpfen. Jeder will Freunden und Verwandten seinen Reichtum zeigen, aber Arjuna befürchtet, daß alle seine Verwandten und Freunde auf dem Schlachtfeld getötet werden und daß er nach dem Sieg seinen Reichtum nicht mit ihnen teilen kann. Dies ist eine typische Überlegung im materiellen Leben. Das transzendentale Leben ist jedoch anders. Da ein Gottgeweihter die Wünsche des Herrn erfüllen möchte, kann er, wenn der Herr es will, alle Arten von Reichtum annehmen und sie in Seinem Dienst verwenden, und wenn der Herr es nicht will, sollte er nicht das geringste annehmen. Arjuna wollte seine Verwandten nicht töten, und wenn es aus irgendeinem Grunde notwendig war, sie zu töten, wollte er, daß Kṛṣṇa sie persönlich tötete. Zu diesem Zeitpunkt wußte er noch nicht, daß Kṛṣṇa sie bereits getötet hatte, bevor sie auf das Schlachtfeld gekommen waren, und daß er nur ein Werkzeug Kṛṣṇas werden sollte. Diese Tatsache wird in späteren Kapiteln enthüllt werden. Als reiner Geweihter des Herrn wollte sich Arjuna nicht an seinen ruchlosen Vettern und Brüdern rächen; doch es war der Plan des Herrn, daß sie alle getötet werden sollten. Der Geweihte des Herrn rächt sich nicht an einem Übeltäter; aber der Herr duldet kein Unrecht, das niederträchtige Menschen Seinem Geweihten zufügen. Wenn es um Ihn Selbst geht, so macht es dem Herrn nichts aus, jemandem zu verzeihen, doch Er verzeiht niemandem, der Seinen Geweihten Leid zufügt. Deshalb war der Herr entschlossen, die Gottlosen zu töten, obwohl Arjuna ihnen verzeihen wollte.

Text

pāpam evāśrayed asmān
hatvaitān ātatāyinaḥ
tasmān nārhā vayaṁ hantuṁ
dhārtarāṣṭrān sa-bāndhavān
sva-janaṁ hi kathaṁ hatvā
sukhinaḥ syāma mādhava

Synonyms

pāpam — Sünden; eva — gewiß; āśrayet — müssen kommen über; asmān — uns; hatvā — indem wir töten; etān — all diese; ātatāyinaḥ — Angreifer; tasmāt — daher; na — niemals; arhāḥ — verdienend; vayam — wir; hantum — zu töten; dhārtarāṣṭrān — die Söhne Dhṛtarāṣṭras; sabāndhavān — zusammen mit Freunden; sva-janam — Verwandten; hi — bestimmt; katham — wie; hatvā — durch Töten; sukhinaḥ — glücklich; syāma — werden wir werden; mādhava — o Kṛṣṇa, Gemahl der Glücksgöttin.

Translation

Sünde wird über uns kommen, wenn wir solche Angreifer töten. Daher ziemt es sich nicht für uns, die Söhne Dhṛtarāṣṭras und unsere Freunde zu töten. Was können wir schon gewinnen, o Kṛṣṇa, Gemahl der Glücksgöttin, und wie können wir glücklich sein, wenn wir unsere eigenen Verwandten töten?

Purport

ERLÄUTERUNG: Gemäß den Veden gibt es sechs Arten von Angreifern: (1) ein Giftmörder; (2) ein Brandstifter; (3) jemand, der mit tödlichen Waffen angreift; (4) jemand, der fremdes Eigentum raubt; (5) jemand, der fremdes Land besetzt, und (6) jemand, der die Frau eines anderen entführt. Solche Angreifer sollten sofort getötet werden, und man begeht keine Sünde, wenn solche Angreifer das Leben verlieren. Für einen gewöhnlichen Menschen ist es durchaus angebracht, solche Angreifer zu töten; doch Arjuna war kein gewöhnlicher Mensch. Dem Charakter nach war er ein Heiliger, und deshalb wollte er sich ihnen gegenüber wie ein solcher verhalten. Aber diese Art von Heiligkeit ist nicht für einen kṣatriya bestimmt. Obwohl es notwendig ist, daß ein verantwortlicher Mensch in der Verwaltung eines Staates heilige Eigenschaften hat, sollte er kein Feigling sein. Śrī Rāma zum Beispiel war so fromm, daß die Menschen sogar noch heute danach streben, in Rāmas Königreich (rāma-rājya) zu leben. Aber Śrī Rāma zeigte nie auch nur die geringsten Anzeichen von Feigheit. Rāvaṇa war für Śrī Rāma ein Angreifer, da er dessen Frau, Sītā, entführte, doch Śrī Rāma erteilte ihm ausreichende Lehren, die in der Geschichte der Welt nicht ihresgleichen finden. In Arjunas Fall jedoch sollte man die besondere Art der Angreifer bedenken, denn es handelte sich um seinen eigenen Großvater, seinen Lehrer, seine Freunde, Söhne, Enkel usw. Ihretwegen dachte Arjuna, daß er nicht die schweren Schritte unternehmen sollte, die bei gewöhnlichen Angreifern notwendig sind. Außerdem wird heiligen Menschen angeraten zu verzeihen, eine Anweisung, die für sie wichtiger ist als jede politische Zwangslage. Arjuna war der Meinung, es sei besser, seinen Verwandten aus religiösen Gründen zu verzeihen und ein heiliges Verhalten zu bewahren, als sie aus politischen Erwägungen zu töten. Er war daher der Ansicht, daß solches Töten, nur um zeitweiligen, körperlichen Glücks willen, keinen Gewinn bringen würde. Schließlich sind Königreiche und andere auf solche Weise gewonnene materielle Freuden nicht beständig; warum sollte er also sein Leben und seine ewige Erlösung aufs Spiel setzen, indem er seine eigenen Verwandten tötete? Daß Arjuna Kṛṣṇa als „Mādhava“, Gemahl der Glücksgöttin, ansprach, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung. Er wollte darauf hinweisen, daß Kṛṣṇa als Gemahl der Glücksgöttin ihn nicht dazu verleiten solle, sich auf etwas einzulassen, was letztlich nur Unglück bringen würde. Kṛṣṇa jedoch bringt niemandem Unglück, vor allem nicht Seinen Geweihten.

Text

yady apy ete na paśyanti
lobhopahata-cetasaḥ
kula-kṣaya-kṛtaṁ doṣaṁ
mitra-drohe ca pātakam
kathaṁ na jñeyam asmābhiḥ
pāpād asmān nivartitum
kula-kṣaya-kṛtaṁ doṣaṁ
prapaśyadbhir janārdana

Synonyms

yadi — wenn; api — sogar; ete — sie; na — nicht; paśyanti — sehen; lobha — von Gier; upahata — überwältigt; cetasaḥ — ihre Herzen; kula-kṣaya — im Töten der Familie; kṛtam — begangen; doṣam — Fehler; mitra-drohe — im Streiten mit Freunden; ca — auch; pātakam — sündhafte Reaktionen; katham — warum; na — sollten nicht; jñeyam — gewußt sein; asmābhiḥ — von uns; pāpāt — von Sünden; asmāt — diesen; nivartitum — abzulassen; kula-kṣaya — von der Zerstörung einer Dynastie; kṛtam — begangen; doṣam — Verbrechen; prapaśyadbhiḥ — von denen, die sehen können; janārdana — o Kṛṣṇa.

Translation

O Janārdana, diese Männer, deren Herzen von Gier überwältigt sind, mögen keinen Fehler darin sehen, die eigene Familie zu töten oder mit Freunden zu streiten, aber warum sollten wir, die wir sehen können, welches Verbrechen es ist, eine Familie zu zerstören, solche Taten der Sünde begehen?

Purport

ERLÄUTERUNG: Ein kṣatriya darf sich nicht weigern, an einem Kampf oder Glücksspiel teilzunehmen, wenn er von einer rivalisierenden Partei dazu aufgefordert wird. Gemäß dieser Verpflichtung durfte sich Arjuna also nicht weigern zu kämpfen, da er von der Partei Duryodhanas herausgefordert worden war. Es konnte jedoch sein, so überlegte Arjuna, daß sich die andere Seite über die Auswirkungen einer solchen Herausforderung nicht bewußt war. Arjuna hingegen konnte die verheerenden Folgen voraussehen und wollte die Herausforderung deshalb nicht annehmen. Eine Verpflichtung ist erst dann wirklich bindend, wenn die Auswirkung gut ist – wenn die Auswirkung aber andersgeartet ist, kann niemand verpflichtet werden, einer Herausforderung nachzukommen. Indem Arjuna so das Für und Wider erwog, entschloß er sich, nicht zu kämpfen.

Text

kula-kṣaye praṇaśyanti
kula-dharmāḥ sanātanāḥ
dharme naṣṭe kulaṁ kṛtsnam
adharmo ’bhibhavaty uta

Synonyms

kula-kṣaye — durch die Zerstörung der Familie; praṇaśyanti — wird vernichtet; kula-dharmāḥ — die Familientradition; sanātanāḥ — ewig; dharme — Religion; naṣṭe — zerstört werdend; kulam — Familie; kṛtsnam — gesamte; adharmaḥ — Irreligion; abhibhavati — wandelt sich; uta — man sagt.

Translation

Mit der Zerstörung der Dynastie wird die ewige Familientradition vernichtet, und so gerät der Rest der Familie auf den Pfad der Irreligion.

Purport

ERLÄUTERUNG: Im System des varṇāśrama gibt es viele Prinzipien der religiösen Tradition, die den Familienmitgliedern helfen sollen, in rechter Weise aufzuwachsen und spirituell wertvolle Eigenschaften zu entwickeln. Die Läuterungsvorgänge beginnen mit der Geburt und werden bis zum Tod fortgesetzt, und es ist die Verantwortung der älteren Mitglieder, daß diese Zeremonien in der Familie durchgeführt werden. Wenn aber die älteren Mitglieder der Familie sterben, kann es geschehen, daß solche traditionellen Läuterungszeremonien eingestellt werden und daß die zurückbleibenden jüngeren Familienangehörigen irreligiöse Gewohnheiten entwickeln und so ihre Gelegenheit zu spiritueller Erlösung verpassen. Deshalb dürfen die älteren Familienangehörigen unter keinen Umständen getötet werden.

Text

adharmābhibhavāt kṛṣṇa
praduṣyanti kula-striyaḥ
strīṣu duṣṭāsu vārṣṇeya
jāyate varṇa-saṅkaraḥ

Synonyms

adharma — Irreligion; abhibhavāt — wenn vorherrschend geworden ist; kṛṣṇa — o Kṛṣṇa; praduṣyanti — werden unrein; kula-striyaḥ — Frauen der Familie; strīṣu — der Frauen; duṣṭāsu — auf solche Weise verunreinigt; vārṣṇeya — o Nachkomme Vṛṣṇis; jāyate — entsteht; varṇa-saṅkaraḥ — unerwünschte Nachkommenschaft.

Translation

Wenn in der Familie Irreligiosität vorherrscht, o Kṛṣṇa, verlieren die Frauen der Familie ihre Reinheit, und wenn auf diese Weise die Moral der Frauen verfällt, o Nachkomme Vṛṣṇis, entsteht unerwünschte Nachkommenschaft.

Purport

ERLÄUTERUNG: Eine gute Bevölkerung ist das Grundprinzip für Frieden, Wohlstand und spirituellen Fortschritt in der menschlichen Gesellschaft. Die Grundsätze der varṇāśrama-Religion waren so angelegt, daß die gute Bevölkerung überwog und so den allgemeinen spirituellen Fortschritt des Staates und der Gesellschaft gewährleistete. Eine solche Bevölkerung hängt von der Keuschheit und Treue ihrer Frauen ab. So wie Kinder sich leicht verleiten lassen, lassen sich Frauen leicht verführen. Daher müssen sowohl die Kinder als auch die Frauen von den älteren Familienmitgliedern beschützt werden. Wenn die Frauen mit verschiedenen religiösen Pflichten beschäftigt sind, besteht nicht die Gefahr, daß sie zum Ehebruch verleitet werden. Laut Cāṇakya Paṇḍita sind Frauen im allgemeinen nicht sehr intelligent und deshalb nicht vertrauenswürdig. Folglich sollten sie sich immer im Rahmen ihrer Familientradition und deren religiösen Aufgaben beschäftigen, und dann wird ihre Keuschheit und Hingabe eine gute Bevölkerung hervorbringen, die geeignet ist, am varṇāśrama-System teilzunehmen. Wenn dieser varṇāśrama-dharma scheitert, bekommen die Frauen die Freiheit, nach Belieben zu handeln und sich mit Männern einzulassen, was zu Ehebruch und in der Folge zu unerwünschter Bevölkerung führt. Auch unverantwortliche Männer fördern den Ehebruch in der Gesellschaft, und so überschwemmen unerwünschte Kinder die menschliche Gesellschaft, was Gefahren wie Kriege und Seuchen heraufbeschwört.

Text

saṅkaro narakāyaiva
kula-ghnānāṁ kulasya ca
patanti pitaro hy eṣāṁ
lupta-piṇḍodaka-kriyāḥ

Synonyms

saṅkaraḥ — solche unerwünschten Kinder; narakāya — führen zu höllischem Leben; eva — gewiß; kula-ghnānām — für diejenigen, die die Familie zerstören; kulasya — für die Familie; ca — auch; patanti — kommen zu Fall; pitaraḥ — Vorväter; hi — gewiß; eṣām — von ihnen; lupta — eingestellt; piṇḍa — der Opferungen von Speisen; udaka — und Wasser; kriyāḥ — Durchführungen.

Translation

Wenn die unerwünschte Bevölkerung zunimmt, verursacht dies sowohl für die Familie als auch für diejenigen, die die Familientradition zerstören, ein höllisches Dasein. Die Vorväter solch entarteter Familien kommen zu Fall, weil die Zeremonien, bei denen man ihnen Speise und Wasser darbringt, vollständig eingestellt werden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Gemäß den Regeln und Vorschriften für fruchtbringende Tätigkeiten muß man den Vorvätern der Familie in bestimmten Zeitabständen Speise und Wasser opfern. Diese Opferung wird durchgeführt, indem man Viṣṇu verehrt, denn wenn man die Reste der Nahrung zu sich nimmt, die Viṣṇu geopfert wurde, kann man von allen Arten sündhafter Handlungen befreit werden. Manchmal kommt es vor, daß die Vorväter unter verschiedensten Arten sündhafter Reaktionen zu leiden haben, und manchmal können einige von ihnen nicht einmal einen grobstofflichen Körper annehmen und sind gezwungen, in feinstofflichen Körpern als Geister zu leben. Wenn daher die Nachkommen ihren Vorvätern Überreste von prasādam-Speisen opfern, werden die Vorväter aus ihrem Leben als Geist oder aus anderen leidvollen Umständen befreit. Es ist eine Familientradition, den Vorvätern auf diese Weise zu helfen, und diejenigen, die kein gottergebenes Leben führen, müssen solche Rituale vollziehen. Wer jedoch ein gottergebenes Leben führt, braucht solche Handlungen nicht zu verrichten. Indem man einfach hingebungsvollen Dienst ausführt, kann man Hunderte, ja Tausende von Vorvätern von allen Arten des Elends befreien. Im Bhāgavatam (11.5.41) heißt es:

devarṣi-bhūtāpta-nṛṇāṁ pitṝṇāṁ
na kiṅkaro nāyam ṛṇī ca rājan
sarvātmanā yaḥ śaraṇaṁ śaraṇyaṁ
gato mukundaṁ parihṛtya kartam

„Jeder, der bei den Lotosfüßen Mukundas, des Gewährers von Befreiung, Zuflucht gesucht hat, indem er alle Arten von Verpflichtungen aufgab, und der diesem Pfad mit aller Ernsthaftigkeit folgt, ist weder den Halbgöttern noch den Weisen, noch anderen Lebewesen, noch seinen Familienangehörigen, noch der Menschheit, noch den Vorvätern verpflichtet oder verschuldet.“

Solche Verpflichtungen sind von selbst erfüllt, wenn man im hingebungsvollen Dienst für die Höchste Persönlichkeit Gottes tätig ist.

Text

doṣair etaiḥ kula-ghnānāṁ
varṇa-saṅkara-kārakaiḥ
utsādyante jāti-dharmāḥ
kula-dharmāś ca śāśvatāḥ

Synonyms

doṣaiḥ — durch solche Fehler; etaiḥ — all diese; kula-ghnānām — der Zerstörer der Familie; varṇa-saṅkara — von unerwünschten Kindern; kārakaiḥ — die Ursachen sind; utsādyante — werden zunichte gemacht; jāti-dharmāḥ — pflichtgemäße Tätigkeiten für die Gesellschaft; kula-dharmāḥ — Familientraditionen; ca — auch; śāśvatāḥ — ewig.

Translation

Durch die üblen Machenschaften derer, die die Familientradition zerstören und somit die Entstehung unerwünschter Kinder verursachen, werden alle pflichtgemäßen Tätigkeiten, die für das Wohl der Gesellschaft und der Familie bestimmt sind, zunichte gemacht.

Purport

ERLÄUTERUNG: Die pflichtgemäßen Tätigkeiten der vier Klassen der menschlichen Gesellschaft sowie die Tätigkeiten für das Wohl der Familie, wie sie in der Einrichtung des sanātana-dharma, oder varṇāśrama- dharma, festgelegt sind, sollen es dem Menschen ermöglichen, seine endgültige Erlösung zu erlangen. Wenn daher unverantwortliche Führer der Gesellschaft die Tradition des sanātana-dharma zerstören, entsteht in dieser Gesellschaft ein Chaos, und als Folge davon vergessen die Menschen das Ziel des Lebens – Viṣṇu. Solche Führer sind blind, und Menschen, die ihnen folgen, werden unweigerlich in ein Chaos geführt.

Text

utsanna-kula-dharmāṇāṁ
manuṣyāṇāṁ janārdana
narake niyataṁ vāso
bhavatīty anuśuśruma

Synonyms

utsanna — verdorben; kula-dharmāṇām — von denen, die Familientraditionen folgen; manuṣyāṇām — solcher Menschen; janārdana — o Kṛṣṇa; narake — in der Hölle; niyatam — immer; vāsaḥ — Aufenthaltsort; bhavati — es wird; iti — auf diese Weise; anuśuśruma — ich habe durch die Schülernachfolge gehört.

Translation

O Kṛṣṇa, Erhalter aller Menschen, ich habe durch die Schülernachfolge gehört, daß diejenigen, deren Familientraditionen zerstört sind, für immer in der Hölle leiden.

Purport

ERLÄUTERUNG: Arjuna stützt seinen Einwand nicht auf seine eigene, persönliche Erfahrung, sondern auf das, was er von Autoritäten gehört hat. Das ist der Weg, wirkliches Wissen zu empfangen. Man kann nicht zu dem Punkt kommen, wo man wirkliches Wissen besitzt, ohne daß einem von der richtigen Person geholfen wird, die bereits in diesem Wissen verankert ist. In der Einrichtung des varṇāśrama gibt es ein System, das vorschreibt, daß man sich vor dem Tod einer bestimmten Zeremonie unterziehen muß, um von seinen Sünden geläutert zu werden. Wer ständig sündhaften Tätigkeiten nachgeht, muß sich diesem Vorgang der Buße (prāyaścitta) unterziehen. Wenn man dies versäumt, wird man mit Sicherheit zu den höllischen Planeten gebracht, um dort als Folge dieser sündhaften Tätigkeiten ein jammervolles Leben zu erleiden.

Text

aho bata mahat pāpaṁ
kartuṁ vyavasitā vayam
yad rājya-sukha-lobhena
hantuṁ sva-janam udyatāḥ

Synonyms

aho — ach; bata — wie seltsam es ist; mahat — große; pāpam — Sünden; kartum — zu begehen; vyavasitāḥ — haben uns entschlossen; vayam — wir; yat — weil; rājya-sukha-lobhena — getrieben von der Gier nach königlichem Glück; hantum — zu töten; sva-janam — Verwandte; udyatāḥ — versuchend.

Translation

Ach, wie seltsam es ist, daß wir uns anschicken, schwere Sünden zu begehen. Getrieben von dem Wunsch, königliches Glück zu genießen, sind wir bestrebt, unsere eigenen Verwandten zu töten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Wenn man von selbstsüchtigen Beweggründen getrieben wird, ist man sogar bereit, die schwersten Sünden zu begehen, wie den Bruder, den Vater oder die Mutter zu ermorden. Es gibt hierfür viele Beispiele in der Weltgeschichte. Arjuna aber ist sich als heiliger Geweihter des Herrn stets der moralischen Grundsätze bewußt und bemüht sich daher, solche Tätigkeiten zu vermeiden.

Text

yadi mām apratīkāram
aśastraṁ śastra-pāṇayaḥ
dhārtarāṣṭrā raṇe hanyus
tan me kṣema-taraṁ bhavet

Synonyms

yadi — sogar wenn; mām — mich; apratīkāram — ohne Widerstand zu leisten; aśastram — ohne voll ausgerüstet zu sein; śastra-pāṇayaḥ — jene mit Waffen in der Hand; dhārtarāṣṭrāḥ — die Söhne Dhṛtarāṣṭras; raṇe — auf dem Schlachtfeld; hanyuḥ — mögen töten; tat — das; me — für mich; kṣema-taram — besser; bhavet — würde sein.

Translation

Es wäre besser für mich, wenn ich auf dem Schlachtfeld unter den Waffen der Söhne Dhṛtarāṣṭras unbewaffnet sterben würde, ohne Widerstand zu leisten.

Purport

ERLÄUTERUNG: Nach den Kampfregeln der kṣatriyas ist es üblich, einen unbewaffneten und unwilligen Gegner nicht anzugreifen. Arjuna jedoch beschloß, nicht zu kämpfen, selbst wenn ihn der Feind in einer solch mißlichen Lage angreifen würde. Es war ihm gleich, wie sehr die Gegenseite zum Kampf drängte. All diese Merkmale sind auf Arjunas Weichherzigkeit zurückzuführen, was von der Tatsache herrührte, daß er ein großer Geweihter des Herrn war.

Text

sañjaya uvāca
evam uktvārjunaḥ saṅkhye
rathopastha upāviśat
visṛjya sa-śaraṁ cāpaṁ
śoka-saṁvigna-mānasaḥ

Synonyms

sañjayaḥ uvāca — Sañjaya sprach; evam — so; uktvā — sprechend; arjunaḥ — Arjuna; saṅkhye — auf dem Schlachtfeld; ratha — des Streitwagens; upasthe — auf den Sitz; upāviśat — setzte sich wieder nieder; visṛjya — beiseite legend; sa-śaram — zusammen mit den Pfeilen; cāpam — den Bogen; śoka — von Klagen; saṁvigna — leidend; mānasaḥ — im Geist.

Translation

Sañjaya sagte: Nachdem Arjuna auf dem Schlachtfeld diese Worte gesprochen hatte, warf er seinen Bogen und seine Pfeile zur Seite und setzte sich, von Schmerz überwältigt, auf dem Streitwagen nieder.

Purport

ERLÄUTERUNG: Während Arjuna seinen Blick über die Feinde gleiten ließ, stand er aufrecht auf dem Streitwagen, doch nun wurde er von solchem Schmerz überwältigt, daß er sich wieder niedersetzte und Bogen und Pfeile beiseite legte. Ein solch gütiger und weichherziger Mensch, der sich im hingebungsvollen Dienst des Herrn betätigt, ist geeignet, Wissen über das Selbst zu empfangen.

Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum Ersten Kapitel der Śrīmad Bhagavad-gītā mit dem Titel: „Die Heere auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra“.